Studie: Hat Deutschland viel zu viele Krankenhäuser?

15. Juli 2019

Ist hier weniger wirklich mehr? In der Bundesrepublik Deutschland gibt es zu viele Krankenhäuser. Eine starke Verringerung der Klinikanzahl, von aktuell knapp 1.400 auf deutlich unter 600 Häuser, würde die Versorgungsqualität für Patienten verbessern und bestehende Engpässe bei Ärzten und Pflegepersonal mildern. Das steht in einer neuen neuen Studie inklusive Modellberechnung im Auftrag der Bertelsmann Stiftung.
ine Reduzierung der Klinikanzahl würde zu einer besseren medizinischen Versorgung der Patienten in Deutschland führen. In einer neuen Studie der Bertelsmann Stiftung weisen führende Krankenhausexperten darauf hin, dass viele Krankenhäuser in der Bundesrepublik Deutschland zu klein sind und oftmals nicht über die nötige Ausstattung und Erfahrung verfügen, um lebensbedrohliche Notfälle wie einen Herzinfarkt oder Schlaganfall angemessen zu behandeln.

Viele Komplikationen und Todesfälle ließen sich durch eine Konzentration auf deutlich unter 600 statt heute knapp 1.400 Kliniken vermeiden. Ebenso gingen damit eine bessere Ausstattung, eine höhere Spezialisierung sowie eine bes- sere Betreuung durch Fachärzte und Pflegekräfte einher.

Das Berliner Institut für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) ist im Auftrag der Bertelsmann Stiftung der Frage nachgegangen, wie eine Versorgung durch Kliniken aussähe, die sich nicht in erster Linie an einer schnellen Erreichbarkeit, sondern an Qualitätskriterien orientiert. Dazu gehören beispielsweise eine gesicherte Notfallversorgung, eine Facharztbereitschaft rund um die Uhr, ausreichend Erfahrung und Routine des medizinischen Personals sowie eine angemessene technische Ausstattung.

„Die Neuordnung der Krankenhauslandschaft ist eine Frage der Patientensicherheit und muss vor allem das Ziel verfolgen, die Versorgungsqualität zu verbessern“, sagt Brigitte Mohn, Vorstand der Bertelsmann Stiftung. Eine primäre Orientierung an Fahrzeiten ginge dagegen in die falsche Richtung. „Wenn ein Schlaganfallpatient die nächstgelegene Klinik nach 30 Minuten erreicht, dort aber keinen entsprechend qualifizierten Arzt und nicht die medizinisch notwendige Fachabteilung vorfindet, wäre er sicher lieber ein paar Minuten länger zu einer gut ausgestatteten Klinik gefahren worden“, so Mohn.

Für die Studie haben die führenden deutschen Krankenhausexperten in einem ersten Schritt ein Zielbild für Deutschland entwickelt, das sich an den benannten Qualitätskriterien orientiert. Im Anschluss berechnete das IGES in einer Simulation erstmals, wie sich eine ver-pflichtende Einhaltung dieser Vorgaben auf die Kliniklandschaft einer ganzen Region auswirken würde. Die Wahl fiel dabei auf den Großraum Köln/Leverkusen, der sowohl von städti- schen als auch ländlichen Gebieten geprägt ist.

Die Bündelung von medizinischem Personal und Gerät würde zu einer höheren Versorgungsqualität in den verbleibenden Häusern beitragen, vor allem in der Notfallversorgung und bei planbaren Operationen. Nur diese Kliniken in der Region verfügen überhaupt über die technische Ausstattung, um Herzinfarktpatienten angemessen zu behandeln.

„Das Ergebnis, dass in der betrachteten Region eine Reduzierung auf weniger als die Hälfteder Kliniken zu einer Verbesserung der Versorgung führen würde, klingt zunächst drastisch“,sagt der internationale Krankenhausexperte Uwe Preusker. An vielen Stellen lägen der Berechnung jedoch eher zurückhaltende Annahmen zugrunde, so zum Beispiel bei der medizinisch erforderlichen Leistungsmenge oder der Verweildauer im Krankenhaus. „Beide liegen in vergleichbaren Ländern deutlich niedriger“, erklärt Preusker. Wenn man sich am internationalen Standard orientieren würde, müsste man einen deutlich konsequenteren Umstrukturierungsprozess einleiten, so der Experte.

Tatsächlich zeigt der Blick ins Ausland, dass es Potenzial für eine Verringerung der Klinikanzahl gibt. Deutschland weist im internationalen Vergleich im Durchschnitt mehr medizinisches Personal pro Einwohner auf als vergleichbare Länder, aber weniger pro Patient. Diese paradoxe Situation liegt daran, dass in der Bundesrepublik viel mehr Patienten in Krankenhäusern versorgt werden als im Ausland. Wie Untersuchungen ergaben, müssten rund ein Viertel der heute in deutschen Kliniken behandelten Fälle nicht stationär versorgt werden.

Zwar ist die konkrete Ausgestaltung der umliegenden ambulanten Strukturen noch offen. Trotzdem belegen die Erkenntnisse der Studie, dass es zur Konzentration im Kliniksektor keine Alternative gibt. Zum einen kann eine Qualitätssteigerung nur gelingen, wenn sowohl die Patienten als auch die medizinischen und pflegerischen Fachkräfte in größeren, spezialisierten Kliniken mit mehr Fällen zusammengeführt werden. Auf der anderen Seite wird gut ausgebildetes Personal auch in Zukunft knapp sein. Nur durch die Bündelung könnten Krankenhäuser der Regelversorgung in allen zentralen Abteilungen jederzeit die entsprechende fachärztliche und pflegerische Kompetenz vorhalten.


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