Urteil: Leonie durchlebte vor ihrem Tod ein Martyrium

9. Januar 2020

Am Ende nutzte ihm auch die scheinbare Zurückhaltung nichts: Das Landgericht Neubrandenburg hat den Stiefvater von Leonie wegen Mordes, schwerer Misshandlung von Schutzbefohlenen und Körperverletzung mit Todesfolge zu „lebenslänglich“ verurteilt. Der arbeitslose Mann habe „mit gefühlloser Gesinnung und ohne Empathie gehandelt“, beschrieb es Richter Jochen Unterlöhner. Und um es kurz zu machen: Die „Variante“ mit dem Treppensturz nahm die Kammer dem Mann komplett nicht ab.
Hintergrund der Entscheidung sind eine ganze Reihe von Widersprüchen, die das Gericht feststellte. Obwohl der 28-Jährige im Prozess nichts sagte. Dort ließ er nur eine schriftliche Erklärung vorlesen, in der unter anderem stand, dass er „die Kinder nie geschlagen hat.“ Fragen beantwortete er nicht.

Doch vorher hatte er am 12. Januar, als Leonie tot gefunden wurde, mit Polizisten, Rettungskräften und anderen gesprochen, bei der Polizei Angaben gemacht und auch bei Haftrichtern. Dabei gab es so viele Widersprüche, dass die Kammer ihm so gut wie nichts glaubte.

Beispiel: Wo hat Leonie nach dem angeblichen Sturz gelegen? Da hatte er erst erzählt, dass es ganz unten im Flur war. Später hieß es, auf dem Zwischenpodest, wo es eine Marmorfensterplatte gab. „Das kann man nicht durcheinander bringen“, sagte der Richter. Unklar sei auch, welcher der beiden Puppenwagen denn abgestürzt war, ob die Mutter einkaufen oder doch da war, und schließlich habe er der Mutter auch vorgespielt, schon zwei Stunden eher den Rettungsdienst angerufen zu haben. Deshalb wurde er auch wegen „Mordes durch Unterlassen“ verurteilt. Er habe mit der Täuschung verhindern wollen, dass Leonie jemand von seinen Gewalttaten erzählt.

Schon bei Kleinigkeiten gewalttätig

Im Gegenteil zu dem Stiefvater habe die Mutter glaubwürdige Angaben gemacht. Danach habe der Stiefvater die kleine Familie bereits nach außen hin abgeschottet, „sein Revier abgegrenzt“, als sie am 1. Juli 2018 nach Torgelow umgezogen waren. Statt selbst arbeiten zu gehen, habe er die Kleinkinder bei Kleinigkeiten geschlagen. So sollte der Zweijährige abtrocknen. Als er einen Teller fallen ließ, sei er an die Wand geworfen worden. Als eines der Kinder eine Windel in den falschen Müllsack warf, habe er das Kind an den Beinen hochgehoben und in diesen Müllsack gehalten, wie ein Cousin schilderte. Andere Zeugen beschrieben weitere „Ausraster“ des anscheinend sehr impulsiven und cholerischen Mannes.

Das setzte sich fort. Was die Mutter hinter verschlossenen Türen als „Spirale der Gewalt“ beschrieb, mündete letztlich in Leonies Tod. „Das Mädchen hatte mitbekommen, dass die Mutter sich von dem eifersüchtigen Mann trennen wollte“, beschrieb es der Richter. Als es am 8. Januar 2019 zu einem Streit deswegen kam, wurde Leonie grob geschubst, so dass sie sich unter anderem den Daumen brach. Pech für den Täter: Es gab ein Bild auf Facebook, wo er Leonie fütterte, die ein großes blaues Auge hatte und wegen der Verletzungen nicht allein essen konnte.

Mit einem Bügel geschlagen

Dann kam der 12. Januar: Die Mutter war Einkaufen, Leonie wollte vermutlich hinterher. „Auf jeden Fall nicht allein mit dem Stiefvater bleiben“, sagte der Richter. Dann sei der ältere Puppenwagen aus der Wohnungstür die Treppe heruntergefallen. Das habe der Mann gehört, Leonie hineingezogen und „bestraft.“ Beim Umräumen im Schlafzimmer hatte er einen mit Schaumstoff ummantelten Bügel eines Kinderwagens gefunden, mit dem er gegen den Kopf des Mädchen geschlagen habe. Dazu kam mindestens ein Faustschlag in den Bauch, wovon innere Verletzungen herrührten. Das Mädchen starb an Hirnverletzungen, die auf „massive Gewalt gegen den Kopf zurückzuführen waren“, wie eine Gutachterin feststellte. Das könne nicht von einem Sturz auf der Treppe sein. Wenn allerdings eher Hilfe geholt worden wäre, hätte sie überleben können.

Der Verurteilte ließ äußerlich kaum eine Regung erkennen, er saß mit dem Gesicht zum Tisch gewandt. So hatte er meist den Prozess schon verfolgt. Ein Nachbar hatte als Zeuge aber geschildert, dass es in der Wohnung oft sehr laut zuging. Als einmal der Vater des Verurteilten und sein Bruder da waren, da seien Begriffe gefallen, die er nie sagen würde und so wüste Beschimpfungen und Drohungen, dass er schon die Polizei rufen wollte. Später habe sich der Stiefvater entschuldigt. „Einige der Retter hatten ihn am Todesabend auch als Laienschauspieler beschrieben“, sagte der Richter. Das treffe wohl annähernd den Kern. So hatte der Verurteilte damals sogar die Sanitäter und den Notarzt beschimpft, weil sie Leonie nicht gerettet hätten.

Revision möglich

Am Ende des Prozesses wollte ein Verteidiger noch mit dem Verurteilten reden, da wurden diesem wohl die Kameras zu viel. Er hielt weiter einen Ordner vor das Gesicht, zog sich eine Kapuze über und verschwand. Beobachter rechnen damit, dass das nicht das letzte Kapitel war.

Innerhalb einer Woche muss die Verteidigung, die ein milderes Urteil erhofft hatte, entscheiden, ob Revision eingereicht wird. Und das Gericht ließ durchblicken, dass auch gegen die Mutter noch verhandelt werden wird. Unklar sei, warum sie es nicht früher vermocht hatte, sich von dem aggressiven Mann zu trennen und ihre beiden älteren Kinder vor den Gewalttaten zu bewahren. Das solle aber getrennt verhandelt werden.


6 Antworten zu “Urteil: Leonie durchlebte vor ihrem Tod ein Martyrium”

  1. Rashida-Rihanna Winkelhag sagt:

    So ein Monster gehört das gleiche angetan.
    Auge um Auge,Zahn um Zahn, Leben für ein Leben, ,Hand für Hand, Fuß für Fuß, Brandmal um Brandmal, Beule um Beule
    So steht es schon in der Bibel geschrieben.
    Exodus 21: 23-25

    • Elimar sagt:

      Eine einseitige Bibelauslegung. In der Welt, die Frau Winkelhag fordert, will ich nicht leben;
      in der grauen, schrecklichen, über die sie fabuliert aber auch nicht:
      https://idreporter.net/v/video-NCmBeBR6x-g.html
      Das möchte ich sagen, bevor das schreckliche Martytrium der kleinen Leonie womöglich politisch instrumentalisiert wird.

      • Hermann W. sagt:

        Elimar, Sie haben ja im Ergebnis nicht unrecht, aber was bedeutet „einseitige Bibelauslegung“. Heutzutage wird öfter, nicht nur in der Politik, etwas behauptet, ohne es belegen zu können. Wurde da evtl. etwas ganz anderes gemeint? Wäre schön, wenn Sie uns das erklären würden.

        • Elimar sagt:

          Hermann W.
          ich antworte auf Fragen, so gut ich kann. Zunächst: Ich bin nicht bibelfest. Dennoch: Auge um Auge, wenn nur das für Christen gelten würde, wäre es für uns alle schlimm. Soweit ich weiß, kennt die Bibel auch das Wort Nächstenliebe. Auch soll sich Gott der Sünder annehmen, jeden Menschen lieben, dann, wenn sie ihm vertrauten und demzufolge auch Ihre Taten bereuten. Bitte missverstehen Sie mich nicht. Mir ging es nicht darum, zu werten, was in dem Fall passiert ist oder gar zu verharmlosen.

          Bei der Warnung vor der Instrumentalisierung ging es mir nur um das düstere Bild unserer Gesellschaft von Frau Winkelhag. Ich vermute, ihr mangelt es einfach an Serotonin. Seit der wutgeladenen Demonstration in Chemnitz können alle wissen, wie sie tickt. Darüber will ich mich hier nicht auslassen.

          Weil ich nicht mehr weiß, als die Juristen, äußere ich mich natürlich auch nicht zu Schuld und Strafmaß.

          • Hermann W. sagt:

            Sie sind nicht ganz auf meine Frage eingegangen. Mir ging es nur um die einseitige Bibelauslegung. Ich bin davon überzeugt, dass „Auge um Auge usw.“ in der damaligen Zeit auch so gemeint war. Man hat z.B. einem Dieb nicht im übertragenen Sinne die Hand abgehackt. Natürlich wird das in der heutigen Zeit humaner gedeutet, da es mit der, zumindest zivilisierten, Rechtsprechung nicht vereinbar ist.

  2. Ingolf sagt:

    Was da geschehen ist, kann man eigentlich nicht wirklich in Worte fassen. Doch die vermeintlichen Bibelzitate sind wohl eher aus dem Zusammenhang genommen worden. Wir sollten uns vielleicht jeder selber fragen, wozu wir in bestimmten Situationen in der Lage sind. Ich hoffe und wünsche, dass sich solch schlimme Begebenheiten nicht wiederholen.