War es ein Versagen der Mediziner oder Schicksal? Mit dem Fall eines Mannes aus Neubrandenburg, der nach einem Schlaganfall mit 61 Jahren zum Pflegefall wurde, hat sich das Landgericht Neubrandenburg jetzt befasst. Die Familie des Patienten hatte das zuständige Klinikum auf Schmerzensgeld verklagt – Streitwert waren sogar 410 000 Euro. Die Familie hat eine Rechtsschutzversicherung. Um es vorwegzunehmen: Beide Seiten einigten sich nach Zureden durch das Landgericht: Die Klinik zahlt 75 000 Euro.
Der Grund: Der Mann war im Oktober 2018 mit dem Rettungsdienst zur Notaufnahme gekommen. Obwohl er dort angab, Schweißausbrüche und Übelkeit zu haben, wurde er anscheinend nicht eingehend genug untersucht. Im Gegenteil der diensthabende Mediziner schickte den Mann nach Hause. Er habe ein „HWS-Syndrom“, dass der Hausarzt überprüfen sollte.
Das geschah auch. Erst ein paar Tage später fand man heraus, dass der Mann doch eine Hirnblutung hatte. Das machte dem Patienten anfangs nicht so schwer zu schaffen, aber nach zwei Wochen ging es ihm plötzlich schlechter. Dann kamen ein Schlaganfall, mehrere OPs – inzwischen muss der Neubrandenburger mit großem Aufwand gepflegt werden, wie der Anwalt der Familie im Gericht sagte. Da die Ehefrau nun auch Krebs habe, bleibe alles an der Tochter hängen.
Die Klinik blieb bis zuletzt dabei, dass es keinen Zusammenhang zwischen der nicht sofort bemerkten Hirnblutung und dem Verlauf nach dem Schlaganfall gibt. Auch die Gutachter waren unterschiedlicher Meinung. Einer hielt es für wahrscheinlich, dass der Verlauf nach dem Schlaganfall anders hätte sein können, wenn man die Blutung sofort bemerkt und versorgt hätte, ein anderer Fachmann nicht.
„Der Fall sieht im Augenblick eher zu Ungunsten der Kläger aus“, sagte Richter Christian Weidlich, als er den Vergleich anregte. Damit die Familie zeitnah Geld sieht, schlug die Kammer etwa 100 000 Euro vor.
Da musste die Anwältin der Klinik gehörig schlucken. Das sei deutlich zu viel, sagte sie und das bekomme sie auch bei der Versicherung der Klinik nur schwer durch. So machten alle Seiten erstmal eine Beratungspause. Inzwischen wurde bekannt, dass die Klinik der Familie schon einmal 50 000 Euro Entschädigung angeboten hatte, um einen langen Rechtsstreit zu vermeiden. Das hatten diese noch abgelehnt, seither zog sich der Rechtsstreit hin.
Inzwischen hatten beide Seiten in der Güteverhandlung aber ein Einsehen. Dazu kam, dass bei einer der Operationen ein Arzt eine OP-Klemme im Kopf des Patienten gelassen hatte. So musste diese wieder heraus operiert werden. Dies war „unstreitig ein Fehler“, sagte der Richter.
Schließlich holte sich die Klinikanwältin „grünes Licht“ und bot den Klägern 75 000 Euro an. Das nahmen der Klägeranwalt und die Tochter des Patienten noch im Gerichtssaal an. Man hätte am Morgen noch nicht geglaubt, dass es wirklich eine Einigung gebe, sagte ein Gerichtssprecher. Medizinische Streitfälle um Behandlungsfehler gebe es öfter, aber solche mit Beteiligung der Notaufnahme sind noch selten.