Creditreform: Corona-Hilfen verzögern Insolvenzentwicklung

10. Dezember 2020

Trotz des massiven Konjunktureinbruchs sind die Insolvenzen in Deutschland weiter signifikant gesunken: Im Jahr 2020 nahm die Zahl der Unternehmensinsolvenzen deutlich um 13,4 Prozent auf 16.300 Fälle (2019: 18.830) ab. Das ist der niedrigste Stand seit der Einführung der Insolvenzordnung (InsO) im Jahr 1999. In Mecklenburg-Vorpommern vermeldet Creditreform 38 Insolvenzen pro 10.000 Firmen im Jahr 2020. Im vergangenen Jahr lag die Zahl bei 49 Insolvenzen bei 10.000 Unternehmen. Laut Creditreform hat es nur in Thüringen und Brandenburg noch weniger Insolvenzen gegeben. Bremen verzeichnet dagegen mit 98 Pleiten pro 10.000 Firmen den höchsten Wert, gefolgt von Berlin und Nordrhein-Westfalen.

Zur Abfederung der Folgen der Corona-Pandemie hatte die Bundesregierung zahlreiche Hilfs- und Stützungsmaßnahmen für die Wirtschaft beschlossen und die Insolvenzantragspflicht mehrere Monate lang ausgesetzt. Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform: „Im laufenden Jahr hat sich das Insolvenzgeschehen als Seismograph für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung vom wirklichen Zustand der deutschen Unternehmen entkoppelt.“ Problematisch sei auch, dass durch die Staatshilfen sehr viele Unternehmen am Markt blieben, die unabhängig von der Corona-Krise eigentlich nicht mehr überlebensfähig seien.

Insbesondere bei Kleinbetrieben gab es durch die Aussetzung spürbar weniger Insolvenzmeldungen. Ein deutlicher Anstieg der Insolvenzen war dagegen bei größeren Unternehmen zu verzeichnen.

„Insolvenzen sind ein wichtiger Mechanismus zum Schutz der Volkswirtschaft“, so Hantzsch weiter. „Unternehmen ohne tragbares Geschäftsmodell müssen vom Markt genommen oder von Grund auf saniert werden, damit die deutsche Wirtschaft als Ganzes auch nach Corona wettbewerbsfähig bleibt.“ Branchen wie Autoindustrie, Luftfahrt und Einzelhandel stünden ohnehin vor drastischen Umwälzungen. „Der Strukturwandel wird durch diese Maßnahmen teilweise verzögert.“ Nachdem die Insolvenzanzeigepflicht bei Zahlungsunfähigkeit (nicht aber Überschuldung) ab Oktober wieder in Kraft ist, dürften die Auswirkungen der Wirtschaftskrise und ein Ende der Eindämmungsmaßnah- men die Insolvenzen im kommenden Jahr insgesamt wieder steigen lassen.

Mehr Großinsolvenzen und Schäden

Die Corona-Krise hat bei Großunternehmen zu einer überdurchschnittlich hohen Zahl an Insolvenzen geführt. Zu den größten Unternehmenszusammenbrüchen des bisherigen Jahres zählen die Warenhauskette GALERIA KARSTADT KAUFHOF und zahlreiche Unternehmen im Modeeinzelhandel wie ESPRIT und BONITA. Das deutsche Insolvenzrecht bietet für Unternehmen dieser Größe mit der „Eigenverwaltung“ und dem „Schutzschirmverfahren“ geeignete Möglichkeiten zur Sanierung. So stieg die Zahl der Insolvenzverfahren in den Umsatzgrößenklassen 5,0 bis 25,0 Mio. Eur0 (plus 26,4 Prozent) und 25,0 bis 50,0 Mio. Euro (plus 36,4 Prozent) deutlich. Eine Verdopplung der Fallzahlen war bei Unternehmen mit mehr als 50,0 Mio. Euro Jahresumsatz zu verzeichnen. Trotz dieser Entwicklungen dominieren Kleinst- und Kleinunternehmen weiterhin das Insolvenzgeschehen, auch wenn in diesem Segment sehr viel weniger Fälle zu verzeichnen waren. In acht von zehn insolventen Unternehmen waren höchstens fünf Personen beschäftigt.

Mehr Privatinsolvenzen befürchtet

Spürbar erhöht haben sich die Schäden für die Gläubiger von insolventen Unternehmen. Im Jahr 2020 summierten sich die offenen Forderungen auf schätzungsweise 34,0 Mrd. Euro – nach 23,5 Mrd. Euro im Vorjahr. Pro Insolvenzfall muss im Durchschnitt voraussichtlich die Rekordsumme von gut 2 Mio. Euro an Forderungsverlusten abgeschrieben werden. Von der Insolvenz betroffen waren insgesamt rund 332.000 Arbeitnehmer; eine deutlich höhere Zahl als im Vorjahr (2019: 218.000 Beschäftigte).

Auch bei den privaten Verbrauchern war ein merklicher Rückgang der Insolvenzen zu verzeichnen. Im Jahr 2020 verringerte sich die Zahl der Verbraucherinsolvenzen um 27,1 Prozent auf 45.800 (2019: 62.810). Hierbei wirkten sich neben den Corona-bedingten Einschränkungen beispielsweise bei Schuldnerberatungen und Behörden vor allem die Pläne der Bundesregierung zur Reform des Insolvenzrechts hemmend aus. Geplant ist u. a. die Verkürzung der Restschuldbefreiung auf drei Jahre. Bei der hohen Zahl an überschuldeten Verbrauchern sind aber künftig steigende Privatinsolvenzen wahrscheinlich – insbesondere, falls die Wirtschaftskrise anhält oder sich weiter verschärfen sollte.

Handel profitiert von Hilfsmaßnahmen

Merkliche Rückgänge bei den Insolvenzen gab es im Baugewerbe (minus 16,4 Prozent) sowie im Handel (minus 16,3 Prozent). Während das Baugewerbe weiterhin eine gute Konjunkturlage verzeichnet, dürften insbesondere im Handel die staatlichen Hilfsmaßnahmen für den deutlichen Rückgang verantwortlich sein. So muss bei der Einordnung der aktuellen Insolvenzentwicklung berücksichtigt werden, dass Finanzspritzen und die Aussetzung der Insolvenzanzeigepflicht wohl auch „echten“ Pleitekandidaten das Überleben zunächst ermöglicht haben. Auch im Verarbeitenden Gewerbe und im Dienstleistungssektor verringerten sich die Insolvenzzahlen. Insgesamt nimmt der Anteil des Dienstleistungsgewerbes am Insolvenzgeschehen zu.

Der Trend, wonach sich vermehrt größere Unternehmen für die Insolvenz und eine mögliche Sanierung entscheiden, spiegelt sich bei den Rechtsformen der insolventen Unter- nehmen wider. 43,4 Prozent aller Insolvenzen entfielen 2020 auf die Rechtsform der GmbH (Vorjahr: 39,7 Prozent). Auch die haftungsbeschränkte Unternehmergesellschaft UG (12,1 Prozent) weitete ihren Anteil am Insolvenzgeschehen aus.


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