Mit Besuch aus Amerika auf den Spuren einer jüdischen Familie
Die Stadt Waren hat in dieser Woche ganz besonderen Besuch: Mitglieder der jüdischen Familie Loewenberg sind zu Gast. Die Familie war in Waren sehr angesehen, wurde aber zu Nazi-Zeiten immer mehr ausgegrenzt und schließlich 1941 ermordet. Die einzige Überlebende Gerda Loewenberg starb 2013 im Alter von 91 Jahren in Chicago.
Ihre Tochter Susan Rhyne aus Maryland ist derzeit in Waren und hat sich gestern ins Goldene Buch der Stadt Waren eingetragen. Sie kam auch auf Einladung von Schülern Wossidlo-Gymnasium und ihrer Lehrerin Dorothea Rother, die gemeinsam mit der Medienwerkstatt RAAbatz einen Film über die Familie Loewenberg produzieren.
Zentral geht es bei dem Projekt um die Frage nach Gerdas Umgang mit der Last ihrer Geschichte, vor allem der Suche nach den Ursachen, warum Gerda ihrer einzigen Tochter ihre wahre Identität verschwiegen hat, sowie den Folgen für Susan. Begleitet wird Susan von ihrer Cousine Margret Dee, die kurz vor Gerdas Tod durch Familienforschungen der Wahrheit auf die Spur gekommen war. Daneben entsteht eine Ausstellung über die Geschichte der einstigen jüdischen Schüler des Gymnasium.
Dr. Dorothea Rother hat für „Wir sind Müritzer“ über die ersten beiden Tage des Besuchs geschrieben:
Um 9:25 Uhr stehen Susan Rhyne und Maggie vor uns: von Jetlag keine Spur! Die Begrüßung ist herzlich, unsere Rosen öffnen Herzen: Sascha und Pascal erweisen sich auch sonst als Gentlemanlike, schließlich gab es schwere Koffer zu tragen.
Und die Verständigung ist kein Problem. Gegen Mittag sind wir in Waren. Gleich am Bahnhof ist der 1. Besichtigungspunkt: die Stolpersteine in der Nähe des Wohnhauses von Familie Jacob. Alle 3 Kinder dieser Familie – Cousins und Cousine von Gerda Loewenberg – sind Schüler unserer Schule gewesen. Wir betrachten die Stolpersteine, die Pascal und Max vor wenigen Tagen noch einmal geputzt hatten: Von 5 Familienmitgliedern haben nur 2 überlebt. Susan hatte sie vor einigen Jahrzehnten einmal in London und in Chicago getroffen. Der Holocaust war dabei kein Thema gewesen. Dann ging es zum Hotel am Neuen Markt. Vom Balkon aus kann Susan auf das Haus ihrer Vorfahren schauen…
Sie sei nur aus dem Grund gekommen, weil die Schüler sie eingeladen hätten und ein solches Interesse an diesem Thema zeigten. Dann öffnen wir für Susan den größten Schatz unserer Schule: die historische Gymnasialbibliothek. Frau Dolata, Lehrerin für Geschichte und Kunst, hatte besondere Bücherausgaben und andere wichtige Unterlagen herausgesucht, die im Zusammenhang mit den Löwenbergs stehen und die auch über unser Gymnasium während der Nazizeit Auskunft gaben.
Außerdem zeigten wir Gerda Loewenbergs Abgangszeugnis und andere Unterlagen aus dem Schularchiv. Und immer wieder ergaben sich daraus bewegende Gespräche. Leider war zu wenig Zeit.
Um 14 Uhr hatten der Bürgermeister Norbert Möller und Landrat Heiko Kärger zu einem Empfang ins Historische Rathaus geladen. Nele, Katharina, Max und Justus umrahmten mit Mozart-Quartettmusik die feierliche Veranstaltung.
Frau Dr. Rother stellte das Projekt vor. Susans bewegende Worte endeten damit, dass es wichtig sei zu erinnern und nicht zu hassen. Dann trugen sich Susan und ihre Cousine ins Goldene Buch der Stadt ein, und es gab Geschenke und wieder Blumen. Wir blieben dann noch ziemlich lang im Rathaussaal zusammen. Denn es ergaben sich viele zwanglose Gespräche zwischen den Schülern und den Gästen.
Herr Kniesz vom Stadtarchiv zeigte auch interessante Unterlagen aus dem Stadtgeschichtlichen Museum – historische Fotos, eine alte Landkarte, auf dem der Jüdische Friedhof eingezeichnet ist – und aus dem Standesamt: aufgeschlagen war Gerda Löwenbergs Geburtsurkunde mit dem grässlichen Eintrag vom 16.01.1939, dass Gerdas Eltern ab jetzt als weitere Vornamen „Israel“ bzw. „Sara“ zu tragen hätten. Am 2. Oktober 1945 war dann zu lesen: „Der Randvermerk vom 16. Januar 1939 gilt als nicht geschrieben.“ Es ist das eine, wenn man im Geschichtsunterricht lernt, dass die jüdischen Männer den Namen Israel und die Fragen den Namen Sara tragen mussten. Es ist etwas anderes, wenn man damit konkrete Menschen verbindet, denen das angetan wurde.