Von einem, der auszog, den Lokaljournalismus aufzumischen

2. März 2022

Werbung für ein anderes Medium? In diesem Fall sehr gerne. Denn das Magazin „Katapult“ – in Greifswald gegründet und inzwischen deutschlandweit bekannt – macht vielen großen deutschen Verlage gerade sehr eindrucksvoll vor, was Journalismus heute können muss. Wohl kein anderes Medium berichtet so wie „Katapult“ über den Krieg in der Ukraine. Und zwar rund um die Uhr. Selbst mitten in der Nacht werden Meldungen aktualisiert, neueste Nachrichten veröffentlicht und eingeordnet. Das alles in Form von anschaulichen und erklärenden Grafiken. Aber nicht nur das – „Katapult“ unterstützt auch direkt. Mitarbeiter verzichten auf Gehalt, damit neue Mitarbeiter eingestellt werden können, die aus und über die Ukraine berichten.
Und „Katapult“ ist seit einigen Monaten intensiv dabei, den Lokaljournalismus in Mecklenburg-Vorpommern „aufzumischen“. Mit zunehmendem Erfolg. „Katapult“ lehrt drei etablierten Zeitungen, die MV unter sich aufteilt haben und immer weiter an Auflage verlieren, das Fürchten.

„Katapult“ hat sich zum Ziel gesetzt, Sozialwissenschaft populär aufzubereiten. Auch komplizierte Zusammenhänge der Politik und Wirtschaft sollen durch die Artikel, Karten und Grafiken des Magazins ohne Vorwissen zu verstehen sein. Gründer des erfolgreichen Magazins ist Benjamin Fredrich, bekannt dafür, nicht um die Ecke, sondern geradeaus zu schreiben – ohne Angst, anzuecken und ohne Angst, dafür selbst im Kreuzfeuer der Kritik zu stehen. Von Greifswald aus hat Fredrich mit „Katapult“ den Magazinmarkt erobert, im Juni vergangenen Jahres folgte die monatliche Regionalzeitung Katapult MV. „Ich bin ja nicht mal Journalist, ich hab nur Bock drauf, irgendwas Relevantes zu machen“, sagt der Katapult-Gründer im Interview mit dem Medienmagazin journalist, „und nirgendwo fühle ich mehr Relevanz als im Lokalen.“

In Kürze will „Katapult“ eine Journalistenschule in Greifswald eröffnen. Benjamin Fredrich: „Ein wichtiger Schwerpunkt unserer Schule wird darin bestehen, was klassische Journalistenschulen kaum lehren, für uns aber existenziell ist: alles mit Grafik, also Visualität, dazu Programmieren, Datenverarbeitung.“ Er hoffe, dass die Ausbildung nichts kosten werde. „Wenn Katapult stark genug ist, bezahlen wir das.“

Mitarbeiter verzichten auf Gehalt

Katapult startete 2015 mit einer Auflage von ein paar Hundert Heften, heute druckt das Magazin 150.000 Exemplare pro Ausgabe. Auf Werbung verzichtet Katapult dabei weitgehend. „Unsere Anzeigenpreise haben wir mit 30.000 Euro bewusst so hoch angesetzt, dass sie eh niemand zahlt“, sagt Fredrich im Interview mit dem journalist. „Das sorgt sozusagen für marktgerechte Werbefreiheit.“

Seit Beginn des Krieges in der Ukraine, zeigt „Katapult“ einmal mehr seine Stärke, mit Grafiken die Welt zu erklären. Das Team um Benjamin Fredrich gibt sich dabei unermüdlich und – die Mitarbeiter fordern dazu auf, die „Komfortzone“ zu verlassen und sich ebenfalls zu engagieren.

„Wir haben Krieg in Europa. Wir haben einen Krieg, wie wir ihn seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen haben. Wir haben einen mächtigen Aggressor in Europa, wie wir ihn seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gesehen haben“, schreibt Fredrich und kündigt zugleich die Gründung einer eigenen Ukraine-Zeitung an. Dafür verzichten Mitarbeiter auf bis zu 50 Prozent ihres Gehaltes. 20 Mitarbeitende, die aktuell 3.300 Euro verdienen, machen dabei mit. Konkret verzichtet die Hälfte auf 25 Prozent, die andere Hälfte auf 50 Prozent des Gehalts. Ein Mitarbeiter, heißt es, sogar auf 100 Prozent seines Lohns.

In seinem Aufruf erklärt Fredrich, warum es an der Zeit sei, aus der eigenen Komfortzone herauszukommen. Zuschauen sei keine Option mehr. „Wir müssen alles tun, was wir können – und weil wir Journalist:innen sind, müssen wir genau das machen: Journalismus. Aufklären. So viel und so direkt wie möglich.“

Aus diesem Grund will „Katapult“ 20 weitere Journalisten einstellen. Die sollen über die Ukraine berichten, aus Deutschland heraus, aber auch aus der Ukraine. Konkret möchte man freie Reporter aus der Region unterstützen und selbst welche einstellen. „Wir werden ein Newsteam aufbauen – mit Leuten, die in der Ukraine bleiben, mit welchen, die gerade nach Deutschland flüchten, und mit welchen, die in die Ukraine reisen werden. Ein typisches Journalismus-Problem bei einem Krieg ist, dass nach ein paar Wochen niemand mehr darüber berichtet. Wir wollen nicht, dass das so bleibt. Auch deshalb machen wir das jetzt genau so.“

Außerdem sendet der Verlag 10.000 Euro in die Ukraine und möchte geflüchteten Journalisten Redaktionsräume und die Infrastruktur am Sitz in Greifswald zur Verfügung stellen.

Die Aktionen des Magazins motivieren inzwischen viele andere, mitzumachen. „Die Firma Mandarin Medien aus Schwerin schenkt unserem Vorhaben übrigens fünf neue PC-Komplettausrüstungen für die neuen Stellen. Haben sich einfach so gemeldet und gemacht! Immer mehr Leute schreiben uns, dass sie kostenlose Unterkünfte anbieten. Gleichzeitig habt ihr bereits über 20.000 Euro gespendet. Es wird immer mehr. Die Stadt Greifswald bietet uns Hilfe an. Von allen Seiten kommen Hilfsangebote“, freut sich der Gründer. Und hält auch – wie eigentlich regelmäßig – mit seiner eigenen Meinung nicht hinter dem Berg: „Ich verachte die Tatenlosigkeit der Bundesregierung. Ich verachte die extrem verantwortungslose Politik der Regierung meines eigenen Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern. Putin finanziert seinen Krieg auch mit den Milliardengeldern aus der Ostsee-Pipeline. Ändert endlich eure Haltung! Ich werde nicht zugucken, wenn Krieg ist. KATAPULT wird nie zugucken!“

Web: https://katapult-magazin.de/de
Facebook: https://www.facebook.com/KatapultM
Instagram: https://www.instagram.com/katapultmagazin/
Twitter: https://twitter.com/Katapultmagazin

Fotos: Screenshots „Katapult“ und Medienmagazin „Journalist“


Eine Antwort zu “Von einem, der auszog, den Lokaljournalismus aufzumischen”

  1. Rudi sagt:

    Ganz allgemein finde ich das gut, aber:

    Eine persönliche Meinung als Journalist haben und diese dann so offenkundig in die Öffentlichkeit stellen kann auch ein Problem werden.
    Ja, es gibt oft viele Überschneidungen mit den Lesern und der persönlichen Meinung des Journalisten.
    Das wird aber nicht immer so sein und dann kann man auch treue Leser vergrämen oder auch gegen sich aufbringen.

    Ich mag es nämlich auch nicht, dass bestimmte Zeitungen oder andere Medien eine bestimmte Leitlinie fahren und diese sich durch (fast) alle Artikel ziehen.
    Bei den kleinen, aber auch bei den großen Medien kann man jetzt als „Linker“ überhaupt nicht mehr die WELT, BILD oder FAZ lesen und als „Konservativer“ kann man die taz (Die Tageszeitung) oder eben KATAPULT nicht lesen/anschauen.
    Das finde ich sehr traurig und gerade die Ukrainekrise/Ukraineinvasion ist natürlich schrecklich und sollte auch von jedem normal denkenden Menschen abgelehnt werden.
    Allerdings sind Sätze wie „Ich verachte die extrem verantwortungslose Politik der Regierung meines eigenen Bundeslandes“ sehr schmal gedacht, denn es sind doch sehr komplexe Zusammenhänge als einfach nur „Geld durch Ostseepipeline bezahlt die Invasion“.
    Der Herr Journalist darf sich dann auch vorwerfen lassen, die Menschenrechtsverletzungen in Nordwestchina (Uiguren in Straflagern/Umerziehungslagern) zu unterstützen, wenn er ein „Made in China“ Produkt besitzt oder nutzt.

    Aber ganz allgemein ein großes Lob an KATAPULT und den Menschen und Journalisten dahinter.