Geschwindigkeitsmessung und Rohmessdaten – eine Zeitenwende?

4. Juni 2019

In unserer Serie „Recht im Alltag“ schreibt der Warener Fachanwalt für Verkehrsrecht, Sönke Brandt, heute über Geschwindigkeitsmessgeräte, die erhobenen Daten und das Recht der „Geblitzten“, diese Daten übermittelt zu bekommen.

Dazu gab es unlängst ein interessantes Urteil, ein weiteres wird in diesem Monat erwartet.

Bereits mit Beschluss vom April 2018 hatte der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes entschieden, dass ein von einer Geschwindigkeitsmessung Betroffener Anspruch darauf hat, dass ihm die Verwaltungsbehörde die Rohmessdaten (Falldatensatz), den Sicherheitstoken und das Passwort, das den Zugang zu den Rohmessdaten ermöglicht, übermittelt (VGH des Saarlandes, Beschluss vom 27.04.2018 – LV 1/18).

Diese Entscheidung war erforderlich geworden, weil die Instanzgerichte einschließlich des zuständigen OLG anderer Auffassung waren. Diese Entscheidung war nicht so überraschend, da auch zuvor von anderen Gerichten die letztendlich vom Verfassungsgerichtshof des Saarlandes vertretene Rechtsauffassung geteilt wurde.

Darüber hinaus hatte es tatsächlich Verwaltungsbehörden gegeben, die zwar die Rohmessdaten übermittelt haben, nicht aber das Passwort, das notwendig war, um Zugang zu diesen Rohmessdaten zu erhalten (soll noch mal einer behaupten, die Juristerei habe nicht auch Ihre Momente, in denen man sich vor Lachen nicht halten kann).

Die Begründung des Gerichtes ist einfach nachvollziehbar. Die Rechtsprechung sieht Geschwindigkeitsmessgeräte, die eine Zulassung der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt haben, als sogenannte standardisierte Messverfahren an. Eine sachverständige Überprüfung der Messung findet nicht statt, es sei denn, der betroffene Bürger erhebt substantiierte, d.h. stichhaltige, Einwendungen gegen die Messung. Richtigerweise meint der Verwaltungsgerichtshof des Saarlandes, das könne der Bürger nur, wenn er Zugang zu den Messdaten erhält. Dies sei eine Frage eines fairen Verfahrens.

Voller Erwartung sehen nunmehr Rechtsanwälte, Behörden und Gerichte einer der nächsten Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes entgegen. In dieser geht es darum, ob eine Messung verwendet werden kann, wenn ein Geschwindigkeitsgerät gar keine Messdaten speichert. Betroffen ist im konkreten Fall ein Gerät der Firma JENOPTIK. Das Problem war, dass der Messgerätehersteller Jenoptik im Rahmen eines Softwareupdates die Software des Messgerätes geändert hat und zwar dahingehend, dass fast sämtliche Rohmessdaten der Messung gelöscht werden. Mit den verbliebenen Daten lässt sich aber ein Messfehler kaum nachweisen.

Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes verhandelte am 09.05.2019. Gehört wurden Sachverständige, unter anderem von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt. Die Entscheidung soll Ende Juni 2019 ergehen.

Sollte sich die diesseitige Einschätzung bestätigen, dass das Gericht im Saarland zu Gunsten des Betroffenen entscheiden wird, wird man auch in allen anderen Bußgeldverfahren den Anspruch stellen müssen, dass die Rohmessdaten einer Messung zu speichern sind. Das ist allerdings nicht nur bei dem konkret verwendeten Messgerät nicht der Fall gewesen, sondern bei den meisten „standardisierten Messverfahren” – also fast allen Messsystemen – nicht üblich.

Nach diesseitiger Auffassung wäre eine Verurteilung dann nicht mehr möglich, Freispruch bzw. Einstellung wären die notwendige Folge.

Natürlich hat die ganze Geschichte für den Betroffenen einen Pferdefuß. Er selbst hat kein Recht, die Übersendung der Fallakte an sich zu verlangen. Akteneinsicht kann nur über einen Rechtsanwalt geltend gemacht werden. Der Rechtsanwalt wiederum wird nicht tätig werden, ohne Gebühren geltend zu machen.

Gut ist es in diesen Fällen, wenn Sie rechtsschutzversichert sind. Die Kosten für den Anwalt und einen eventuell zu beauftragenden Gutachter übernimmt Ihr Rechtsschutzversicherer. Sind Sie nicht rechtsschutzversichert, aber mit einem Pkw gefahren, der auf eine rechtsschutzversicherte Person oder ein Unternehmen zugelassen ist (z. B. Firmenwagen), ist im Regelfalle nach den Versicherungsbedingungen der Rechtschutzversicherer des Halters zur Übernahme der Kosten verpflichtet.

Es ist übrigens durchaus üblich und sinnvoll, sich mit einem Rechtsanwalt über die Kosten zu Beginn oder gar vor Erteilung des Mandates zu unterhalten.


2 Antworten zu “Geschwindigkeitsmessung und Rohmessdaten – eine Zeitenwende?”

  1. Harald sagt:

    Die Folge wird sein:

    Die ersten Monate oder Jahre werden Fahrer, die sich verkehrswidrig verhalten haben (zu schnell), mal wieder mit einem blauen Auge davon kommen und sich vielleicht noch freuen.
    Der Steuerzahler darf tief in die Tasche greifen, weil dann alle Lasermessgeräte neu gekauft werden müssen.

    Nichts gegen Rechtsstaat, aber wenn 1 Polizist mich lasert und der 2. Polizist den Wert mit abließt, dann finde ich reicht das aus.
    Da muss nichts gespeichert werden usw.

    • SönkeBrandt sagt:

      Mit allem Respekt für Ihre persönliche Auffassung darf ich zitieren:

      „Die Schweriner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Bußgeldstelle in Nordwestmecklenburg. Die Behörde soll Daten aus mobilen Radarfallen nachträglich geändert haben, um Messfehler zu vertuschen „(Ostseezeitung MV aktuell Nordwestmecklenburg 24.05.2019).

      Viel häufiger aber noch als bewusste Manipulationen gibt es Messfehler, Ablesefehler und der gleichen. Im Übrigen kann der polizeiliche Zeuge im Regelfall nur bekunden, welche Geschwindigkeit das Display angezeigt hat, nicht aber, ob sein Kollege die Messung auch ordnungsgemäß durchgeführt hat.

      Interessanterweise gibt es auch so genannte Laserpistolen, die mit einer Bilddokumentationsmöglichkeit ausgestattet werden können. In Mecklenburg-Vorpommern ist es offensichtlich günstiger, ein zweiten Polizeibeamten als Zeugen zu besolden, statt diese technische Möglichkeit zu nutzen( google „Video Laveg“).

      Meines Erachtens erfordert ein faires Verfahren nach Art. 6 der Menschenrechtskonvention dass man dem Betroffenen im Bußgeldverfahren auch alle Möglichkeiten gibt, sich gegen den gegen ihn erhobenen Vorwurf zu verteidigen.

      Mit freundlichen Grüßen

      Sönke Brandt