Wenn ein Lebensretter plötzlich selbst gerettet werden muss

9. Mai 2021

Leben retten – das ist die Passion von Dr. Wolfgang Wachs. Mehr als 20 Jahre lang war er als Notarzt im Einsatz. Rund 20 000mal. Zu Land und zu Luft. Sehr viele Jahre davon eilte er in der Müritz-Region zu Menschen, die dringend Hilfe brauchten, häufig ging es um Leben und Tod. Sein Traumjob, wie er sagt. Doch plötzlich war es Wolfgang Wachs selbst, der Hilfe benötigte. Eine schwere Lungenerkrankung warf ihn aus der Bahn und machte es ihm schließlich unmöglich, weiter als Notarzt zu arbeiten. Für den Mediziner begann ein Kampf ums eigene Überleben. Ein Kampf, auf den er selbst nur wenig Einfluss hatte, denn nur eine neue Lunge konnte ihn retten. Der heute 63-Jährige hat sie bekommen. Über seinen ganz persönlichen Kampf hat er jetzt ein ergreifendes Buch geschrieben.

Nicht das erste Buch von Wolfgang Wachs. 2018 brachte er das Buch „Retten mit Herz – für das Leben heraus“. Darin schildert er viele Erlebnisse aus seiner Notarzt-Tätigkeit. Seine Fälle – zum großen Teil aus der Müritz-Region – gehen nahe und bewegen. Und sie geben einen Einblick in das Seelenleben eines Notarztes, der zwar in erster Linie funktionieren muss, der aber auch Gefühle hat. Gefühle, die er öffentlich und im Einsatz zumeist verbergen konnte und musste, die er aber in seinem Buch beschreibt.

Niederschmetternde Diagnose

Auch in seinem neuen Buch „Notarzt oder Arzt in Not – Geschichte meiner Organspende“ geht es um Gefühle, um Emotionen, um ganz intime Momente. Deshalb hat der 63-Jährige lange überlegt, ob er sein Schicksal in dieser Form öffentlich machen soll. Er entschied sich für das Schreiben seiner Geschichte, vor allem, um Betroffenen Mut zu machen, aber auch, um Angehörige, die eine große Last tragen, zu erreichen. Und: Wolfgang Ulrich Wachs möchte das Thema Organspende mehr in das Blickfeld aller Menschen rücken. Ein Thema, das ihm nicht erst seit seiner eigenen Erkrankung am Herzen liegt.

Die Krankheit des Mediziner heißt Lungenfibrose – eine seltene und rätselhafte Krankheit, bei der die Lunge versteift und den Körper mit immer weniger Sauerstoff versorgt. Die ersten Symptome wie Hustenanfälle, Atemnot und Abgeschlagenheit bemerkte der passionierte Notarzt im Jahr 2011. Zunächst dachte er an eine verschleppte Bronchitis, doch 2012 bekam er dann die niederschmetternde Diagnose. Was sie bedeutet, musste man ihm nicht erklären. Als Notarzt hat er einmal einer jungen Mutter geholfen, die unter der gleichen Krankheit litt.

„Man denkt, man erstickt“

Die ersten Jahre hatte er die Lungenfibrose mit Hilfe eines teuren Medikaments ganz  gut im Griff, doch die Symptome verschlimmerten sich. So musste er im Sommer 2016 seine geliebte Tätigkeit als Luftretter aufgeben, ein paar Monate später ging es dann auch als Notarzt an Land nicht mehr. „Meinen letzten Einsatz werde ich nie vergessen. Ausgerechnet Heiligabend 2016 sind ein paar Jungs bei Röbel Motocross gefahren, einer verunglückte und verletzte sich schwer am Bein. Nachdem ich ihn versorgt hatte und sich die Feuerwehr um die Rettung kümmerte, bemerkte ich, dass ich große Schwierigkeiten hatte, einen Hang hinauf zu kommen. Am ersten Weihnachtsfeiertag habe ich dann gesagt, dass es leider nicht mehr geht. Ich musste auch an mein Team und meine Patienten denken“, erzählt der sympathische Potsdamer, der viel Zeit bei seiner Lebenspartnerin Gabi in Waren verbringt. Eine Frau, die ihm in einer sehr schweren Zeit aufopferungsvoll zur Seite stand.

Von da an wurde sein Gesundheitszustand rapide schlechter. Schon im April 2017 lag er auf der Transplantationsstation in Berlin, die Gehstrecken, die er schaffte, wurden immer kürzer. Im Dezember 2017 konnte Wolfgang Wachs dann trotz vieler Sauerstoffflaschen im Haus nicht mehr in seinem Eigenheim bleiben. „Ich kam die Treppe nicht mehr hoch, hatte wahnsinnige Luftnot. Man denkt, man erstickt. Hinzu kamen alle paar Minuten schreckliche Hustenanfälle. Panik pur“, erinnert sich der Notarzt.
In der Charité wurde er beatmet, aber noch ohne Maschine. Dann kam auch noch ein Schlaganfall hinzu. Weihnachten 2017 stand es sehr schlecht um den Mediziner. Im Januar dann die erlösende Nachricht, dass es ein Organ für ihn gibt. Er wurde mitten in der Nacht ins Transplantationszentrum gebracht, doch die Hoffnung zerschlug sich, das Organ war zu schlecht, um es ihm zu transplantieren. „Man kann sich gar nicht vorstellen, was das für ein Gefühl ist, wenn man erst voller Hoffnung ist, jetzt endlich gerettet zu werden, und dann doch wieder mit der alten Lunge zurück auf die Station muss. So etwas prägt“, berichtet Dr. Wachs.

Brief an die Angehörigen des Spenders

Aber er hatte Glück, zwei Wochen später wurde er wieder mitten in der Nacht geweckt – eine Lunge stand für ihn bereit. Bei Schneesturm ging’s ins Herzzentrum. Dieses Mal war das Organ in guter Qualität. Rund 16 Stunde dauerte die Transplantation. „Als ich nach ein paar Tagen aufgewacht bin, hatte ich gar keine Muskulatur mehr. Ich war selbst zu schwach, nur die Bettdecke wegzuschieben“, so der 63-Jährige. Nach einer Woche konnte die Beatmung abgeschaltet werden. Ein bewegender Moment. Nach und nach kämpfte sich Dr. Wolfgang Wachs zurück ins Leben – mit Reha und ganz viel Disziplin. Die 20 Tabletten, die er am Tag nehmen muss, stören ihn nicht, doch er muss vorsichtig sein, sein Immunsystem ist höchst empfindlich. Und so hatte er eine Zeit lang auch mit schweren Nebenwirkungen der Medikamente zu kämpfen. Entmutigen lässt er sich dadurch nicht. Im Gegenteil, der Notarzt aus Leidenschaft freut sich jeden Tag über das geschenkte Leben.

Woher sein Organ kommt, weiß er nicht, das Gesetz will es so. Aber er hat einen Brief an die Angehörigen des Spenders geschrieben. „Das ist schwerer, als man es sich vorstellt“, gesteht Wolfgang Wachs und will sich jetzt dafür einsetzen, dass sich in Deutschland in Sachen Organspende etwas ändert. „Viele sind bereit zur Organspende, aber es herrscht – auch durch den einen oder anderen Skandal – eine große Unsicherheit. Ich möchte mit dazu beitragen, dass sich das ändert.“ Und so ließ sich der Arzt nur ein Jahr, nachdem er die neue Lunge bekommen hat, zum Transplantationsbeauftragten Arzt weiterbilden. Das ermächtigt ihn, beispielsweise in Kliniken mit Patienten und Angehörigen zu sprechen, sie aufzuklären, ihnen Ängste zu nehmen.

Sein Buch „Notarzt oder Arzt in Not – Geschichte meiner Organspende“ ist 260 Seiten dick, aber noch nicht erschienen. Dr. Wachs hat noch nicht den richtigen Verlag gefunden, ist aber zuversichtlich, dass man seine Schilderung bald gebunden kaufen kann. Weitere Bücher nicht ausgeschlossen, denn seine Erlebnisse reichen noch für viele weitere Seiten.
Genauso zuversichtlich gibt sich der Mediziner, wenn es um das Thema Arbeit geht. Die fehlt ihm nämlich richtig doll. Der passionierte Notarzt möchte noch nicht aufs Altenteil, sondern will wieder arbeiten. Er möchte wieder helfen, so wie ihm geholfen wurde.


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