Rotes Kreuz lässt verurteilten Sanitäter nicht im Stich

22. Dezember 2014

Wohl kein Unfall, der die Gemüter in der Müritz-Region so sehr bewegt hat wie dieser und der vor allem auch zu heftigen Diskussionen führte: Vor gut einem Jahr kam ein Rettungswagen aus der Müritz-Region auf dem Weg ins Klinikum Plau von der Straße ab und stieß gegen einen Baum. Die 82 Jahre alte Patientin verstarb noch an der Unfallstelle, ein Rettungsassistent und ein Notarzt erlitten schwere Verletzungen. Der damals 27 Jahre alte Fahrer wurde vor kurzem vom Amtsgericht Parchim wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung zu 2400 Euro Geldstrafe verurteilt. Das Urteil ist seit Ende dieser Woche rechtskräftig.
„Wir sind Müritzer“ hat mit dem Geschäftsführer des DRK-Kreisverbandes Mecklenburgische Seenplatte, Uwe Jahn, über den Unfall gesprochen. Jahn ist seit fast 30 Jahren Geschäftsführer beim DRK und seit 2003 auch für die Müritz-Region zuständig.

JahnHerr Jahn, können Sie sich noch an den Tag des Unfalls erinnern?

Ja, sehr genau. Ich habe in meinem Neustrelitzer Büro einen Anruf bekommen und bin dann gleich zur Unfallstelle gefahren.

Und vor Ort?

Das war kein schöner Anblick. Und ich war natürlich zutiefst erschüttert, dass eine Patientin, die in unserer Obhut war, zu Tode gekommen ist.

Wie haben Sie die Witterungsbedingungen erlebt?

Es war unwahrscheinlich windig und stellenweise auch glatt. Den Sturm hat man schon ganz deutlich im Auto gespürt.

Der Fahrer hat angegeben, vom Wind von der Straße gedrückt worden zu sein, im Gerichtssaal wurde diese Aussage bezweifelt.

Der Rettungswagen ist lange im Wald gefahren, da hat der Fahrer sicher nicht so viel vom Sturm gespürt. Aber kurz, bevor es zu dem Unfall kam, war der Wald zu Ende. Und das ist ihm meiner Ansicht nach zum Verhängnis geworden.

Der Fahrer hatte also keine Schuld?

Doch, so wie es vor Gericht auch gesagt wurde, ist er für die Straßenverhältnisse einfach zu schnell gewesen. Das bestreitet auch niemand. Aber er war unter Druck, hatte eine schwer erkrankte Patientin im Auto und wollte sie so schnell wie möglich ins Krankenhaus bringen.

In den ersten Polizeiberichten war die Rede davon, dass der Rettungswagen zuvor zwei Lkw überholt hat?

Ja, aber drei Kilometer vor dem Unfallort. Da hat das eine mit dem anderen nichts zu tun. Die Fahrer haben auch ausgesagt, dass er sehr besonnen überholt hat.

Ein weiterer Vorwurf, auch in Richtung DRK: Der 27-Jährige hätte den Wagen gar nicht fahren dürfen, da er noch in der Ausbildung war.

Das ist falsch. Er war Rettungssanitäter in der Ausbildung zum Rettungsassistenten. Mit dieser Qualifikation darf er laut geltendem Recht einen Rettungswagen fahren. Auch verfügt er über Fahrpraxis und zwar nicht nur durch seinen Dienst als Sanitäter, sondern auch als Mitglied der Feuerwehr.

Unfall Kopie 2Die schlimmen Verletzungen der Patientin sollen zustande gekommen sein, weil nicht alle Gurte vorschriftsmäßig angelegt waren.

Bei diesem Vorwurf ging es um die Schultergurte. Die waren angelegt. Allerdings haben die Rettungssanitäter die Frau in einem Tragetuch aus ihrer Wohnung geholt. Sie blieb dann – und das ist übliche Praxis – auf dem Tragetuch liegen, um sie durch das Umlagern nicht weiter zu belasten. Durch das Tragetuch lagen die Schultergurte aber leider nicht eng genug an. Aufgrund dieses Unfalls überprüfen jetzt, wie wir so etwas künftig verhindern können.

Der Notarzt soll zum Zeitpunkt des Unfalls nicht angeschnallt gewesen sein. Er sagt, er habe gerade gestanden, um sich die Papiere der Patientin zu nehmen.

Das bezweifeln wir. Sämtliche Rettungsassistenten, die mit diesem Notarzt zusammengearbeitet haben, berichten, dass er sich nie angeschnallt hat. Da ist er leider auch nicht der einzige. Der Rettungsassistent, der mit ihm hinten im Wagen war, bestätigte, dass er gesessen hat. Warum sollte er lügen?

Und warum sollte der Notarzt lügen?

Unsere Notärzte sind nicht bei uns angestellt, also freiberuflich tätig. Es sieht wohl so aus, als wenn die zuständigen Versicherungen nicht zahlen wollen, weil der Arzt nicht angeschnallt war. Insofern ist es verständlich, dass er versucht, die Situation anders zu erklären. Wir erwägen allerdings, Strafanzeige wegen Falschaussage gegen ihn zu stellen.

Der Notarzt sitzt im Rollstuhl. Wird er wieder laufen können?

Auf jeden Fall, er ist nicht querschnittsgelähmt.

Was macht der verurteilte Sanitäter heute?

Er hat seine Ausbildung bei uns beendet und arbeitet jetzt als Rettungsassistent im Brandenburgischen.

Sie stehen also zu ihm?

Auf jeden Fall. Wir übernehmen auch die Geldstrafe von 2400 Euro und die Gerichts- und Anwaltskosten. Außerdem werden wir ihn gerne wieder einstellen, sobald wir etwas frei haben. Auch einen Seelsorger haben wir eingesetzt.

Herr Jahn, Sie sind sehr lange im Geschäft. Können Sie sich an so einen schlimmen Unfall im Rettungsdienst erinnern?

Seit der Wende, also die letzten 25 Jahre, gab es zum Glück keinen so tragischen Unfall. Ich bin wirklich sehr froh, dass wir so gute Leute haben, immerhin fahren unsere Rettungsassistenten rund 11 000 Einsätze alleine in der Müritz-Region pro Jahr. Und das bei jedem Wetter. Selbst dann, wenn die meisten Menschen ihr Auto sicherheitshalber stehen lassen.

Wir bedanken und für das offene Gespräch!

Das DRK Mecklenburgische Seenplatte beschäftigt rund 700 Frauen und Männer, darunter 110 Rettungsassistenten, die in zwölf Rettungswachen Dienst machen.

Der Kreisverband hat 5000 Mitglieder und betreut gemeinsam mit dem ADAC auch den Neustrelitzer Rettungshubschrauber.


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