Leserpost zum Großeinsatz der Polizei in Röbel

15. Februar 2020

Zum gestrigen Polizeieinsatz in Röbel, ausgelöst durch einen offenbar psychisch kranken jungen Mann, hat uns ein Brief einer Leserin erreicht, der zum Nachdenken anregen soll und den wir hier gerne veröffentlichen. Anonym, weil die Schreiberin in ihrer Familie einen psychisch Erkrankten hat und aus Erfahrung schreibt. Uns ist der Name der Verfasserin bekannt:

„Ich denke, dass die Angehörigen des jungen Mannes, um den es bei dem Polizeieinsatz gestern in Röbel ging, derzeit keine Muße haben, zu
lesen, aber ganz sicher verfolgen viele betroffene Angehörige oder psychisch kranke Menschen die Berichterstattung.

Es erschreckt mich jedesmal, wie wenig über psychisch kranke Menschen bekannt ist, und wie sich das in den Kommentaren äußert. Darum ein paar Gedanken dazu: eine psychische Erkrankung sucht sich niemand aus, sie kommt genau wie Krebs, Armbruch, Durchfall oder Halsschmerzen. Die Gründe für die Erkrankung sind unterschiedlich genau wie die Reaktionen der Erkrankten.

In Deutschland darf niemand gegen seinen Willen in eine Klinik eingewiesen werden, was angesichts der Vergangenheit Deutschlands auch richtig ist. Erst wenn unmittelbare Gefahr für den Patienten selbst oder die Angehörigen besteht, darf gehandelt werden.
In dieser Situation liegt für den Patienten eine Ausnahmesituation vor, er weiß sozusagen nicht, was er tut, er ist im wahrsten Wortsinn..außer sich.

Es besteht akute Gefahr für sein Leben, das der Angehörigen und der Helfer, in dem Fall Polizei, Arzt usw.
Selbst betroffen in der Familie durch die Erkrankung eines Angehörigen, sind diese Ausblicke die schrecklichsten, die ich erlebt habe. Der Ausnahmezustand des Angehörigen, die Hilflosigkeit im Umgang mit ihm, die Angst, ihn nicht mehr lebend wieder zu sehen…und dann aber die Hilfe, die kommt.

Meist folgen lange Klinikaufenthalte, der Besuch in diesen Kliniken wird für immer in meiner Erinnerung sein. Ich habe noch nie so viele Zombie ähnliche Menschen gesehen, junge Menschen, alte Menschen, quer durch alle Bevölkerungsschichten.

In den meisten Fällen müssen psychisch erkrankte Menschen ein Leben lang Psychopharmaka einnehmen, was massive Veränderungen des Charakters, der Vitalität usw. mit sich bringen kann.

Jeder von uns kann morgen in der gleichen Situation sein, als selbst Betroffener, Angehöriger, Freund oder Kollege.

Ich halte wenig vom Abschalten der Kommentarfunktion in einem Forum, was ist richtig, was ist falsch, wer weiß es ?

Vielleicht kann ich durch meinen Brief ein wenig sensibilisieren, den Blick und die Meinung zu psychisch erkrankten Menschen ein wenig erweitern, und einige Kommentatoren dazu bringen, erst zu denken, dann zu schreiben.

Dem jungen Mann wünsche ich alles Gute.“

 

Foto: Nonstopnews Müritz


9 Antworten zu “Leserpost zum Großeinsatz der Polizei in Röbel”

  1. Stefan sagt:

    Ich muss sagen das ist der beste Brief den ich je gelesen habe, habe durch sowas auch ein ähnlichen Art jemanden verloren (manch einer nimmt sich selbst das Leben, mancher flippt aus das es so endet erstmal muss man überlegen was der ausflipper verursacht hat, meistens is es einsammkeit wie bei meinen Bekannten….

  2. Ilka sagt:

    Dem kann ich nichts hinzufügen. Danke für die Worte.

  3. Brigitte sagt:

    Da ich nicht bei Facebook bin, möchte ich mich hier für die positiven Rückmeldungen auf meinen Brief bedanken.
    Es wäre schön, wenn mein Beitrag zur Aufklärung über psychische Erkrankungen ein wenig beigetragen hat.
    Das Thema betrifft selbstverständlich nicht nur die Erkrankung, wie ich sie beschrieben habe, sondern kann natürlich auch durch Auswirkungen von Drogen oder Alkoholkonsum hervorgerufen werden. Nichtsdestotrotz müssen auch diese Menschen Hilfe erhalten.
    Ich habe eine Statistik gefunden, aus der hervor geht, dass im Zeitraum von 2006 bis 2016 die Zahl der Krankschreibungen aufgrund psychischer Erkrankungen um 50 % gestiegen ist. Positiv ist die rückläufige Entwicklung der Selbstmordraten in Deutschland.
    Trotzdem ist das Thema ein gesellschaftliches, aber das würde in der Diskussion hier zu weit gehen.
    Ich sage nochmals ….Danke…, die Menschen, die derartige Feedbacks geben, sind ganz sicher in der Mehrheit in diesem Land, vielleicht sind wir nur manchmal zu leise !?

  4. Hallo! Genauso ist das! Es kann Jeden treffen.
    „Psychische Erkrankungen“macht nicht halt vor arm oder reich, nicht vor Mann oder Frau, nicht vor gebildet oder weniger gebildet. Sie kommt einfach und fragt Keinen, ob Sie bleiben darf. Oft sieht man die Krankheit nicht gleich, denn es ist ja keine offene Wunde. Daher denken viele Menschen heute noch, das man gar nichts hat. Wir haben inzwischen 2020 und ja die Forschung und auch viele Leute entwickeln sich weiter. Wo man früher weg gesperrt wurde, gibt es heute sehr gute Therapeuten und Therapien. Leider war die Entwicklung zu DDR Zeiten nicht so positiv, auch der 2. Weltkrieg hat in Sachen „psychische Erkrankungen“ viel kaputt gemacht. Diese Menschen wurden einfach umgebracht. Doch sowas ist keine Lösung. Die heutige Zeit ist hektisch und arbeitsreich. Wer Arbeit hat, kämpft sich jeden Tag, aufs Neue um das Überleben. Existenzängste, usw. Doch diese Krankheit wird durch die Gesellschaftsform verstärkt, was nicht heißen soll, das ich die DDR zurück haben möchte. Ich selber bin betroffen und musste lernen mit einer psychiatrischen Erkrankung zu leben, sowie meine Familie. Ich weiß auch, nach 20jähriger Firmenangehörigkeit, was einen heute passieren kann, wenn plötzlich ein neuer Vorgesetzter, Deine Nase nicht passt. Die guten Leute werden kaputt gespielt, drangsaliert und krank gemacht. Was bedeutet heute noch ein Menschleben oder eine Existenz? Nichts, garnichts. Solange wir solche Gesetze haben und die Regierung so wenig macht, werden die Zahlen von psychisch Kranken nach oben gehen. In Röbel gibt es inzwischen Wartezeiten für Therapien. Psychologen in Waren Müritz, Wartezeit 1 Jahr. Selbst bei praktizierenden Nervenärzte sind die Wartezeit fast 1 Jahr. Nur als wirklicher richtiger Notfall bekommt man sofort Hilfe.
    Ich bin und werde der Psychiatrie in Röbel immer dankbar sein, sonst wäre ich heute nicht mehr am Leben, doch das zu erkennen dauert lange und ich musste ganz unten sein. Teilweise war die Angst vor der Hilfe, durch die Gesellschaft und das Gerede für mich so schlimm, doch Du kommst da nicht alleine raus. Heute ist mir das total egal. Ich bin seit 2009 berentet, muss viele Medikamente nehmen und es geht mir gut. Es gibt guteTage und nicht so gute Tage. Doch ich stehe, Dank Röbel, immer wieder auf. Die Gesellschaft muss sich ändern und eine psychologische Erkrankung, ist ebend eine Erkrankung. Ich habe viele Leute kennen gelernt, die auch so sind wie ich und das gab mir Hoffnung. Ich habe Hilfe erfahren und ja viele Menschen sind auch gegangen. Doch ich bin wieder aufgestanden und habe gekämpft. Nein nicht alleine! Unterstützung, Zuspruch und Verständnis sind so wichtig. Schaut nicht weg!

    • Brigitte sagt:

      Hallo Doreen, ich habe ebend erst gesehen, dass es hier auch noch viele Zuschriften gibt. Stellvertretend für alle anderen, die sich hier geäußert haben, nehm ich Sie symbolisch ganz fest in den Arm.
      Ich bin so positiv überrascht, welches Echo mein Brief ausgelöst hat.
      Ich wünsche Ihnen und allen anderen, die selbst mit einer psychischen Erkrankung leben müssen, die Angehörige oder Freunde haben, die erkrankt sind , alles Glück der Welt .
      Bei allen trüben Gedanken, die sich manchmal einstellen, es lohnt sich zu leben!

  5. Tininordlicht sagt:

    Seit 20 Jahren helfen mir Psychopharmaka, ein lebenswertes Dasein zu führen (natürlich nicht ausschließlich, denn parallel sollten Therapien etc. stattfinden). Die Akzeptanz allein in der Familie war ein Kraftakt; bei Kollegen konnte ich darauf nicht hoffen. Im Rahmen umfangreicher stationärer Erfahrungen sah ich ausschließlich selbstbestimmte Patienten; aber auch die Tendenz zur Erkrankungszunahme bei jungen Männern als Folge von Drogenmissbrauch.

  6. Simon Simson sagt:

    Psychische Erkrankungen sind immer ein Gemisch aus nicht verarbeiteten Erlebnissen, aus Zeiten, die für diesen Menschen unerträglich waren und die ihn geprägt haben einerseits und der körperlichen Erkrankung andererseits, z.B. die Nebennierenrinde bei Stress das Hormon Cortisol bildet und bei Dauerstress einen krankmachenden Spiegel erzeugt. Andererseits fehlt es gleichzeitig oft an Serotonin. Die Folge des Ungleichgewichts ist, dass immer weniger Serotonin gebildet wird, weil es nicht mehr aufgenommen werden kann. In der Folge lernt das Gehirn die passenden Gedanken zu formulieren, negative Erfahrungen hoch zu bewerten und positive niedrig. Daraus entsteht ein Teufelskreis. Nur der allerkleinste Teil der erkrankten werden für andere zur Gefahr. Leider ist das sehr auffällig und führt zu oberflächlichen Annahmen, dass es darum ginge. Bei dem jungen Mann in Röbel könnte sowas eine Rolle spielen. Diese extremen Szenen sind aber eine ganz seltene Zuspitzung von einem Krankheitsspektrum, das zurecht als Volkskrankheit bezeichnet wird. Soziale Isolierungen und gleichzeitig der unverhältnismäßige Gebrauch von elektronischen Medien zur Ablenkung, genauso wie Rauschmittel, spielen eine Rolle. Die Ursachen über die eklatante Zunahme werden aber noch erforscht. Klar ist aber, dass eine Einbindung in echte, direkte, soziale Kontakte den Erkrankungen entgegenwirkt.
    In dem Sinne sollte niemand Erkrankte ausgrenzen sondern wo immer es geht, sollten wir sie einbinden. Das ist oft nicht leicht. Aber, einfach ausgedrückt: Wenn wir uns viel begegnen, streiten, wieder vertragen, Probleme gemeinsam sehen, lösen und zusammen lachen, wer bringt sich dann um?

  7. anonym sagt:

    Mein aufrichtiges zutiefstes Mitgefühl für diesen jungen Mann und vor allem auch für seine Angegehörigen. Sie machten und machen Höllenqualen durch und werden am Ende ihrer Kräfte sein.
    Der junge Mann wird fürchterlich gequält durch seine Realität, in der er bedroht wird und die er nicht beeinflussen kann. Zu dem Leid und Schmerz der Familie kommt noch die öffentlichen Schaulust der Bevölkerung und die journalistisch unverantwortlichen Berichterstattung von Nordkurier und Nordmagazin etc. (Veröffentlichung von Bildmaterial, Alter und Ort mit Straßennamen ). Einfach nur widerlich, ich schäme mich zutiefst fremd. Das Mittelalter lässt grüßen (und das bei dem heutigen Datenschutz!!!) Bloß gut, dass der junge Mann selbst davon nicht soviel mitbekommt. Für die Angehörigen jedoch bedeutet das eine enorme zusätzliche Belastung. Wie sich alle gleich auf das arme Würstchen (das sich typischerweise willenlos abführen ließ) stürzen…34 Polizeibeamte wirklich? Tat dies not?
    Vielleicht geben meine Worte den Angehörigen etwas Zuspruch und Hoffnung, die ansonsten auch meist unter dem Verhalten der Umwelt (Rückzug, Verurteilung…) zu leiden haben. Psychische Erkrankungen können sich entgegen der hartnäckigen Stigmatisierung auch noch nach Jahren spontan deutlich bessern oder sogar heilen.

  8. Norbert Wypich sagt:

    Ich als Vater und ich sprech hier auch für die Mutter bin zutievst beeindruckt über den Brief und die vielen Kommentare, was uns zeigt, dass es so viel vernünftig denkende Menschen gibt. Es gibt uns Kraft und dafür sind wir sehr dankbar. Gegenüber den anderen Menschen die nur auf negative Sensationen aus sind, kann ich nur sagen, sie tun mir leid und das deswegen, weil diese Menschen mit sich selbst nicht im Frieden sind. Sie unterstützen negative Berichterstattung, sie fühlen sich dann besser und das kann auch nicht gesund sein. Ich weiß nicht wie viele Berichterstatter dabei waren, aber einer war dabei den ich kenne, und der hat unsern Sohn als er noch kein war beleidigt und ist auf sein Spielzeug getreten und das ist in meinen Augen wirklich krank