NDR: Themenabend 60 Jahre Mauerbau: Wir Kinder der Mauer

25. Juli 2021

Der Tag des Mauerbaus am 13. August 1961 bestimmt auf lange Zeit das Leben vieler Kinder und Jugendlicher. Mehr noch als die Erwachsenen sind sie dem Geschehen total ausgeliefert, sind ohnmächtig in Bezug auf Politik und familiäre Entscheidungen. 28 Jahre lang sind Mauer und Stacheldraht eine vorgefundene Realität in ihrem Leben. Manche lehnen sich gegen ihren vorgezeichneten Lebensweg auf, andere finden sich mit der Teilung ab, die Familien auseinandergerissen, Menschen entwurzelt und Liebende getrennt hat. Unzählige junge Ostdeutsche haben Verwandte im Westen, aber mehr als gelegentliche Westpakete und hin und wieder ein Besuch sind über Jahrzehnte nicht denkbar. Die Lebenswelten entwickeln sich auseinander.
Der Film „Wir Kinder der Mauer“ von Kristin Siebert und Christian von Brockhausen erzählt die Geschichte von Heranwachsenden zwischen 1961 und 1989.

Aber auch immerhin 1,25 Millionen Menschen verlassen die DDR, das Land zwischen Elbe und Oder, nach dem Mauerbau für immer. Manche sind kaum 18 Jahre alt und riskieren ihr Leben dabei. In ganz Westdeutschland von Sylt bis zum Starnberger See wachsen deshalb Kinder auf, deren Familien ostdeutsche Wurzeln haben. Und auch in umgekehrter Richtung beeinflussen familiäre Entscheidungen das Leben der Kinder: Pro Jahr gehen auch immerhin noch über 1000 Westdeutsche in die DDR, um dort dauerhaft zu leben, viele mit ihren Familien.

Der Film „Wir Kinder der Mauer“ von Kristin Siebert und Christian von Brockhausen erzählt die Geschichte dieser Heranwachsenden zwischen 1961 und 1989. Das Besondere: die Geschichte wird in ganz Deutschland verortet, denn heutzutage denken viele beim Thema „Mauer“ reflexartig an Berlin. In der ganzen Bundesrepublik sind heute Menschen verstreut, die unmittelbar vom Mauerbau und der Teilung geprägt wurden und deren Leben ohne diesen Einschnitt anders verlaufen wäre. Die Teilung, das macht die Dokumentation deutlich, ist ein gesamtdeutsches Thema, nicht nur für die Anrainer der innerdeutschen Grenze.

Der Hamburger Peter Drauschke zum Beispiel geht zwei Jahre nach dem Mauerbau mit 18 Jahren zusammen mit seinem Freund Erwin freiwillig von der Bundesrepublik in die DDR. Beide glauben an den Sozialismus. Die Realität zerstört ihre Illusionen: Erwin begeht Selbstmord, Peter wird nach einem gescheiterten Fluchtversuch verhaftet. Noch heute ist der ehemalige FDJ-Funktionär, der wieder in Hamburg lebt, traumatisiert.

Antje Korte-Böger aus Siegburg in Nordrhein-Westfalen hat ihren Vater in jungen Jahren zur Leipziger Messe begleitet. Sie fühlt früh den Zwiespalt zwischen dem „reichen“ Westen und dem „armen“ Osten, besonders bei den Verwandtschaftsbesuchen aus Ostdeutschland.

Die Lebensgeschichte der Ostberlinerin Liane Weinstein ist aufwühlend. Sie wird im Alter von drei Monaten von ihren Eltern getrennt. Der Versuch, sie durch einen Tunnel nach Westberlin zu holen, scheitert. Sie wächst bei den Großeltern in Ostberlin auf. Als sie mit elf Jahren endlich ausreisen darf, sind ihre Eltern geschieden, das Verhältnis zu beiden belastet. Erst vor Kurzem wurde dieser Tunneleingang in Berlin entdeckt und freigelegt. Liane Weinstein wagt sich nach fast 60 Jahren zurück zur Stelle, um sich ihrer schmerzhaften Vergangenheit zu stellen.

Die Münchnerin Katrin Eder bricht Mitte der 1970er-Jahre aus ihrem wohlhabenden Elternhaus aus und zieht über Westberlin in die DDR. Dort heiratet sie ein Mitglied des SED-Singeklubs Oktoberklub.

Jörg Reinicke aus Saarbrücken trifft sich bis heute mit seinen ehemaligen Klassenkameraden aus Brandenburg an der Havel, zu denen er trotz Übersiedlung in den Westen Kontakt gehalten hat. Als Russisch-Dolmetscher unter anderem für Michail Gorbatschow nutze er jede Dienstreise in den Ostblock, um seine Heimat zu besuchen.

Die Liebesgeschichte von Mamo und Dorothee Adugna aus Rheinland-Pfalz nimmt 1985 in einem Ostberliner Krankenhaus ihren Anfang. Nach einem Minenunfall in seiner Heimat liegt der Äthiopier dort zur Behandlung. Die beiden verlieben sich und wollen in den Westen fliehen, als Mamo zurück nach Äthiopien geschickt werden soll.

Sie alle und ein gutes Dutzend weiterer Menschen erzählen ihre außergewöhnliche Geschichte, teilweise zum ersten Mal. Sie nehmen die Zuschauer*innen mit auf eine intensive Reise in die Vergangenheit, die in der Gegenwart nicht zu Ende ist.

„Wir Kinder der Mauer“ ist ein multimediales Projekt. Zusätzlich zu dieser Dokumentation in Das Erste (online first in der ARD-Mediathek ab 5. August) wird am 7. August, 20.15 Uhr, der Fernsehfilm „3 ½ Stunden“ gezeigt (ebenfalls online first in der ARD-Mediathek ab 5. August).

Parallel ist ein serieller dokumentarischer Schwerpunkt in der ARD-Mediathek unter dem Titel „Wir Kinder der Mauer“ mit einer True-Crime-Story „Wir Kinder der Mauer – Tod in der Ostsee“ vorhanden. Begleitend werden unter gleichem Label eine Podcast-Reihe und ein Hörfunk-Feature in der ARD-Audiothek angeboten.


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