Nachruf: Ein Warener Musiker hat die weltliche Bühne verlassen

6. Mai 2023

Er konnte gerade einmal laufen, als er auf die Idee kam, sich Weckgummis an Möbel zu spannen und darauf Gitarre zu spielen – eine Geschichte, die seine Mama immer wieder gerne erzählt hat und zugleich der Beginn einer Musiker-Karriere, die an der Müritz beispiellos war. Der zweijährige Knirps war Thomas Müller, auch als Tom Piano bekannt. Am Mittwoch ist Thomas im Alter von 57 Jahren nach schwerer Krankheit im Beisein seiner Familie gestorben. Der Warener hinterlässt nicht nur vier Kinder, sondern viele Spuren – an der Müritz und darüber hinaus. „Er war ein wunderbarer, ein sehr ehrlicher Mensch“, beschreibt Musiker Jan Wallner seinen Freund Thomas.
„Wir sind Müritzer“ hat mit Wegbegleitern und seiner jüngsten Schwester Christina über Tom, sein Leben, sein Wirken, aber natürlich auch seinen politischen Einsatz gesprochen. Denn der gehörte in den vergangenen Jahren zu seinem Leben, fast so, wie die Musik.
Ein Nachruf, der zudem persönliche Erinnerungen der Autorin an Thomas Müller enthält:

Thomas war nicht nur leidenschaftlicher Musiker, sondern auch leidenschaftlicher Müritzer. Zwar zog es ihn im Laufe seines Leben hin und wieder weg aus der Heimat, doch er kehrte immer wieder zurück. Waren war, so hat er einst gesagt, seine Insel, auf der er sich wohl fühlte. Nicht nur, weil er in der Müritzstadt aufgewachsen ist, sondern auch, weil hier viele Freunde von ihm leben. Denn Thomas war ein Mensch, der andere Menschen brauchte – Familie, Freunde, Musikerkollegen. Er war für sie da und sie für ihn. Bis zum letzten Atemzug.

Nach dem Beginn seiner rhythmischen Karriere an Weckgummis dauerte es nicht lange, bis er zum ersten Mal die Musikschule betrat. Fortan gehörte vor allem das Klavier zu ihm wie heute die Handys zu den Jugendlichen. Wo ein Klavier stand, setzte er sich ran und begann zu spielen. Mal einstudierte Titel, aber auch eigene Songs. Wo kein Klavier stand, trommelte er eben mit den Fingern auf der Tischplatte los. Schon früh begann Thomas, selbst Musik zu schreiben, einige dieser Werke, die in seiner Jugend entstanden, hat er noch bis vor kurzem gespielt. 

Wilde Locken und ein verschmitzter Blick

Meine ersten Begegnungen mit Thomas liegen inzwischen fast 40 Jahre zurück. Seine jüngste Schwester Christina war in der Schulzeit meine beste Freundin, ich gehörte damals fast zur Familie. Nur den ältesten Bruder Dieter habe ich kaum kennengelernt, er war damals schon aus dem Haus. Thomas war der Zweitgeborene, wie man so schön sagt. Seine Schwestern Cornelia und Christina sind mit ihm aufgewachsen. Alle selbst musikalisch begabt, haben sie dennoch Thomas und sein Können immer bewundert. Ich auch. Gerne erinnere ich mich an eine Begegnung, als Thomas nach Hause kam, sich sofort ans Klavier schmiss – ja schmiss – und einen aktuellen Song, den er zuvor im Radio gehört hat, spielte. Ohne Noten oder irgendwelche Vorgaben. Einfach so. Für mich unglaublich. Dazu seine wilden Locken und sein verschmitzter Blick – Thomas war in meiner Generation so etwas wie ein regionaler Star, den man anhimmelte. Heute würde man wohl Influencer sagen. Erst Recht, als er später in Bands spielte. Das hat er glaube ich genossen. Warum auch nicht. 

„Thomas war nie der Typ, der lange geübt und geprobt hat, immer erst kurz vordem. Das war auch okay, denn er konnte es einfach, war sehr professionell“, erzählt Jan Wallner, besser bekannt als „Zappel“. „Wir waren wie Zwillingsbrüder, haben viel zusammen erlebt“, so Jan. Und: „Die gemeinsamen Zeiten bei TEST waren einfach geil. Die werde ich nie vergessen.“ Aus dieser Zeit stammt auch die Story mit der „Schatzkiste“, die „TEST“ zu ihren Auftritten immer dabei hatte. Inhalt: Whiskey. Wer etwas genommen hat, musste sich auf der Strichliste eintragen, am Ende des Monats wurde abgerechnet. „Manchmal blieb dann gar keine Gage mehr übrig“, gibt Jan Wallner amüsiert zu. Beide haben nicht nur bei „TEST“ zusammen Musik gemacht, sondern später auch deutlich rockiger bei „The Fingers“. 

„Einfach Granate“

Apropos „TEST“ – die Band gehörte zu den beliebtesten in der Region und ist auch heute noch gefragt. Im Leben von Thomas Müller spielte sie eine große Rolle, viele Jahre war er Chef der Gruppe, die zu DDR-Zeiten den „Schuppen“ auf dem Mühlenberg zum Beben brachte. Wer dabei sein wollte, brauchte Beziehungen oder kletterte über den Blitzableiter durchs Fenster. Nebenher verdiente Thomas sein Geld auch als Musiklehrer. „Er hat mir die ersten Noten beigebracht und ist zum Freund geworden. In den vergangenen zehn Jahren haben wir tolle gemeinsame Projekte gerockt. Das coolste: Das Tom-Piano-Trio. Einfach Granate“, berichtet Musiker Alexander Börst, der seit vielen Jahren das Musikantentreffen im Januar im „Seehotel Ecktannen“ organisiert. In diesem Jahr war auch Thomas noch mit dabei. Bereits gezeichnet von seiner Krankheit, aber nach wie vor mit Freude. Doch: Es war ein anderer Thomas Müller, den die Gäste erlebten. Ein Musiker, der sich nicht nur durch seine Krankheit verändert hat. Sein Wandel, sein intensives Nachdenken über das Leben, begann lange vordem. Wahrscheinlich, so vermutet es seine Schwester Christina, als Thomas vor zehn Jahren seine schwerkranke Mama hingebungsvoll bis zu ihrem Tod begleitete. „Das hat was mit ihm gemacht. Das war auch die Zeit, als er langsam zum Glauben zurück fand. Thomas war ein sehr sensibler Mensch. Sein Leben lang, auch wenn er es nach außen manchmal nicht so offenbart hat.“

Wie sehr ihn das Geschehen in der Welt persönlich beeinflusst hat, wie nahe ihm aktuelle Ereignisse gingen und wie sein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn sein Handeln beeinflusste, zeigte sich – für jeden an der Müritz erlebbar – mit Beginn der Corona-Pandemie. Der Musiker, der mehr als 100 Auftritte im Jahr absolvierte, stand plötzlich ganz ohne da – alles war weg: Bühne, Publikum, Applaus, Selbstbestimmtheit und Verdienst. „Das war ganz schlimm für Tom. Für einen Musiker, der nicht mehr auftreten darf, ist das die Höchststrafe. Das hat ihm zu schaffen gemacht“, erzählt Jan Diller. Auch er – Chef der Bigband des Bundespolizeiorchesters – gehörte zu den Freunden des Verstorbenen. 

Gemeinsam gelacht und geweint

Einfach so akzeptieren wollte Thomas dieses „Corona-Berufsverbot“ nicht. Er setzte sich mit dem Thema sehr intensiv auseinander und wollte zeigen, was die Maßnahmen mit den Menschen anrichten – nicht nur mit Musikern. Und so gründete er zunächst einen „Querdenker-Ableger“ an der Müritz. Eine Aktivität, mit der er sich nicht nur Freunde machte. Egal, Thomas stand für seine Meinung, schrieb an die Landesregierung, organisierte Demonstrationen, fuhr nach Schwerin. Doch, und das erzählen alle Weggefährten: Der Musiker wollte nicht spalten. Er wollte, dass man sich mit dem Thema beschäftigt, dass man darüber diskutiert.

Reden über Gott und die Welt war ohnehin sein Ding. „Ich konnte mit Thomas stundenlang über alle möglichen Themen philosophieren“, erzählt Jan Diller. Wolfgang Naudieth, Musiker und Freund von Tom gehörte ebenfalls zu jenen, die gerne mit Thomas redeten. „Die ganzen Demo-Sachen waren nicht so mein Ding. Aber der Mensch Thomas, der immer fair war. Wie haben manchmal ewig gequatscht, ohne auf die Uhr zu schauen. Haben gemeinsam gelacht, auch mal geweint.“

Zu Beginn der Corona-Pandemie hat Thomas bekanntlich auch Beiträge für „Wir sind Müritzer“ verfasst. Die Zusammenarbeit haben wir beide im besten Einvernehmen wenig später beendet. Nicht, weil wir hier und da unterschiedliche Ansichten hatten, sondern einfach, weil Thomas zu tief drin steckte und sich mehr in eine Richtung engagieren wollte. Entgegen einiger Gerüchte gab es zwischen Thomas und mir nie Streit. Wir konnten uns – wie es eigentlich alle erwachsenen Menschen tun sollten – unterhalten, Meinungen austauschen, ohne den anderen wegen seiner Ansicht zu beschimpfen. Also all das, was heute leider vielfach fehlt.

Von den „Querdenkern“ verabschiedete sich der Musiker ziemlich schnell und gründete schließlich eine eigene Initiative: „Menschlich – Stark – Miteinander“. „Menschlich und miteinander waren sein großer Wunsch. Dazu Frieden und Liebe. Kein Gegeneinander, kein Spalten, keine Aggressionen“, sagt seine Schwester Christina.  Die Initiative gibt es heute noch, das hat Thomas bis zum Schluss gefreut.

Aber auch bei den Demos und Aktionen – ob gegen die Corona-Maßnahmen oder den Ukraine-Krieg – die Musik spielte selbst dort eine große Rolle. Musik war eben Thomas Leben. Musik kann verbinden, Musik kann vermitteln, Musik kann heilen.

Für Thomas Müller gab es keine Heilung. Seine Musik hat ihn aber bis ganz zum letzten Atemzug begleitet. Hinüber in eine andere Welt.

                                                                                                                                           Antje Rußbüldt-Gest

Weggefährten über Thomas Müller:

Jan Diller, Chef der Bigband des Bundespolizeiorchester: Thomas war ein fantastischer Musiker und ein wunderbarer Mensch. Er war für mich ein Quell, einer der ganz Großen. Ich hatte das Glück, mich von ihm verabschieden zu dürfen. Dafür bin ich sehr dankbar.

Wolfgang Naudieth, Musiker und Freund: Wir hatten in verschiedenen Bands tolle Zeiten  und eine Freundschaft, die es wohl so im Leben nur einmal gibt. Thomas war ein sehr fairer Mensch mit einem grandiosen Humor. Ich habe mit ihm mehr Zeit verbracht als mit meinen Eltern oder meiner Frau.

Ronald Schützler, Musiker und Freund: Thomas und mich hat die Musik verbunden. Zuerst bei „TEST“. Dort war er mein Nachfolger. Viele, viele Jahre später, als ich mich zwischenzeitlich aus beruflichen Gründen vom Musikmachen verabschiedet hatte, war es Thomas, der mich reaktivierte. Seither mache ich wieder Musik. Auch wenn wir politisch gesehen weniger gemeinsame Schnittmengen hatten, konnten wir gut miteinander reden, unsere Verbindung ist nie abgebrochen. Ich bin überzeugt davon, dass Thomas bei allem, was er tat, nur gute Absichten hatte. Als der Lions-Club im Lockdown die Idee hatte, vor den Alten- und Pflegeheimen Musik zu machen, war Thomas sofort dabei.

Jan Wallner (Zappel), Musiker und Freund: Wir waren wie Zwillingsbrüder. Thomas war einer der ehrlichsten Menschen, die ich kenne. Und ein unwahrscheinlich begabter Musiker. Die Corona-Zeit hat ihn zerfressen. Nicht mehr als Musiker arbeiten zu dürfen konnte er nicht einfach so wegstecken. Mit vielen Dingen, die er schon am Anfang anprangerte, hat er Recht behalten. Wir beide hatten viele geile Zeiten, die ich nie vergessen werde.

Alexander Börst, Musiker und Freund: Thomas hat mir an der Volkshochschule die ersten Noten beigebracht und wurde zum Freund. Wir lagen immer auf einer Wellenlänge. Manchmal haben wir uns nur ganz kurz angerufen, einfach um zu hören, ob beim anderen alles okay ist. Besonders beeindruckt hat mich, wie aufopferungsvoll sich seine Familie in den vergangenen Wochen und Monaten um ihn gekümmert hat.

Die Trauerfeier für Thomas Müller findet am 13. Mai um 13.05 Uhr in der Warener Marienkirche statt.


11 Antworten zu “Nachruf: Ein Warener Musiker hat die weltliche Bühne verlassen”

  1. Eine Warenerin sagt:

    Ein sehr schöner Artikel zu Ehren eines großen Warener Musikers.
    Vielen Dank

  2. Möwe sagt:

    Er wurde geliebt ✨

  3. Thomas Splitt sagt:

    Ein Rückblick auf ein ehrenvolles Leben eines großen Künstlers. Danke für diese Worte liebe Antje.

  4. Ilona Hager sagt:

    Danke für diesen bewegenden Nachruf, Thomas hat mal zu mir gesagt, “ Ich habe noch so viel Musik im Kopf“ , das war 2019.
    Danke für dein Sein, für deine wundervolle Musik, für deinen aufopfernden Kampf währen der Corona Zeit, sie hat dir sehr viel Kraft gekostet.
    Du bleibst unvergessen, Danke das ich dich kennenlernen durfte.

  5. HERB sagt:

    Ruhe in Frieden…. Wir werden dich vermissen.
    Grüß unseren Pitt….
    🙏🕯

  6. Ulrike Ziem sagt:

    Liebe Antje, ein bewegender Nachruf. Hast du sehr liebevoll und ehrend geschrieben. Danke ✨

  7. Gerd und Gudrun sagt:

    Danke für diesen Rückblick!
    Wir sind tief getroffen. Oft und gern erinnern wir uns an viele gemeinsame Stunden und auch an die ,, Schatzkiste“
    Thomas bleibt unvergessen!

  8. Simone sagt:

    Danke für den sehr bewegenden Nachruf.
    Er war ein toller Mensch, hat sich in der Corona Zeit sehr engagiert, dort durften wir ihn jeden Montag erleben.
    Ich bin unendlich traurig, daß er so früh gehen musste.

  9. Fabian sagt:

    Hey Thomas, vielen Dank für die wunderschönen Jahre bei „TEST“. Wir vermissen Dich… Mein Freund, Gute Reise…

  10. Spargel sagt:

    Hallo Thomas, Du bist der erste Kollege für den ich bete, obwohl ich es mit Religionen nicht so habe. Ich wünsche Dir, dass Du oben Ruhe und inneren Frieden findest, und dass Du viele Musikerkollegen wiedersiehst, wie zum Beispiel Pitt von HERB und Günthi von FALCON. Danke für die gemeinsame Zeit mit Dir bei TEST und besonders für die vielen, ehrlichen, auch oft emotionalen Worte, die wir oft miteinander wechselten.

  11. Ingolf sagt:

    Und auch ich möchte mich sowohl dem Nachruf, als auch den Kommentaren anschließen. Ich hatte mit Thomas zwar nicht so viel zu tun wie die meisten geschätzten Leser und Freunde. Dennoch hatten wir einige sehr angenehme Berührungspunkte. Nicht zuletzt half er unserer Band mit einem Mischpult-Modul aus. Vieles, was Thomas für die Warener Musikszene und darüber hinaus getan hat, wird mit Sicherheit in Spargels Buch nachzulesen sein, welches für die zweite Jahreshälfte angekündigt ist. Darauf freue ich mich schon.