Lebenslänglich oder Freispruch? – Plädoyers im Leonie-Prozess

7. Januar 2020

Wie ahndet das Landgericht Neubrandenburg den gewaltsamen Tod der sechsjährigen Leonie aus Torgelow  in Vorpommern vor rund einem Jahr ? Das wird am kommenden Donnerstag, 9. Januar feststehen, bis dahin muss sich die Schwurgerichtskammer die Plädoyers von Staatsanwalt, Nebenkläger und Verteidigern gründlich durchdenken – keine leichte Aufgabe, wie gestern deutlich wurde.

So sieht Staatsanwalt Bernd Bethke vier der acht Anklagepunkte als „bewiesen“ an, die anderen vier ließ er vor Gericht aus Mangel an Beweisen fallen. Trotzdem blieben noch die Misshandlung Schutzbefohlener – also von Leonie und ihrem Bruder – die Körperverletzung mit Todesfolge vom 12. Januar 2019 sowie in dem Zusammenhang „Mord durch Unterlassen“ übrig. Der Stiefvater soll verhindert haben, das rechtzeitiig medizinische Hilfe geholt wurde um nicht durch eine Aussage Leonies aufzufliegen, hieß es.

Folgerichtig forderte Bethke jetzt eine lebenslängliche Haftstrafe für den 28-jährigen Stiefvater. Dieser habe Leonie damals am 8. und am 12. Januar schwer misshandelt, auch weil es Streit mit der Mutter gab, sagte Bethke. Ganz anders sehen das die Verteidiger Bernd Raitor und Jörg Fenger. Für Mord gebe es „keine Beweise.“ Überhaupt halte man am „Treppensturz Leonies“ fest und stelle keinen konkreten Strafantrag. Nur soviel: Wenn sich eine Misshandlung nicht konkret nachweisen lässt, müsste der Stiefvater freigesprochen werden.

Treppensturz ja oder nein?

Die Mutter von Leonie und ihrem zweijährigen Bruder wollte sich – wie mehrere Zeugen berichtet hatten – wegen länger andauernder Gewalt durch den Stiefvater von diesem eigentlich trennen. „Das war für den 14. Januar geplant“, sagte der Staatsanwalt. Dazu kam es nicht mehr.

Wie eine Rechtsmedizinerin berichtete, hatte Leonie eine Vielzahl von älteren und auch frischen Verletzungen (WsM berichtete). Vor allem die schweren Hirnverletzungen seien nicht mit einem Treppensturz zu erklären, hieß es. Deshalb habe es diesen Treppensturz das Mädchens auch gar nicht gegeben, schlussfolgerte der Staatsanwalt.

Die Mutter sei am 12. Januar einkaufen gewesen als Leonie – warum auch immer – ebenfalls zur Mutter wollte. Entweder habe Leonie den Puppenwagen herausgeschoben und dieser sei hinuntergestürzt oder der Angeklagte habe das mit dem Wagen inszeniert. Als die Retter kamen, stand ein Puppenwagen unten im Treppenhaus.

Auf der Flurtreppe gab es aber keine Spuren von einem Sturz des Mädchens, sagte der Staatsanwalt. Vielmehr habe der Stiefvater das Weggehen des Mädchens wohl nicht hinnehmen wollen und sie vermutlich „massiv misshandelt“, wie schon vorher nach einem Streit am 8. Januar. Als die Mutter vom Einkauf zurückkam, habe das Mädchen verletzt im Bett gelegen. Erst drei bis vier Stunden später waren Retter geholt worden, die dem Kind nicht mehr helfen konnten.

Leiblicher Vater beschimpft Angeklagten

„Für uns sind die Aussagen der Mutter glaubwürdig“, sagte der Staatsanwalt. Das sehen die Verteidiger ganz anders. Für sie ist nur klar: Die Kinder hatten massive Verletzungen. Wenn das Landgericht die Beweislage als schlüssig ansehe, sollte es eine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge geben. Das scheine aber wenig wahrscheinlich. Und wenn doch, dann müssten beide Erwachsenen dafür haftbar gemacht werden, erläuterte Raitor.

Schließlich hätten die Beiden auch regelmäßig gemeinsam Cannabis geraucht. Nach eigenen Angaben sollte dies die Lust am Liebesleben steigern, wie ein Gutachter die Mutter zitierte. Das erste Urteil soll am 9. Januar fallen – gegen die Mutter wird derzeit noch ermittelt.

Die gespannte Haltung alle Beteiligten wurde auch gestern wieder deutlich: der leibliche Vater und mehrere Bekannte trugen schwarze T-Shirts, auf denen vorn „Leonie“ und hinten „Es gibt nur eine gerechte Strafe“ stand. Als der Angeklagte zum Transportwagen geführt wurde, beschimpfte ihn Leonie Vater wutentbrannt mit „Verrecke“ und etlichen unflätigen Bezeichnungen. Die Plädoyers der Verteidiger hielt der Mann aus Wolgast gar nicht aus und stürmte nach wenigen Minuten aus dem Gerichtssaal.


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