Tandempraxis für Kinder, digitale Fallakte und bessere Vernetzung in der Alters- und Palliativmedizin

6. Juli 2018

Gestern fand in der Universitäts- und Hansestadt Greifswald das 1. Statussymposium zur „Regionalen Versorgung in MV“ statt. Das Projekt und neue Lösungsansätze für spezielle Versorgungsbereiche wurde erstmals öffentlich vorgestellt.
In einigen ländlichen Regionen Mecklenburg-Vorpommerns ist die Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen medizinischen und pflegerischen Versorgung problematisch. Zu den Ursachen gehören die geringe Bevölkerungsdichte und große Entfernungen zu bestimmten stationären und ambulanten Versorgungsangeboten. „Im Projekt ‚Regionale Versorgung in Mecklenburg-Vorpommern‘ werden gemeinsam mit niedergelassenen Haus- und Fachärzten, Krankenhäusern, der Pflege, Physio-, Ergo- und Logotherapeuten innovative, sektorenübergreifende Modelle entwickelt, um die Versorgung in ländlichen Regionen zu sichern“, erläuterte der Vorstandsvorsitzende der Universitätsmedizin Greifswald, Prof. Dr. Max P. Baur. „Im Fokus stehen dabei die Kinderheilkunde, die Altersmedizin und die Palliativversorgung.“

Das Projekt wird seit Januar 2017 vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Gesundheit Mecklenburg-Vorpommern mit 1 Million Euro bis Ende 2021 gefördert.

„Wir müssen bereit sein, neue Wege zu gehen, um die medizinische Versorgung in einem Flächenland wie Mecklenburg-Vorpommern bestmöglich zu gestalten. Die Alterung der Bevölkerung führt unter anderem zu einer Zunahme von altersbedingten Erkrankungen und dem Anstieg des Versorgungsbedarfes und der Pflegebedürftigkeit der Menschen. Die Versorgung muss stärker an den regionalen Gegebenheiten ausgerichtet werden. Um auch zukünftig eine ärztliche Versorgung in ländlichen Regionen auf dem bisherigen, hohen Niveau zu sichern, ist es notwendig, innovative, regionale und am Patienten orientierte Versorgungsmodelle zu entwickeln. Wir brauchen neue kluge Ideen für die Gesundheitsversorgung. Die Nutzung der Telemedizin sowie die Fachkräftegewinnung und neue Formen der Arbeitsteilung sind dabei zentrale Elemente“, sagte Gesundheitsmister Harry Glawe.

Mecklenburg-Vorpommern unterliegt einem tiefgreifenden demografischen Wandel. Bereits im Jahr 2015 waren 23 Prozent der über 1,6 Millionen Einwohner 65 Jahre und älter. Laut der letzten Prognose der Obersten Landesplanungsbehörde MV wird sich dieser Anteil auf rund 36 Prozent bis zum Jahr 2030 erhöhen. Die Bevölkerung schrumpft voraussichtlich auf 1,45 Millionen Einwohner.

Schwerpunkt Kinder- und Jugendmedizin

„Die medizinische und pflegerische Versorgung in den gering bevölkerten Regionen in Mecklenburg-Vorpommern ist eine große Herausforderung und erfordert die Entwicklung von sektoren- und berufsübergreifenden Versorgungsmodellen“, beschreibt Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Community Medicine, Universitätsmedizin Greifswald, das Ziel des Projekts.

Etwa 10.000 Kinder und Jugendliche in MV wohnen weiter als 20 km entfernt von der nächsten Kinderarztpraxis. Um eine fachärztliche pädiatrische Versorgung in Regionen ohne kinderärztliche Versorgung zu gewährleisten, sollen Kooperationen zwischen Haus- und Kinderarztpraxen, sogenannte „Tandempraxen“ etabliert werden. Kinderärzte oder deren Praxismitarbeiter können auf diese Art und Weise regelmäßig Sprechstunden in Hausarztpraxen anbieten. Dieses Modell soll zunächst in den Regionen Goldberg (Landkreis Ludwigslust-Parchim) und Woldegk (Landkreis Mecklenburgische Seenplatte) eingeführt und getestet werden. „Die Vorbereitungen mit potenziellen Kinder- und Hausarztpraxen laufen erfolgversprechend, so dass die ersten Tandems bald loslegen können“, kündigte Projektleiterin PD Dr. Neeltje van den Berg vom Institut für Community Medicine an.

Schwerpunkt Altersmedizin (Geriatrie)

Im Bereich Altersmedizin (Geriatrie) gibt es Regionen in MV, so unter anderem im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte, mit einer geringen Dichte an medizinischen, pflegerischen und therapeutischen Angeboten für geriatrische Patienten. Hier ist es besonders wichtig, dass sich die Behandler in den verschiedenen Sektoren und Gesundheitsberufen (z.B. Hausärzte, Ergo- und Physiotherapeuten, Krankenhäuser, Apotheken) untereinander besser vernetzen und regional abgestimmte Behandlungspfade entwickeln. Um diese Entwicklung zu unterstützen, wird eine regionale digitale Fallakte für die geriatrische Versorgung aufgebaut. Durch die regionale Fallakte sind die Diagnostik- und Therapieschritte, Befunde und Berichte bei allen Behandlern des Patienten bekannt und können aufeinander abgestimmt und optimiert werden. Die regionale, digitale Fallakte wird zunächst als Modell in der Region Waren (Müritz/Landkreis Mecklenburgische Seenplatte) zusammen mit den dortigen Akteuren umgesetzt. Wenn sich das Modell bewährt, sollen weitere Regionen folgen.

Schwerpunkt Hospiz- und Palliativversorgung

Im Rahmen des Projektes wurde ein umfassender Lagebericht zur Hospiz- und Palliativversorgung in Mecklenburg-Vorpommern erstellt. In diesem Bericht wurden die Bedarfsentwicklung in der ambulanten und stationären Palliativ- und Hospizversorgung sowie die aktuelle Struktur der Versorgungsangebote untersucht. Die geringe Bevölkerungsdichte ist eine Herausforderung für die Sicherstellung einer bedarfsgerechten Palliativ- und Hospizversorgung. Die Schnittstellen zwischen den verschiedenen Leistungserbringern, insbesondere zwischen der allgemeinen und der spezialisierten Palliativversorgung sowie zwischen dem ambulanten und stationären Sektor müssen verbessert werden.

Auf der Basis der Evaluationsergebnisse wird zunächst ein Modellprojekt zur besseren Vernetzung von Pflegeeinrichtungen mit Palliativversorgern, beispielsweise Hausärzten und SAPV-Teams (SAPV=Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung) umgesetzt. In Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern werden zusätzliche Qualifizierungen für Pflegekräfte in den Pflegeeinrichtungen angeboten mit dem Ziel, den Bedarf für Palliativversorgung zu erkennen und die richtigen Partner einzubeziehen. An diesem Vorhaben können sich stationäre Pflegeeinrichtungen aus ganz MV beteiligen.

„Die regionalen Akteure in MV beteiligen sich intensiv an der Entwicklung der verschiedenen Versorgungsmodelle. Das sind keine Konzepte vom grünen Tisch, sondern Lösungen aus der Praxis, in denen die regionalen Bedarfe und Möglichkeiten berücksichtigt werden“, betonte Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann abschließend.


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