
Dem Theater in Neustrelitz ist ein Coup gelungen. Mit dem neuen Schauspiel „Über Menschen“ stellt das Ensemble die Streitkultur, die in Deutschland und auch an der Müritz sehr gelitten hat, vom Kopf wieder auf die Füße, als zweite Bühne in Ostdeutschland. Der Inhalt ist kurz gefasst einfach: Dora arbeitet bei einer hippen Werbeagentur in Berlin, hat aber in Pandemie-Zeiten die Großstadt satt und kauft sich ein Haus auf dem Land – in dem fiktiven ostdeutschen Dorf Bracken. Dort soll ihr großes Grundstück zu einem Selbstversorger-Garten erblühen, doch ihr fehlen Pflanzkartoffeln. So kommt man mit Nachbarn ins Gespräch. Doch ein Nachbar wird „Dorfnazi“ genannt, andere sind AfD-Funktionär oder Mitläufer, ein schwules Agrarunternehmerpaar beschäftigt „Kanacken“. Aber ganz so einfach, wie sich die Vorurteils-Formulierungen anfangs anhören, ist es nicht. Doras Vorurteile geraten – mit Wirklichkeit und Menschlichkeit auf dem Land konfrontiert – stark ins Wanken.
Um diese Auseinandersetzung zu ermöglichen, müssen sich Zuschauer auch mal eine echte Rechtsaußen-AfD-Rede zum Thema Identität anhören, beim Grillen wird ein verbotenes Lied von der NS-Größe Horst Wessel gesungen. Das stürzt Dora in Gewissensbisse. Auch ein DDR-Lied erklingt beim Arbeiten.
Die Premiere des Stückes, das auf einem Bestseller-Roman von Juli Zeh zurückgeht, hat ihr Publikum begeistert. Besonders gut kam die Doppelbesetzung der Dora durch die Neustrelitzerin Lisa Scheibner und Helene Grass, Tochter des Schriftstellers Günter Grass (1927-2015), an. Scheibner agiert meist als Dora, die 49-jährige Berlinerin Grass reflektiert, was Dora sagt.
Mit rund 750 000 Exemplaren war „Über Menschen“ 2022 das am zweitmeisten verkaufte Buch in Deutschland. Die Autorin, die selbst auf einem Dorf in Brandenburg lebt, hält der Diskussionskultur dieser Gesellschaft immer wieder einen Spiegel vor. So vertritt sie die Meinung, dass in Deutschland, nicht mehr um die besten Lösungen für eine Sache diskutiert wird. Zum Beispiel: Wieviel ehrliche Arbeit wert sei, was wohnen kosten dürfe, ob Bildungspolitik wirklich die erreicht, die es brauchen ?
Stattdessen gehe um Kulturkampf: Also, was man denken soll, wie man reden soll oder wie man leben soll. Die Frage ist, wie kam die Debattenkultur dahin? War es die teils extreme Art der AfD oder eher die extremen Forderung von grüner oder linker Seite? Was nutzt das oft übertriebene Mülltrennen oder Auf-Fleisch-verzichten wirklich, wenn es um echte Probleme des Lebens geht?
„Über Menschen“ kann Anstöße für Antworten geben.
Fotos: TOG












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