ARD-Film: Cyberstalking – Wenn Betroffene schutzlos sind

30. Mai 2021

Der Fall der 25-jährigen Johanna aus Schleswig-Holstein ist verstörend: Sie wird seit zehn Jahren gestalked. Und niemand kann ihr offenbar helfen. Ihr Stalker hackte sich schon in ihre Social-Media-Accounts, stahl ihre Krankenakte aus einem Krankenhaus, veröffentlichte ganze Bücher in ihrem Namen. Im Darknet hat er einmal ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt, er verschickt Morddrohungen und terrorisiert jeden, der Johanna helfen will. Auch als Folge des Stalkings ist Johanna psychisch angeschlagen, muss immer wieder in einer geschlossenen Einrichtung leben. Sogar die Einrichtung, in der Johanna heute lebt, ist inzwischen Ziel der Angriffe ihres Stalkers. Das Erste zeigt am 31. Mai um 21.45 Uhr einen Film, in dem es um Cyberstalking geht und dessen Beispiele erschaudern lassen.

Johannas Betreuer sind inzwischen so verzweifelt, dass sie sich an den Fernsehsender gewandt haben. Anzeigen gegen den Stalker wurden bisher von der Staatsanwaltschaft abgeschmettert und kamen nie vor Gericht, und das, obwohl der Stalker selbst einige seiner Taten im Internet zugibt. Die Ermittlungen reichen offenbar nicht für eine Anklage. Der Täter ist Hacker und weiß seine Spuren zu verwischen. Es ist wie so oft: Stalking im Netz ist kaum zu verfolgen.

Ähnlich geht es Merle. Sie wurde durch einen öffentlichen Vortrag zufällig Opfer ihres Stalkers. Erst bekam sie online „Liebesbotschaften“, später Vergewaltigungsdrohungen, weil sie die „Liebe“ nicht erwiderte. Als es zur Anzeige kommt, schickt die Polizei die Dokumente an den Stalker weiter, ohne vorher Merles Adresse zu schwärzen. Seitdem landeten schon Hunderte Bestellungen von Onlineversandhäusern bei ihr. Ein anderer Fall: Birgit. Sie wird von ihrem Exmann gestalked, er terrorisierte sie, schickte sogar einen Strick. Und er schrieb negative Google-Bewertungen über ihren Arbeitgeber, bis sie ihren Job verlor. Der Arbeitgeber sorgte sich ums Geschäft.

Hohe Dunkelziffer

Dies sind nur ein paar Beispiele von Frauen, die in den letzten Jahren unter Stalking leiden mussten. Rund 84 Prozent der Opfer sind Frauen, 87 Prozent der Täter sind Männer. Es gibt kaum Statistiken dazu, wie viele Fälle es wirklich gibt, die Dunkelziffer ist hoch. Laut BKA kam es 2019 zu 28.653 Anzeigen wegen Stalkings. Verurteilt wurden davon am Ende weniger als zwei Prozent der Täter. Auch Beratungsstellen legen ihre Strategien eher darauf aus, den Betroffenen dabei zu helfen, mit dem Stalking zu leben, weil sie eine Ahndung in Form einer Verurteilung für unwahrscheinlich halten.

Im Gesetz gibt es zwar den sogenannten „Stalking Paragraf“, aber er hilft bei der Strafverfolgung kaum. Die Opfer sind gezwungen, kontinuierlich Beweise gegen die Stalker zu sammeln, was sie psychisch weiter belastet. Der Paragraf wurde zwar im März 2021 noch einmal präzisiert, sodass es einfacher sein soll, Stalking-Taten vor Gericht zu bringen. Experten geht dies allerdings nicht weit genug.

Dr. Volkmar von Pechstaedt vertritt als Anwalt seit 25 Jahren ausschließlich Stalking-Opfer. Er kritisiert nicht nur, dass die Gesetze nicht weit genug greifen, sondern auch, dass Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte nicht genügend geschult seien. Oft würden die Stalking-Fälle schnell abgehandelt oder kämen nicht zur Anklage, auch, weil Personal und somit Zeit fehlen.

Auch die IT-Expertin Leena Simon sagt, dass gerade im Bereich Cyberstalking die Behörden oft überfordert seien. Dabei nimmt Cyberstalking immer mehr zu. Laut einer Studie wurden 2019 in Deutschland 67.500 mobile Nutzer durch Spy-Software attackiert. Deutschland liegt damit auf Rang eins in Europa, weltweit auf Rang drei. Aber nachzuweisen, dass eine Spy-Software installiert wurde, ist extrem schwierig. Leena Simon sagt, dass im vergangenen Jahr nur eine Betroffene aus ihrer Beratungsstelle die Polizei dazu bewegen konnte, ihr Handy als Beweis zu akzeptieren.

Der Film zeigt, warum es so schwer ist, Stalking im Netz, aber auch im echten Leben, zu verfolgen. Und wie die Opfer dadurch gezwungen werden, mit dieser Last zu leben.


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