Verschollenes Gemälde kehrt nach Neubrandenburg zurück

22. November 2021

Die Kunstsammlung der Vier-Tore-Stadt hat jetzt das Gemälde „Landschaft mit Hirt und Herde“ aus dem 17. Jahrhundert geschenkt bekommen. Das Bild galt mehr als 100 Jahre als verschollen. Es ist ein Glücksfall, das Recherchen ins finnische Helsinki führten, wo das Bild im Amos Anderson Art Museum (seit 2018 Amos Rex) von Provenienzforschern entdeckt wurde. Das Werk hat dank umfangreicher Untersuchungen und der entgegenkommenden Zusammenarbeit und Großzügigkeit des Voreigentümers in Finnland wieder zurück in die Vier-Tore-Stadt gefunden.

„Unser Amos wär sehr glücklich“, sagt Kai Kortio. Der Direktor des finnischen Kunstmuseum Amos Rex aus Helsinki ist zum ersten Mal an die Mecklenburgische Seenplatte gekommen. Das Museum beruht auf der großen Kunstsammlung des finnischen Verlegers Amos Andersen. Der Sammler, der 1961 starb, war zu seiner Zeit schon europaweit auf Suche. Schließlich fand er 1926 ein Bild des Malers Philipp Peter Roos.

Europaweit nach Bildern gesucht

Nun stellte sich heraus, dass das Gemälde “Landschaft mit Hirt und Herde” von Roos  eigentlich nach Neubrandenburg gehört.  So übergab Kunstexperte Kortio am Samstag diese Gemälde wieder an die Stadt Neubrandenburg. Die Stiftung seines Museums hatte das Bild, ohne zu wissen, dass es nach Deutschland gehört, 2012 noch einmal restaurieren lassen. Nun als klar war, dass es aus der alten Neubrandenburger Sammlung stammte, wurde es als Schenkung zurückgeschickt. Zum Glück hatte das Bild bei einer Inventarisierung 1890 in Neubrandenburg eine Nummer auf der Rückseite erhalten.

Sichtlich bewegt dankte Kunsthistorikerin Elke Pretzel den finnischen Gästen. Die historische Kunstsammlung Neubrandenburgs gilt seit 1945 als verschollen. Sie umfasste einst mehr als 10 000 Gemälde, Porzellanarbeiten und Schmuck von hauptsächlich zwei Sammlern. Anhand von Inventarlisten wird über das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste europaweit nach den Bildern gesucht.

Neubrandenburg besaß von 1890 bis 1945 eine Städtische Kunstsammlung, die aus den Legaten des Malers Henry Stoll (1822-1890) und des Kunsthändlers August Schmidt (1825-1911) erwuchs. Sie verfügte über einen Bestand von 10.000 bis 15.000 Werken mit einem kunsthistorischen und materiellen Wert von mehreren Millionen Euro.

Beim Brand der Neubrandenburger Innenstadt in der Endphase des 2. Weltkrieges, in der Nacht vom 29. auf den 30. April 1945, sind das Museum und dessen historische Dokumente zerstört worden. Die Sammlung selbst soll kurz vorher Richtung Westen evakuiert worden sein. Jedoch erst Jahre nach dem Umbruch der DDR begann 1998 die Suche nach den verschollenen Werken.

Eine lange Recherche

1998 wurden im Amtsgericht Neubrandenburg Nachlass- und Magistratsakten der Stiftung Stoll aufgefunden. Durch ihre Auswertung und weiterer Recherchen konnten 1.159 Kunstwerke als Neubrandenburger Eigentum nachgewiesen werden. Diese wurden 2003 bei der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste (seit 2015 Deutsches Zentrum Kulturgutverluste) angezeigt und sind als Verlustmeldungen online (www.lostart.de) abrufbar. 2004 wurde darüber hinaus ein Verlustkatalog publiziert und an alle relevanten Stellen verschickt. Recherchen führten ins finnische Helsinki, wo sich das mehr als hundert Jahre verschollene Gemälde aus Neubrandenburg fand.

Das Gemälde „Shepherd with a cow, goats and sheep“ mit ungeklärter Herkunft wurde in Helsinki im Amos Anderson Art Museum (Amos Rex) durch finnische Provenienzforscher im Jahr 2005 identifiziert. Dieses Werk und der Neubrandenburger Verlust des Gemäldes „Landschaft mit Hirt und Herde“ wiesen überraschende Übereinstimmungen auf. Neben dem identischen Bildinhalt besitzt das Gemälde auf der Rückseite die Nummer 648. Diese entspricht der Nummerierung des in Neubrandenburg als Verlust gemeldeten Werkes. Deshalb gab es bereits seit 2019 intensive Kontakte zum Amox Rex in Helsinki, die schließlich dazu führten, dass sich die Finnen 2021 dazu entschlossen haben, dass das Gemälde an seinen Ursprungsort zurückkommen soll. Die Beweise belegten eindeutig die Herkunft des Werkes.

Ein weiterer Beweis

2006 fanden die Provenienzforscher in der Finnischen Nationalbibliothek einen Restaurierungsbericht von 1926 über die Reinigung des Gemäldes „Shepherd and Cattle“ aus dem Besitz des Sammlers Amos Anderson (1878-1961). Diese weitere Übereinstimmung bedeutet, dass das Gemälde nicht erst seit 1945 verschollen war. Es ist bereits bei einem Einbruch 1919 in die Städtische Kunstsammlung neben 17 weiteren Gemälden gestohlen worden. Wie es nach Skandinavien gekommen ist, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. Ein weiterer Beweis, dass es sich bei dem Glücksfall aus Helsinki tatsächlich um Neubrandenburger Kunst handelt, lieferte die alte Retusche, die sich bei Analysen zeigte.  Schließlich ist überliefert, dass sich das Neubrandenburger Gemälde 1890 „in Restauration“ befand. 2012 wurde das Gemälde durch das Amos Anderson Art Museum umfassend restauriert.

„Landschaft mit Hirt und Herde“ ist ein Geschenk der Finnen an die Stadt. Nach mehr als 100 Jahren wurde es dank der entgegenkommenden Zusammenarbeit möglich, dass das verschollene Bild zurückkehrt.

„Neben den Scherben, die im Brandzimmer ansprechend das Schicksal der abgebrannten städtischen Kunstsammlung darstellen, gehört das Geschenk aus Finnland als einziges zu den Werken, die uns aus unserer alten Sammlung geblieben sind. Dieser Glücksfall und das Entgegenkommen der Verantwortlichen in Helsinki macht mich ausgesprochen glücklich und dankbar“, hebt Oberbürgermeister Silvio Witt hervor, der vor wenigen Wochen persönlich nach Helsinki gereist war, um die Schenkungsurkunde zu unterschreiben.

Große Dankbarkeit

„Das Werk gilt in der Sammlung von Amos Anderson als wertvoll, hat aber in seinem historischen Kontext einen höheren Wert für die Kunstsammlung in Neubrandenburg. Deshalb haben wir uns entschieden, es der Stadt zu spenden“, sagt Stefan Björkman, CEO von Föreningen Konstsamfundet. (Die Kunstsammlung von Konstsamfundet wird von Amos Rex verwaltet.) Anderson reiste in den 1920er Jahren viel und war unter anderem auch in Deutschland. Es ist möglich, dass Amos Anderson das Gemälde in gutem Glauben von einem Deutschen Antiquitätenladen erworben hat. Einen Nachweis gibt es aber dafür nicht.

Dr. Elke Pretzel hat seit Jahren nach verschollenen Kunstwerken recherchiert. Für sie hat das Geschenk der Finnen eine ganz besondere Bedeutung: „Dass die lange Recherchereise so einen erfreulichen Ausgang gefunden hat, bewegt mich sehr und erfüllt mich mit großer Dankbarkeit gegenüber dem Vorbesitzer. Die erste Begegnung mit dem Original war für mich höchst emotional. Mit Freude werden wir dem heimgekehrten Gemälde einen gebührenden Platz in unserer Bestandsausstellung einrichten.“


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