Nach mehr als fünf Monaten Verhandlung soll morgen in Neubrandenburg der sogenannte Selbstjustiz-Prozess von Lärz zu Ende gehen. Die Kammer von Richterin Daniela Lieschke will nach der sehr detaillierten Beweisaufnahme mit teils erschütternden Bildern erst die Schlussvorträge aller Seiten hören, am Nachmittag sollen die Urteile gesprochen werden. Einer, der den ganzen Prozess für das Opfer der Gruppe verfolgt und dessen Interessen vertreten hat, ist der Warener Anwalt Detlef Hein. Da Hein beim letzten Termin nicht dabei sein kann, hat er „Wir sind Müritzer“ bereits seine Erwartungen erläutert.
Für den Anwalt ist die 27-jährige Nachbarin des Geschädigten und Angeklagte zweifelsfrei die „Rädelsführerin“ des Ganzen. Ihr werden versuchter Totschlag, Freiheitsberaubung und Aussetzung vorgeworfen. Zudem soll die junge Frau, die zwei Kinder hat, auch an Drogenhandel beteiligt gewesen sein.
„Ich erwarte, dass sie zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wird, die nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann“, sagte Hein gegenüber „Wir sind Müritzer“. Im Prozess hatte die Frau, die erst wenige Monate vor der Tat Ende Februar 2021 von Mirow nach Lärz gezogen war, letztlich gestanden, dass sie den 39-jährigen Nachbarn mit dessen Gehhilfe immer wieder traktiert hat. Auf Bildern war der gesamte Oberkörper des Mannes von Blutergüssen übersät.
Davor und danach hatte die Frau mehrere Helfer angerufen oder gleich bei der Hand. Sie hatte sich von ihrem 47-jährigen Lebensgefährten aus Mirow ja getrennt, aber nun einen 23-jährigen Freund. Dieser 23-Jährige und ein 24-jähriger Bekannter sollen der Frau geholfen haben. Daran gebe es wohl kaum Zweifel. Doch da nicht genau klar ist, welchen Anteil die beiden jungen Männer haben, könnten für die Beiden Strafen unter zwei Jahren herauskommen, die zur Bewährung ausgesetzt würden, sagte Hein. Vor Gericht hatten beide geschwiegen.
Immer wieder Drogen
Für den 47-Jährigen Mann aus Mirow, der nach eigenen Angaben nur widerwillig nach Lärz zur Hilfe gekommen war, sei die Sache schwieriger. Die Hauptangeklagte hatte angegeben, dass er dabei war, als man das Opfer zu den Militärbunkern brachte, wo er schwerverletzt und bei Kälte übernachten musste. Der Mann hatte das aber abgestritten. Er habe sich im Neubau um seine Tochter und den Jungen gekümmert und drei „Blätter“ mitgebracht. bei den „Blättern“ handelte es sich um LSD-Drogen, die das Opfer am Bunker schlucken musste. Durch Zufall überlebte er.
Der 47-Jährige warf seine Ex-Frau damals vor, „dass sie nur wieder ihren eigenen Scheiß durchzieht und ihn nicht den ganzen Tag mit Anrufen terrorisieren soll.“ Bei ihm und bei der Hauptangeklagten wird es sehr darauf ankommen, welche Strafen sie für Drogenhandel bekommen, sagte Hein. In beiden Haushalten waren große Mengen Amphetamine gefunden worden. Im Prozess war auch mehrfach von „Handelspartnern“, Abnehmern und anderen Strukturen von Berlin bis Rechlin, Neustrelitz und Röbel die Rede.
Anlass für diese Art der Selbstjustiz sollen Nacktbilder von Sohn der Frau auf dem Handy des Mannes gewesen sein. Hinweise, sie möge doch die Polizei einschalten, lehnte sie ab. Beweise für einen wirklichen Kindesmissbrauch, den die Gruppe annahm, gab es aber bisher nicht