Uwe Holmer gab den Honeckers vor 30 Jahre eine Bleibe

11. Februar 2020

„Wir wollten den neuen Weg 1990 nicht mit Hass beginnen, sondern mit Versöhnung“, sagt Uwe Holmer. Der Pastor, der vor wenigen Tagen 91 Jahre alt geworden ist, sitzt in seinem Wohnzimmer in Serrahn bei Krakow am See und denkt kurz an die Zeit damals vor 30 Jahren zurück. Ein Zufall katapultierte Holmer damals in die Öffentlichkeit: Er war Leiter der christlichen Einrichtung in Lobetal bei Berlin. Und als die schon recht betagte Führungselite der SED ihre komfortable Wohnsiedlung Wandlitz räumen musste, wurde eine Unterkunft für den Ex-Staats- und Ex-SED-Chef Erich Honecker mit Frau Margot gesucht, die vor allem auch sicher genug sein sollte.

Der Volkszorn war damals groß. „Niemand wollte den Honeckers damals helfen“, erinnert sich Holmer, der diese Zeit in dem Buch „Der Mann, bei dem Honecker wohnte“ verarbeitet hat. Der 77-jährige Honecker, für den Ex-Stasi-Chef Erich Mielke ja auch ein Jagdobjekt in Drewitz teuer hatte ausbauen lassen, sollte erst eine Wohnung in Berlin bekommen.
„Doch die erschien den Sicherheitskräften und dem DDR-Anwalt Wolfgang Vogel nicht sicher genug“, erzählte Holmer „Wir sind Müritzer“. Auch in seine Jagdobjekte konnte Honecker nicht mehr. Dann wurde die Bitte an die Kirche herangetragen, so dass sich auch der damalige Konsistorialpräsident Manfred Stolpe (später Ministerpräsident in Brandenburg) damit befasste.

„Mussten Honeckers auch beten“

Als Holmer von den Problemen hörte, dachte er an die christlichen Gebote. „Im Zentrum des Glaubens steht die Versöhnung“, sagt er. Und: Die neue Sache könne nur gelingen, wenn die alte in Frieden abgeschlossen wird. Die letzten 30 Jahren dürften dem Gottesmann Recht geben. In Rumänien war das anders; dort wurden der frühere Diktator Nicola Ceaușescu und dessen Frau 1989 von aufgebrachten Menschen getötet.

Außerdem war Lobetal, wo 350 Mitarbeiter damals 450 Bewohner betreuten, auch als Aufnahmestätte für Obdachlose aus Berlin entstanden. Schließlich fuhr Holmer Anfang 1990 nach Berlin und sprach mit Stolpe. So kam der entmachtete Ex-Regierungschef nach Lobetal, ins Haus des Leiters. Dort wurde bei Holmers zu den Mahlzeiten auch gebetet. „Ein Reporter hat dann gefragt, ob Honeckers auch beten müssten“, erinnert sich Holmer. Er habe geantwortet: Er pflege seine Gäste beim Beten nicht zu beobachten.

Im Buch schildert Holmer die Spaziergänge mit dem 77-jährigen Honecker, der sich ungern fotografieren ließ. Das ganze christliche Dorf habe ihm damals beigestanden, habe mit aufgebrachten Demonstranten und Journalisten diskutiert, die immer wieder vor dem Holmer-Haus auftauchten.

Jahrelang Kontakt zu Margot

Nach acht Wochen glaubten die Verantwortlichen, eine bessere Bleibe für Honeckers gefunden zu haben. Das Paar zog in ein Haus nach Lindow bei Neuruppin um. Doch schon nach wenigen Tagen habe Anwalt Vogel gefragt, ob sie wieder zurückkommen können. Die Lage in Lindow sei durch aufgebrachte Bürger zu gefährlich geworden. „Wir haben sie wieder aufgenommen“, sagt Holmer. Nach insgesamt zehn Wochen konnten die Honeckers dann nach Beelitz umziehen: dort wurden sie von der Sowjetarmee aufgenommen, beschützt und im Lazarett auch medizinisch versorgt. „Das war wohl das Beste für alle“, sagt der Pastor rückblickend.

Er besuchte Honecker später noch einmal, als dieser in einem Gefängnis in Berlin saß und auf seinen Prozess wartete. Der Prozess wegen der Toten an der Mauer begann Ende 1992 wurde aber schon im Januar 1993 beendet. Das Gericht beendet das Verfahren wegen der Erkrankung Honecker, der dann nach Chile zu seiner Frau Margot flog. Er starb im Mai 1994.

Holmer hatte noch mehrere Jahre brieflichen Kontakt mit Margot Honecker, die immer dankbar für die Hilfe geblieben war. Der Pastor zog schon Anfang der 1990er Jahre nach Serrahn um, wo die Diakonie eine Klinik für Suchtkranke betreibt. Dort predigt der 91-Jährige heute manchmal noch. Ansonsten freut er sich an der Entwicklung seiner Kinder, Enkel und Urenkel. Die Familie ist sehr groß: Seine zehn leiblichen Kinder – die erste Frau starb 1994 – haben 49 Enkel und 40 Urenkel. „Da hat meine jetzige Frau den Überblick“, gesteht Holmer, der eigentlich früher Autoschlosser hatte werden wollen. Doch seine Begeisterung für Latein ließ ihn einen anderen Weg einschlagen. Seine jetzige Frau hat übrigens auch noch Kinder und weitere 12 Enkel in die Familie mit eingebracht.


Kommentare sind geschlossen.