Motor aus, Handy an?

9. April 2015

brandtVor wenigen Tagen gab es in Waren einen kleinen Unfall, bei dem eine Beteiligte das Handy zückte, um den Unfallgegner, der den Crash offenbar nicht bemerkt hat, zu fotografieren. Bei zahlreichen WsM-Lesern tauchte in diesem Zusammenhang die Frage auf: Darf man das Handy in diesem Fall zücken oder ist das strafbar? Wir haben bei dem Warener Rechtsanwalt Sönke Brandt nachgefragt, der unter anderem auf Verkehrsrecht spezialisiert ist. Hier seine Antwort:

Wann darf man ein Handy im Straßenverkehr nutzen? Die Antwort erschließt sich, wenn man die Goldene Regel befolgt, die jedem Jurastudenten im 1. Semester eingebimst wird: „Ein Blick ins Gesetz hilft bei der Rechtsfindung!“

Wie man sich Straßenverkehr zu verhalten hat, ist in der Straßenverkehrsordnung geregelt. Dort findet sich in § 23 (1a) nachfolgende Regelung:

„Wer ein Fahrzeug führt, darf ein Mobil- oder Autotelefon nicht benutzen, wenn hierfür das Mobiltelefon oder der Hörer des Autotelefons aufgenommen oder gehalten werden muss. Dies gilt nicht, wenn das Fahrzeug steht und bei Kraftfahrzeugen der Motor ausgeschaltet ist.“

Wir sehen, die Norm wendet sich zunächst an jeden Fahrzeugführer, also auch an Radfahrer oder Führer von Pferdekutschen. Klarzustellen ist dann noch, was ein Benutzen eines Mobil- oder Autotelefons ist. Die Rechtsprechung hierzu ist ebenso einheitlich wie eindeutig.
Unter Benutzung im Sinne des § 23 (1a) StVO ist jegliche Nutzung eines Mobiltelefon zu verstehen, sei es als Telefon, als Organisator oder auch als Internetzugang. Um es anders auszudrücken, alles was die Bedienungsanleitung des Handys hergibt, ist beim Führen eines Fahrzeuges verboten.

Eine Ausnahme führt das Gesetz selbst in Satz 2 der zitierten Norm aus. Das hat dazu geführt, dass es beim Autofahren an roten Ampeln eine ganz neue Körperhaltung gibt. Man gewinnt den Eindruck, Autofahrer vor roten Ampeln seien in ein Gebet versunken: der Oberkörper gebeugt, das Haupt gesenkt und ein nach unten (aufs Smartphone) gerichteter Blick. Man sollte hierbei allerdings nicht außer Acht lassen, dass bei zu spätem Wiederanlassen des ausgeschalteten Motors und entsprechend verspätetem Weiterfahren ebenfalls eine Ordnungswidrigkeit in Betracht kommt (vgl. § 1 Abs. 2 StVO).

Behörde hat Ermessensspielraum

Fraglich ist, ob ich mein Handy in die Hand nehmen darf, um nach einem Verkehrsunfall den flüchtenden anderen Unfallbeteiligten mit dem Handy zu fotografieren, ohne zuvor mein Fahrzeug anzuhalten. Bei der Lösung dieser Frage ist zurückzugreifen auf die allgemeinen Rechtfertigungsgründe des Strafrechts, die im Ordnungswidrigkeitenrecht ebenfalls anwendbar sind. Sie sind ausdrücklich in § 15 und § 16 OWiG geregelt.

Die Versuche, die Nutzung des Handys in der genannten Situation mit Notwehr zu rechtfertigen, scheitern daran, dass Notwehr einen gegenwärtigen Angriff voraussetzt und der Unfallflüchtige, wie es schon die Bezeichnung selber sagt, nicht angreift, sondern flüchtet.
Die richtige Lösung ist, dass die Benutzung des Handys gerechtfertigt ist gemäß § 16 OWiG (rechtfertigender Notstand). Zu den durch § 16 OWiG geschützten Rechtsgüter gehört grundsätzlich jedes in irgendeiner Weise rechtlich geschütztes Interesse. Das Interesse an der Unfallaufklärung gehört zu den geschützten Rechtsgütern, dieses hat das OLG Köln für § 34 StGB, der inhaltlich gleich lautend ist mit § 16 OWiG, entschieden. Im Einzelfall muss natürlich die von § 16 OWiG geforderte Interessenabwägung zwischen der Verletzung der Rechtsnorm des § 23 (1 a) StVO und der hieraus resultierenden Gefahr und der Gefahr für die Verletzung der Interessen des bzw. der Unfallgeschädigten stattfinden. Meines Erachtens dürfte in diesem Fall regelmäßig die Handlung durch Notstand gerechtfertigt sein.

Unabhängig hiervon hat die Verwaltungsbehörde bei einer Verkehrsordnungswidrigkeit immer die Möglichkeit, ihr Ermessen dahingehend ausüben, dass sie das Verfahren selbst dann einstellt, wenn Notstand selbst nicht bejaht wird.

Woman Texting on Phone and Driving Car

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4 Antworten zu “Motor aus, Handy an?”

  1. Peter Sohr sagt:

    Ermessensfrage ? Gummiparagraphen ? Ausnahmen bestätigen die Regel ?

    Alles Quatsch !

    Der Zweck heiligt die Mittel. Wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter.

    Nur wer schlafende Hühner weckt, hat das Gegacker !

  2. Charly sagt:

    Natürlich läßt das geltende Recht eine weiterreichende oder andere Auslegung als die des Anwalts nicht zu. Im Falle des Falles ist daher zu beachten, daß meine Handlungsweise im Einklang mit dem geltenden Recht steht. Schließlich muß ich im Falle der Durchsetzung meiner Schadensansprüche meine Handy-Aufzeichnungen bei Gericht (ggfls. auch bei der Polizei) vorlegen. Dann stellt sich natürlich gleich heraus, unter welchen Umständen die Aufzeichnungen entstanden sind. Insofern kann ich den Anmerkungen des Herrn Sohr natürlich nicht folgen.

  3. Sönke Brandt sagt:

    Sehr geehrter Herr Sohr,

    Sie unterliegen einem grundlegenden Missverständnis, wenn Sie meinen, es würden abgewogen die Interessen des Geschädigten und des Schädigers. Eine Abwägung erfolgt zwischen den Interessen des Geschädigten und dem Interesse der anderen Verkehrsteilnehmer, nicht durch den filmenden Fahrer gefährdet zu werden.

    Diese Gefahr wird vom Gesetzgeber, m.E. zu Recht, bei der Benutzung eines Handys durch den Führer eines Fahrzeuges unterstellt.

    Das diese Abwägung je nach Verkehrsdichte und anderen Umständen nicht immer einheitlich ausgehen kann und muss, ist zum einen wohl nachvollziehbar, zum anderen macht dieser Umstand es erforderlich, dass eine unabhängige Instanz in streitigen Fällen eine abschliessende Entscheidung trifft. Zu meinem grössten Bedauern ist diese letzte Instanz ein Richter am Amtsgericht bzw. bei der Rechtsbeschwerde ein Senat des OLG, nicht etwa der Rechtsanwalt. Aufgabe des Rechtsanwalts ist es allein, in derartigen Fällen Argumente für seinen Mandanten vorzutragen.

    Ihre grundsätzlichen Zweifel an unserem Rechtssystem werde ich hier nicht beseitigen können, Sie werden aber sicher verstehen, dass man nicht alle erdenklichen Situationen von vornherein im Gesetz regeln kann.

    Letztlich verbleibt mir nur der Hinweis, dass auch vor der Erfindung des Handys es für die Problematik des Feststellens des beteiligten weiteren Fahrzeiges eine Lösung gab. Es wurde das Kennzeichen abgelesen und notiert. Das war genauso effektiv wie das Fotografieren des Kennzeichens. Dieses Argument wird immer auch in die oben erwähnte Abwägung einzufliessen haben, wobei dann wiederum zu berücksichtigen sein könnte , dass ein Ablesen des Kennzeichens unsicherer ist hinsichtlich des Erkennens und der Wiedergab, als eine Fotografie

    Mir freundlichem Gruß

    Sönke Brandt

  4. Sönke Brandt sagt:

    Sehr geehrter Herr Sohr,

    Aussage gegen Aussage bezeichnet zunächst nur eine prozessuale Situation. Je nach Verfahrensart (Strafprozess/Zivilprozess) gibt es unterschiedliche Auflösungen. Im Strafprozess reicht die Aussage des Opfers, wenn der Richter von dessen Wahrheitsgehalt eine Überzeugung gewinnt, die jeglichen Zweifeln Schweigen gebietet. Wie sollte es auch anders sein, könnten doch sonst schwerste Straftaten, an denen in der Regel nur zwei Personen beteiligt sind (Sexualdelikte, versuchte Tötungsdelikte etc.) nicht bestraft werden. Im Zivilprozess ist das etwas anderes, wenn dort eine Tatsache nicht bewiesen werden kann, geht dies zu Lasten der beweispflichtigen Prozesspartei.

    Zurück zum eigentlichen Thema. Das Foto eines sich nach einem Unfall entfernenden Fahrzeuges zeigt auch nicht mehr als das Fahrzeug und dessen Kennzeichen, ist also tatsächlich nur insoweit das bessere Mittel zur Beweissicherung statt des Notierens des Kennzeichens, als Ablesefehler vermieden werden. Soweit Sie auf die sog. Dashcam abstellen, ist diese bisher nicht Gegenstand meiner Ausführungen und würde als fest installiertes Gerät im Fahrzeug auch vom Handyverbot nicht erfasst.