„Alle in meiner Familie starben gesund“

31. Januar 2016

Kurz vor den Ferien besuchte die israelische Schriftstellerin Lizzie Doron das Richard-Wossidlo-Gymnasium in Waren. Der Termin – Nähe zum Holocaust-Gedenktag  – war bewusst gewählt. Lizzie Doron erzählte in eindrücklicher Weise über ihre besondere Kindheit: 1953 in Tel Aviv geboren, wuchs sie allein mit ihrer Mutter, einer Holocaust-Überlebenden, auf.

Sie erzählte vom Schweigen ihrer Mutter über deren Vergangenheit,  den Merkwürdigkeiten ihres Alltags und wie sie allmählich wie eine Detektivin den Geheimnissen ihrer Familie auf die Spur kam, wie die Mutter überlebte, weil ihr jemand an der Rampe von Ausschwitz Bleichmittel für die Haare gereicht hatte. So konnte sie sich als Deutsche ausgeben und war fortan überzeugt: „Nur Blonde überleben.“

DLizzie erlebte eine  belastende Kindheit und Jugendzeit, der sie sich mit 18 Jahren entzog, indem sie in einen Kibbuz (Kommune) eintrat. Nachdem sie am 1. Tag des Jom-Kippur-Krieges 1973 sieben gleichaltrige Freunde aus ihren Kindertagen verloren hatte, kehrte sie aus Anlass der Beerdigungen wieder nach Tel Aviv zurück und teilte fortan mit ihrer Mutter die Erfahrung, nun „ihre eigenen Toten“ zu haben.

Sie studierte und schlug eine akademische Laufbahn ein, gründete eine Familie, besuchte aber nur selten ihre Mutter. Wenn sie aßen, wurde auch dann meistens geschwiegen. Als ihre Mutter einen Schlaganfall erlitten hatte, fragte der behandelnde Arzt Lizzie nach den Daten ihrer Mutter und ihrer Krankengeschichte. Lizzie konnte nicht eine einzige Frage beantworten.

„Alle in meiner Familie starben gesund“, antwortete sie dem behandelnden Arzt. „In der Gaskammer.“  Ein hinzugezogener Psychiater bezeichnete sie daraufhin  als „schweren Fall der 2. Generation“. Aber erst das Roots Project – ein Schulprojekt ihrer Tochter, in dem diese nach den Wurzeln der Familie suchen sollte – brachten Lizzie dazu, sich auf diese schmerzliche  Suche zu machen und ihre Familiengeschichte zu erforschen.

Lektüre für die Winterferien

 

Dabei haben ihr auch viele deutsche Journalisten  geholfen. Sechs Bücher – eines für je eine Million ermordete Juden, wie Lizzie Doron sagt,  – sind  das  wahrlich lesenswerte Ergebnis. Es war ein nachdenklicher und eindrücklicher, dem Holocaust-Gedenken angemessener Vormittag für die 9.- und 11. Klässler des Warener Gymnasiums, der  bei einzelnen auch den Wunsch weckte, Lizzie Dorons Bücher während der Winterferien selbst zu lesen, und an dem sich viele sehr darüber freuten, ihr Englisch so gut anwenden zu können.

Eines von Lizzie Dorons Büchern trägt den Titel „Das Schweigen meiner Mutter“. Den Schülern des Richard-Wossidlo-Gymnasiums dürfte das Motiv des Schweigens in diesem Kontext  bekannt vorgekommen sein aus dem Schulprojekt „LIFE BELONGS TO THE LIVING“, in dem eine Schülergruppe 2014/15 dem Schweigen der einstigen jüdischen Schülerin Gerda Löwenberg gegenüber ihrer Tochter nachgespürt hatte. Entstanden waren dabei der Film „Gerdas Geheimnis“ und eine Ausstellung über das jüdische Leben in Waren.


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