Personalschlüssel in Kitas des Landes nicht kinderecht

29. November 2023

In den Kitas Mecklenburg-Vorpommerns sind die Personalschlüssel für fast 96 Prozent der betreuten Kinder nicht kindgerecht. Dies ist bundesweit der höchste Anteil. Die Qualität der pädagogischen Arbeit leidet darunter erheblich.  Das ist die Aussage einer statistischen Auswertung der Bertelsmann Stiftung. Neuen Prognosen zufolge kann das Bundesland auch bis 2030 keine kindgerechte Kita-Qualität erreichen. „Wenn eine Fachkraft für mehr Kinder verantwortlich ist als wissenschaftlich empfohlen, leidet darunter die Qualität der pädagogischen Praxis. Es ist davon auszugehen, dass die Kitas in Mecklenburg-Vorpommern aktuell ihren Bildungsauftrag für die Mehrheit der Kinder nicht erfüllen können“, sagt Kathrin Bock-Famulla, Expertin der Bertelsmann Stiftung für frühkindliche Bildung.

Die Quote der Kinder in Kindertagesbetreuung liegt in Mecklenburg-Vorpommern, wie auch in den anderen Ost-Bundesländern, über dem Bundesdurchschnitt. Bei den unter Dreijährigen beträgt sie 59 Prozent (Bund: 36 Prozent) und bei den ab Dreijährigen 96 Prozent (Bund: 92 Prozent). Dennoch reicht das Platzangebot vor allem für die jüngeren Kinder nicht aus, um die Nachfrage zu erfüllen.

Laut des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend benötigen 62 Prozent der Kinder unter drei Jahren und 97 Prozent der Kinder ab drei Jahren in Mecklenburg-Vorpommern einen Platz. Daher weisen die Berechnungen der Bertelsmann Stiftung für das aktuelle „Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme“ einen zusätzlichen Bedarf von 2.000 Kita-Plätzen aus. Gleichzeitig werden 98 Prozent der unter Dreijährigen und 95 Prozent der ab Dreijährigen in Gruppen mit nicht kindgerechten Personalschlüsseln betreut.

In den Krippengruppen in Mecklenburg-Vorpommern ist eine vollzeitbeschäftigte Fachkraft für 5,7 ganztagsbetreute Kinder verantwortlich. Das ist ungünstiger als der Westwert von 1 zu 3,4 und verfehlt auch deutlich das von der Bertelsmann Stiftung empfohlene Verhältnis von 1 zu 3. In den Kindergartengruppen ist der Personalschlüssel mit 1 zu 12,5 sogar bundesweit am ungünstigsten. Hier liegt der Westwert bei 1 zu 7,7 und der empfohlene Wert bei 1 zu 7,5.

„Wenn eine Fachkraft für mehr Kinder verantwortlich ist als wissenschaftlich empfohlen, leidet darunter die Qualität der pädagogischen Praxis. Es ist davon auszugehen, dass die Kitas in Mecklenburg-Vorpommern aktuell ihren Bildungsauftrag für die Mehrheit der Kinder nicht erfüllen können“, sagt Kathrin Bock-Famulla, Expertin der Bertelsmann Stiftung für frühkindliche Bildung.

Voraussetzungen für mehr Fachkräfte schaffen

Dass die Kitas in Mecklenburg-Vorpommern eine bessere Personalausstattung dringend benötigen, zeigt die Fachkraft-Kind-Relation. Sie spiegelt wider, wie viele Kinder eine Vollzeit-Fachkraft rechnerisch unmittelbar im Alltag betreut. „Wenn man Urlaubs- und Krankheitstage sowie Zeit für Teamgespräche, Vor- und Nachbereitung und Weiteres abzieht, ist davon auszugehen, dass im Schnitt nur zwei Drittel der Arbeitszeit für die eigentliche Bildung und Betreuung der Kinder zur Verfügung stehen“, erklärt Bock-Famulla. Für Mecklenburg-Vorpommern bedeutet das, dass bei einem Personalschlüssel von 1 zu 5,7 eine Fachkraft in den Gruppen der unter Dreijährigen 8,5 Kinder betreut.

Nach den Prognosen aus dem neuen „Fachkräfte-Radar für KiTa und Grundschule“ bieten die zurückgehenden Kinderzahlen in Mecklenburg-Vorpommern die Chance, bis 2030 das bessere West-Niveau bei den Personalschlüsseln zu erreichen und auch die ungedeckten Platzbedarfe zu erfüllen. Laut Bock-Famulla werde das aber nur gelingen, wenn die Mitarbeiter trotz sinkender Kinderzahlen weiterbeschäftigt, die Ausbildungsabsolventen eingestellt sowie zusätzlich deutlich weniger als 1.000 Fachkräfte für das Berufsfeld gewonnen werden.

Eine Anpassung der Personalschlüssel an den wissenschaftlich empfohlenen Wert wird in Mecklenburg-Vorpommern bis 2030 laut Prognose allerdings nicht möglich sein. „Die Landesregierung muss endlich die rechtlichen Voraussetzungen schaffen, um den Kitas zu ermöglichen, mehr Personal zu beschäftigen“, betont Bock-Famulla.

Neue Antworten gefragt

Gleichzeitig sollten die vorhandenen pädagogischen Fachkräfte von nicht-pädagogischen Aufgaben durch Verwaltungs- und Hauswirtschaftskräfte entlastet werden. Dies könnte auch die Attraktivität des Berufs steigern, da sich das Kita-Personal auf die pädagogische Arbeit konzentrieren kann. Auch die Gewinnung und Qualifizierung von Quereinsteigern sollte weiterverfolgt werden. Aber: „Aus der Forschung wissen wir, wie entscheidend die pädagogische Qualifikation des Personals für eine gute Kita-Qualität ist. Quereinsteiger, die noch nicht pädagogisch qualifiziert sind, müssen deshalb berufsbegleitend mindestens das Ausbildungsniveau der Sozialassistenz erreichen“, mahnt Bock-Famulla.

Eine weitere Maßnahme könnte darin bestehen, die Kita-Öffnungszeiten auf sieben Stunden täglich zu verkürzen. Nach Berechnungen des Fachkräfte-Radars könnten damit in Mecklenburg-Vorpommern bis 2025 die Platzbedarfe aller Eltern erfüllt werden und die Personalschlüssel das bessere West-Niveau erreichen. Zudem wünscht sich ein Teil der Eltern in dem Bundesland laut der Kinderbetreuungsstudie 2022 des Deutschen Jugendinstitutes kürzere Betreuungszeiten, als vertraglich vereinbart sind.

„Ein solches Vorgehen kann aber nur in Abstimmung zwischen Eltern, Träger und Kommune getroffen werden“, so Bock-Famulla. Darüber hinaus müssten Arbeitgeber die Arbeitszeiten von Eltern stärker an die Öffnungszeiten von Kitas anpassen. „Die Kita-Krise hat Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft und fordert alle Akteure gleichermaßen, insbesondere Politik und Arbeitgeber“, so die Expertin.


4 Antworten zu “Personalschlüssel in Kitas des Landes nicht kinderecht”

  1. Kita sagt:

    Meine Kollegen und ich verstehen die Verallgemeinerung nicht.
    In den alten BL wie HH oder München mag diese These zutreffen, aber gehen wir nur von Waren (Müritz) aus, hier buhlen Kitas um Kinder, Abwerben ist an der Tagesordnung und eine Kindertagespflege nach der anderen schließt, weil es mehr Plätze als Kinder gibt.
    Wollen wir hoffen, dass der aktuelle Geburtenrückgang nur eine Phase ist.
    Und bitte nicht jammern auf höchstem Niveau, Quereinsteiger sind nicht erwünscht.

  2. Mario sagt:

    Eine Anpassung des Personalschlüssels an den wissenschaftlich empfohlenen Wert wird in Mecklenburg-Vorpommern auch bis 2040 nicht möglich sein, wenn die Landesregierung keine rechtlichen Voraussetzungen schafft.
    Um den Kitas zu ermöglichen, mehr Personal zu beschäftigen müsste der Personalschlüssel gravierend verbessert werden, d.h. die Platzkosten würden ebenfalls gravierend steigen und sich am Westen orientieren. Wenn die Betreuung aber für Eltern weiter beitragsfrei bleibt, müssten diese Kosten vom Land, Landkreis und Kommunen getragen werden und das ist für die drei genannten natürlich zu teuer.
    Folglich bleiben die Kita-Gruppen weiter zu groß für eine Fachkraft (Personalschlüssel) und kleine Kitas schließen, weil sie nicht rentabel sind.

    Alle Kitas brauchen volle Gruppen, damit sie ihr Personal anständig bezahlen können, da die Platzkosten entsprechend dem Personalschlüssel verhandelt werden. Je voller jedoch die Kindergruppen sind, um so weniger Zeit bleibt einer Erzieherin für das einzelne Kind, d. h. je schlechter ist die Betreuungsqualität.
    In den Krippengruppen in M-V betreut eine Erzieherin wie vor 40 Jahren mindestens sechs Kinder unter drei Jahre (Wickeln, Füttern, Fördern usw. alles allein). Hier gab es seit der Wende keine Verbesserungen, nur Mehrbelastungen durch höhere Bildungsanforderungen.

    Qualität kostet auch in der Bildung und Kindertagesförderung Geld das keiner zu zahlen bereit ist.
    Wenn sich aber eine Regierung hinstellt und behauptet, dass sie hier gute Arbeit leistet, dann ist das unehrlich und scheinheilig.

    Mit dem neune Kindertagesförderungsgesetz wird die Zahl der Kindertagespflegepersonen weiter sinken, da sie nun bei entsprechender Berufserfahrung als Fachkräfte in Kitas arbeiten dürfen. Dort erhalten sie dann vielleicht Tariflohn und müssen dann nicht mehr 50 Stunden die Woche Kinder betreuen. Sie gelten allgemein als Selbständige und müssen bei Ganztagsbetreuung mindesten 50 Wochenstunden Betreuung gewährleisten. Ihr Betreuungsschlüssel lag bei 1:5, sofern sie im LK MSE dafür eine Erlaubnis bekam.

    Die Bertelsmann-Studie empfiehlt, dass eine Fachkraft max. 3 Kinder im Alter unter 3 Jahren betreut, um jedem Kind entsprechend seinen Bedürfnissen gerecht werden zu können.

    So lange jeder nur froh ist, dass seine Kinder betreut werden und die Qualität der Betreuung dabei nur eine untergeordnete Rolle spielt, wird sich da wohl auch in den nächsten 40 Jahren nichts ändern.

  3. Mario sagt:

    Betreuungsqualität in M-V fraglich

  4. Stefan sagt:

    „ Eine weitere Maßnahme könnte darin bestehen, die Kita-Öffnungszeiten auf sieben Stunden täglich zu verkürzen.“

    Natürlich würde das nur für einen Teil der Bevölkerung Einschränkungen bedeuten – den Teil mit zwei X-Chromosomen.
    Ich zweifle doch stark daran, dass es viele Männer gibt, welche beruflich zurückstecken würden. Teilzeit bewirkt selten einen beruflichen Aufstieg.
    Schon komisch, dass wir einerseits über Fachkräftemangel klagen und es dann solch aberwitzige Vorschläge gibt. Wer es sich leisten kann sein Kind für weniger Stunden unterzubringen tut dies schon heute. Für den Rest ist es allerdings oftmals keine Option.

    Solche Gedankenspiele, genau wie der Plan Elterngeld für „Besserverdiener“ abzuschaffen, helfen nicht gerade ein solides Vertrauen in die Zukunft zu erschaffen und jungen Menschen die Entscheidung pro Kind, oder besser noch Kinder, zu erleichtern.