Ein Warener Unfall sorgt deutschlandweit für Aufmerksamkeit

6. Oktober 2019

Vor eineinhalb Jahren hat der Bundesgerichtshof sogenannte Dashcams – also Kameras im Auto, die das Verkehrsgeschehen permenent mitfilmen – als Beweismittel zugelassen. Eine solche Dashcamp hat einen Warener Autofahrer jetzt offenbar vor einer Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung bewahrt. Es ist einer der ersten Fälle in Deutschland, die anhand eines aufgezeichneten Dashcam-Videos entschieden wurden.
Dabei geht es um einen Unfall, der sich am 30. Oktober 2017, also vor fast zwei Jahren, an der Kreuzung Warendorfer Straße/Röbeler Chaussee ereignet hat. Beteiligt: Ein Auto und ein Moped. Der Mopedfahrer – 75 Jahre alt – erlitt schwere Verletzungen und starb einige Tage später im Krankenhaus. Von da an wurde gegen den Autofahrer – ein Mann Mitte 60 aus der Müritzstadt – wegen fahrlässiger Tötung ermittelt. Rund eineinhalb Jahre lang. Bis sich ein Staatsanwalt das Video der Dashcam angeschaut hat.
Wir haben mit dem Warener Anwalt Sönke Brandt, unter anderem spezialisiert auf Verkehrsrecht, über diesen Fall, der deutschlandweit Aufmerksamkeit erfährt, gesprochen.

„Ja, man kann mit Fug und Recht behaupten, dass mein Mandant wohl wegen fahrlässiger Tötung verurteilt worden wäre, hätte es dieses Video nicht gegeben“, ist sich Sönke Brandt sicher.

Der Autofahrer war in der Warendorfer Straße aus Richtung ÜAZ unterwegs und wollte an der Kreuzung in Richtung Röbeler Chaussee abbiegen. An der Kreuzung kam der Mopedfahrer aus der Röbeler Chausee auf ihn zu. Beide stießen zusammen.

Der Mopedfahrer, so steht’s in den Protokollen, soll trotz seiner Verletzungen bei Bewusstsein gewesen sein und gesagt haben: „Ich hatte Grün.“ Außerdem gab es drei Zeugen. Auch die erklärten in einem späteren Zivilprozess, dass der Autofahrer bei Rot gefahren sein sein soll.

Doch es gab die Aufnahmen der Dashcam. Die hat der zuständige Staatsanwalt rund eineinhalb Jahre nach Beginn der Ermittlungen angesehen und die Ermittlungen anschließend umgehend eingestellt. Denn das Video zeigt eindeutig (WsM hat es gesehen), dass der Autofahrer aus Waren die erste Ampel in Höhe des Autohauses Multhaup bei Grün überquerte und auch die nächste Ampel zur Röbeler Chaussee Grün zeigte. Dann tauchte plötzlich der Zweiradfahrer von links auf… Es krachte.

„Überlagerte Erinnerungen“

„Ohne dieses Video hätte die Staatsanwaltschaft Anklage erheben müssen, denn die Aussagen der Zeugen ließen gar nichts anderes zu“, so Anwalt Sönke Brandt. Doch wie kommt es, dass mehrere Zeugen einhellig behaupten, der Autofahrer sei bei Rot gefahren?

Dieser Fragen gingen Richter und der Anwalt in einem Zivilprozess nach, denn die Versicherung wollte zunächst nicht zahlen. „Es gibt wohl mehrere Gründe. Zum einen den Mitleidsfaktor, weil der verletzte ältere Mopedfahrer am Unfallort gesagt hat, dass er bei Grün gefahren ist. Zum anderen haben die Zeugen nach dem Unfall länger zusammengestanden und sich ausgetauscht, wobei eine sehr dominate Zeugin immer wieder davon gesprochen haben soll, dass der Autofahrer Rot hatte.
Bei einer Vernehmung Wochen später haben sich die Zeugen dann offenbar nur noch an dieses Gespräch erinnert und dementsprechend ausgesagt. Man nennt das auch ‚überlagerte Erinnerung‘. Den Zeugen kann man da gar nicht unbedingt einen Vorwurf machen. Sie waren bei der Vernehmung und Aussage vor Gericht wirklich der Meinung, dass Rot war“, erklärt Anwalt Sönke Brandt.

Aber eben diese „Überlagerte Erinnerung“ hätte für seinen Mandanten schlimme Folgen haben können – wäre da nicht die Dashcam gewesen.

Auch den Ermittlungsbehörden macht der Jurist keinen Vorwurf. Dennoch bezeichnet er es als Qual für den Warener Autofahrer, gegen den ja immerhin eineinhalb Jahre wegen fahrlässiger Tötung ermittet wurde. „Das war sehr belastend für ihn“, gibt Sönke Brandt zu und kritisiert die Politik. Denn die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg sei personell einfach in Not und habe deshalb so lange gebraucht, das Video anzusehen. Schuld, so meint der Anwalt, der dafür bekannt ist, den Finger in die Wunde zu legen, sei die Politik. Die müsse endlich handeln.


9 Antworten zu “Ein Warener Unfall sorgt deutschlandweit für Aufmerksamkeit”

  1. WRN sagt:

    Moin , hätten die Ermittler richtig gehandelt, wäre der Fall gar nicht erst bei der Staatsanwaltschaft gelandet und das der erst nach 1,5 Jahren Zeit hat sich ein kleines Video anzuschauen ist ja auch ein Armutszeugnis der deutschen Justiz/Politik. Der Unfall wurde doch bestimmt von der Polizei aufgenommen. Die hätten sich das Video doch anschauen können oder dürfen die das nicht?? Den wäre doch schon vor Ort klar gewesen wär Schuld hat und die Staatsanwaltschaft hätte gar nicht erst ermitteln müssen. So müsste jetzt der Warener 1,5 Jahre bangen,weil man weiss ja nie,was vor Gericht geurteilt wird. Recht haben und Recht bekommen ist in Deutschland ja nicht immer einfach.

    • Sönke Brandt sagt:

      Moin,moin,

      sobald der Anfangsverdacht einer fahrlässigen Tötung (durch die Aussagen der Zeugen) im Raum steht und ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung eingeleitet wird, ist die Staatsanwaltschaft zuständig. Der Polizei steht dann eine Entscheidung nicht mehr zu. Die Bewertung von Beweismitteln ist richtigerweise auch Aufgabe der Justiz. Ohne Zweifel sind Sie im Recht damit, dass die Verfahrensdauer unzumutbar lang ist, sowohl für den zu Unrecht Beschuldigten als auch für die Hinterbliebenen des Verstorbenen. Als Beteiligter eines Unfalls würde ich allerdings auch versuchen, den Inhalt des Videos erst einmal auszuwerten, bevor ich es den Ermittlungsbehörden ( am Unfallort) übergebe. Sehen Sie mir bitte diese Sichtweise nach, der Strafverteidiger ist kein Richter und kann auch nicht aus seiner Haut.

  2. Andreas sagt:

    Da kann der Autofahrer froh sein das er die Cam hatte. Ich hatte einen ähnlichen Fall, da wurde ich beschuldigt jemanden abgedrängt zu haben, Schaden knapp 10’000€. Das ganze ging bis zur Klage auf Schadensersatz vor dem Landgericht.
    Aufgrund der Bilder aus der Dashcam wurde das Strafverfahren gegen mich eingestellt und die gegnerische Partei zog ihre Zivilklage 1 Tag vor dem Termin zurück.
    Ich befürworte daher solche Cams. Man sollte halt nur nicht rumfahren und Hilfspolizist spielen, das kommt gar nicht gut.

  3. Hubertus sagt:

    2 Dinge:
    1. Ein Video anzuschauen dauert keine 1,5 Jahre. Klar, bis alle Akten auf den Tisch liegen dauert es ein paar Wochen, aber eben keine 1,5 Jahre. Man kann der Polizei/Staatsanwaltschaft eigentlich auch vorwerfen nicht gewissenhaft zu arbeiten. Auch wenn der Vorwurf stark ist, aber bevor man ein Strafverfahren einleitet, sollte man ein vorhandenes Video anschauen.
    Ich hoffe allerdings, dass dieses Video von dem Unfallteilnehmer auch relativ zügig zur Verfügung gestellt wurde.

    2. Trotzdem halte ich von Dashcams nichts. Ja, in diesem Fall war es natürlich hilfreich und zum Glück für den Angeklagten.
    Leider filmen diese Kameras aber alle Verkehrsteilnehmer auf der Straße und neben der Straße und das permanent. Es werden also alle ausnahmslos gefilmt. Diese Situation ist gesellschaftlich einfach gefährlich und erinnert an ganz schlimme Filme und Bücher. Zumal die Speicherung ein Problem ist, das sollte jeder wissen, der sich mit dem Thema Dashcam befasst.

    P.S.
    Wie findet der Anwalt eigentlich das Filmen (und Speichern) von Unbeteiligten – Stichwort Generalverdacht?

    • Sönke Brandt sagt:

      Hallo Hubertus,

      Übersendung des Videos an die StA Februar 2018, angeschaut nach Aktenlage August 2019, Einstellung 2 Tage später.

      Grundsätzlich finde ich Dashcams natürlich aus den von Ihnen genannten Gründen bedenklich, nach den von mir in diesem Fall gemachten Erfahrungen aber auch hilfreich bei der Wahrheitsfindung. Die im Artikel genannte dominante Zeugin hat uns im Zivilprozess unterstellt, dass wir das Video manipuliert haben, obwohl ein anderer Zeuge bestätigt hat, dass er auf dem Video zu sehen ist. Wie wollen Sie eine solche Zeugin widerlegen ohne Dashcam?

      Das Filmen und insbesondere Speichern von Unbeteiligten durch staatliche Stellen halte ich für falsch und verfassungswidrig (dazu gibt es im Netz schon umfangreiche Diskussionen, deshalb nur meine persönliche Meinung, wie erfragt) . Im übrigen darf ich auf den Post von Andreas verweisen, wobei wir von Aufnahmen im Strassenverkehr reden, also in einem sehr öffentlichen Bereich.

  4. East West sagt:

    Man muß und kann ganz klar sagen, das es Absolut richtig war, diese Dashcams als Beweismittel zugelassen zu haben. Wie in diesem Fall, sieht man sich dadurch nur Bestätigt. Und mal ehrlich, wenn man jemand kurz filmt, mit der Dashcam,wenn man die Strasse entlang geht, na und ist doch nichts schlimmes. Man wird heut zu Tage doch überall gefilmt. Sei es am Strand,auf einen Volksfest oder im Fußball Stadion u.s.w. Ob man das will oder nicht,es ist eben nun mal so,denn überall sind Smartphones mit Kamera,die irgendwas festhalten wollen. Und da kann man sehr schnell mal auf irgendeinem Video landen. Das normalste auf der Welt.

  5. Andreas sagt:

    Hallo Hubertus,
    ich bin kein Anwalt.
    Die aufgenommenen Bilder müssen nach kurzer Zeit (wir reden von Minuten) wieder gelöscht bzw. überschrieben werden. Für solche Fälle gibt es einen Knopf an der Cam, nach dessen Betätigung die letzten Minuten vor der Betätigung und bis zu 2 min nach der Betätigung gefilmt und dauerhaft gespeichert werden. Eine Veröffentlichung ist ebenso verboten. Dazu einfach mal das Urteil des BGH lesen und verstehen.

  6. Hubertus sagt:

    Dann drücke ich den Knopf einfach mal so während ich fahre und schwupps, wird die Aufzeichnung dauerhaft gespeichert. Dies kann ich so oft wiederholen, bis die Speicherkarte (viele Gigabyte) voll ist. Auch ohne Unfall.
    Und was alles verboten ist und trotzdem gemacht wird, weiß man doch.

    Mir geht es halt um das Prinzip der ständigen Filmerei überall und jederzeit.
    East West ist doch das passende Beispiel. Weil sowieso mit anderen Geräten irgendwo jemand immer mal ein Foto oder Video macht, ist jetzt alles egal und wir erlauben auf der Straße das Filmen von jeder Person.

    Siehe auch die IP-Kameras, die viele nachträglich an die Haustür anbauen, um zu sehen wer vor der Tür steht.
    Ich empfehle mal einschlägige Internetseiten, dort kann man dann auf diese Kamerabilder in Echtzeit zugreifen!
    1000 km entfernt und ich kann dann dort jeden beobachten, auch den Nachbarn, der garantiert nicht gefilmt werden will. Aber wo kein Kläger, da kein Richter.
    http://www.insecam.org/en/view/815730/
    http://www.insecam.org/en/view/815675/

    Wer überprüft denn, ob die montierten Dashcams wirklich die korrekten Dashcams (mit der 2 Minuten Aufzeichnungsfunktion) sind und nicht normale Daueraufnahmekameras.
    Die Polizei schafft es nicht einmal die Fahrer mit Smartphone am Ohr anzuhalten.

  7. Dina sagt:

    Naja so ungewöhnlich ist das nicht. Erlebe ich in Berlin ständig solche Fälle. Es gibt genug Einstellmöglichkeiten bei solchen Kameras. Ich möchte selbst nicht mehr verzichten, da sie teilweise wirklich hilfreich bei der Ermittlung von Versicherungsbetrügern bei Autounfällen ist.