Leonie hatte sehr viele Verletzungen und starb nach Hirnblutung wegen „massiver Gewalt“

4. Januar 2020

Das rechtsmedizinische Gutachten im Fall der sechsjährigen Leonie hat eindeutig belegt, dass das Kind an den Folgen „massiver stumpfer Gewalt“ gestorben ist. Das hat die zuständige Medizinprofessorin Britta Bockholdt gestern am Landgericht Neubrandenburg erläutert. Zwar könnten einige der Hämatome oder leichte Verletzungen von einem Treppensturz über zehn Stufen – wenn es ihn denn wirklich gegeben hat – stammen. Doch das gesamte Verletzungsbild lasse sich so nicht erklären.
Und vor allem die schwerste aktuelle Verletzung – Blutungen unterhalb der Hirnhaut – ließe sich so nicht erklären.

Solche „Brückenvenen“, die Blut aus dem Gehirn wegführen sollen, rissen nur ab, wenn massive Gewalt gegen den Kopf ausgeübt werde. Hier könne man an Schläge oder Tritte gegen den Kopf denken. „Wie bei einem Boxer, wenn er einen Kinnhaken bekommt.“ Diese Misshandlungen werden dem 28-jährigen Angeklagten – Leonies Stiefvater – vorgeworfen. Er steht wegen „Mord durch Unterlassen“ vor Gericht. Es könne aber auch eine Verurteilung wegen „Körperverletzung mit Todesfolge“ geben, erklärte Richter Jochen Unterlöhner am Ende des Verhandlungstages.

Zahlreiche Verletzungen

Unklar blieb bisher in der Verhandlung, wer die „massive Gewalt“ ausgeübt hat, folgt man den Argumenten der Verteidiger. Sie blieben bei der Version, dass es einen Treppensturz gegeben haben soll und der Angeklagte seine Stiefkinder „nie geschlagen hat.“ Auch das wies die Gutachterin zurück: Das Mädchen sei so klein gewesen, dass sie allein wegen der Länge des Zwischenbodens der Treppe nicht mit dem Kopf auf einer Marmorplatte hätte aufschlagen können, wie der Angeklagte angeführt hatte.

Im Rechtsmedizin-Gutachten stehen zudem so viele Verletzungen, dass es selbst die Gutachterin erstaunte, dass manche Brüche und andere Wunden Leonies wohl nie medizinisch versorgt wurden. Allein schon durch den Umzug von Wolgast nach Torgelow wurden die Kinder über Monate keinem Kinderarzt vorgestellt.

So musste Bockholdt drei gebrochene Rippen – „die sind bei Kindern so elastisch, dass sie nur schwer brechen“ – einen Schlüsselbeinbruch, Frakturen an Daumen und am Ellenbogen sowie eine Unmenge Hämatome und Wunden am Kopf und an den Beinen feststellen. Dazu kamen innere Verletzungen, zum Beispiel an der Leber. Sie äußerte enorme Verwunderung, dass sich auch vor dem 12. Januar wohl nie jemand darum wirklich gekümmert habe. Letztendlich sei das Mädchen in einem „langsamen Sterbeprozess“ gefallen. Das Hirnbluten zusammen mit einer Blutarmut sowie Entzündungen an Rippen und der Lunge hätten dann zum Tode geführt. Der Tod sei etwa zu der Zeit eingetreten, als die Retter kamen.

Vater bricht vor Gericht zusammen

Verantwortlich für den Tod des Mädchens sind für die Gutachterin aber wohl beide – Mutter und Stiefvater. „Sie hätte gute Chancen auf eine Lebensverlängerung gehabt.“ Die Erwachsenen hätten eigentlich sofort Hilfe holen müssen, statt erst drei bis vier Stunden später. Dann könne man bei Kindern noch viel erreichen. Allerdings könne man keine Prognose abgebeben, ob Leonie langfristig das Hirnbluten überlebt hätte und wenn ja, ob es nicht auch zu Hirnschäden gekommen wäre.

Auf jeden Fall kann der Angeklagte nun keine „verminderte Schuldfähigkeit“ geltend machen. Der Psychiater bescheinigte dem Stiefvater eine weitgehend normale Psyche und keine Suchtabhängigkeit, also auch eine normale Einsichtsfähigkeit. In 50 Prozent aller Fälle, in denen Kinder getötet oder misshandelt werden, seien die Täterinnen und Täter psychisch nicht auffällig, laute die Regel.

Vor Gericht wird es nun ernst: An diesem Montag sollen die Schlussvorträge gehalten werden, am 9. Januar soll das Urteil fallen. Gestern sorgte auch der leibliche Vater im Gerichtssaal für Aufsehen. Nach etwa einer halben Stunde zitterte der Mann – Leonies Vater – am ganzen Leib und musste aus dem Saal geführt werden. Er hatte zwar weitgehend auf den Boden geschaut, um die Bilder der rechtsmedizinischen Untersuchung nicht anzusehen, war dem Druck aber nicht gewachsen. Der Richter hatte den Mann, der Nebenkläger ist, vorher schon aufgefordert, lieber nach draußen zu gehen. Das hatte er abgelehnt. Er kam aber auch nicht wieder – nach Angaben seines Anwaltes soll er sich gesundheitlich  wieder gefangen haben.


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