Künstlerische Erinnerungen in der einstigen Landesirrenanstalt

22. August 2015

Dom7Kunst- und Naturfreunde haben rund 50 Kilometer südöstlich von Waren ein neues Ziel: Die ehemalige Landesirrenanstalt Domjüch bei Neustrelitz. Wo einst Kranke betreut, Pflanzen angebaut und später russische Soldaten gedrillt wurden, ist mit Hilfe der Kulturstiftung des Bundes eine vielfältige Kunstausstellung entstanden. Sie trägt den Titel „Die Kunst des Erinnerns“, sagt Christel Lau, Vorsitzende des Vereins zum Erhalt der Domjüch, der sein fünfjähriges Bestehen feiert.

„Neun Künstler haben sich mit der wechselvollen Geschichte des idyllisch gelegenen Areals auseinandergesetzt“, erzählt Kuratorin Miro Zahra, ehemalige Vorsitzende des Künstlerbundes im Nordosten. Die Künstler haben mit ihren Arbeiten zehn Räume im ehemaligen Verwalterhaus gestaltet.

Dom2Das Spektrum ist sehr vielfältig. Ruzica Zajec hat Tischtennisbälle zu einem Werk geformt, bei denen einige eingedrückt – also anders, als andere – verarbeitet wurden. Die Gotthunerin Kerstin Borchardt hat ihre „Schaukel über ein Spiegelfeld“ installiert.
„Die Realität holt uns zurück in den Innenraum“, schreibt Borchardt dazu. In blaues Licht mit Wollfäden und Wasserleitungen hat ihr Künstlerkollege Rainer Viltz einen dunklen Raum daneben getaucht, dazu läuft eine Klanginstallation.

„Es soll ein Gefühl sein, als wenn man die Seele eines Menschen betritt“, schildert Zahra, die ebenfalls einen Raum ausgestaltet hat.
Dort können Besucher die Namen der Patienten und Bewohner an die Wand schreiben, die in Domjüch starben. „Wenn man einen Namen schreibt, bekommt derjenige eine Existenz“, erläutert die Vereinsvorsitzende Lau. Die Neubrandenburger Künstlerin Rico hat Arbeiten angefertigt, die an menschliche Hüllen erinnern.

Dom5Kurze Beschreibungen durch die Künstler sollen Gäste mitnehmen, den Gedanken der Urheber zu folgen. Doch nicht nur wegen der Kunst lohnt sich der Ausflug. Immer sonntags öffnet der Verein für Kaffee und Kuchen das gesamte Gelände, auf dem noch acht villenartige historische Häuser stehen, deren Sanierungsbedarf auf 50 Millionen Euro geschätzt wird. Dazu kommen jährlich bis zu 80 Veranstaltungen. Man sei für viele Ideen offen, sagt Lau.

Die einstige Landesirrenanstalt für Mecklenburg-Strelitz, vergleichbar mit Häusern wie Sachsenberg in Schwerin und Gehlsdorf in Rostock, wurde 1902 im Reformgeist der neuen Psychiatriebewegung für rund 200 Patienten gegründet. Obwohl auch Domjüch an der Aktion T4 (Tötung unwerten Lebens) in der NS-Zeit beteiligt war, konnten viele Patienten durch Neustrelitzer Ärzte vor dem Vergasen in Bernburg (Sachsen-Anhalt) bewahrt werden. Nach Kriegsende besetzte die Rote Armee 1945 das Gelände, rund 20 Gebäude wurden dazu gebaut. Zwei Friedhöfe verschwanden.

Dom3Nach 1990 wurden die Armeebauten abgerissen, mehrere Versuche der Privatisierung scheiterten und 2009 bekam die Ingenieurfirma von Lau das Anwesen. „Wir hatten für den letzten Investor gearbeitet, aber er konnte uns nicht bezahlen“, erzählt Lau. Zusammen mit den mehr als 100 Mitgliedern ihres Vereins wurden nun die Namen der mehr als 500 Menschen, die auf Domjüch begraben waren, aufgeschrieben. Die Zettel kamen in ein Kassiber, das jetzt in der sanierten Kapelle im Verwalterhaus zum Gedenken an die Toten versenkt werden wird.

Text und Fotos: WW


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