Freiheitsstrafen auf Bewährung für tödliche Raserei nahe Waren
Den 1. Juni 2013 wird Melanie Meyer ihr Leben lang nicht vergessen. Die 37-Jährige sitzt am Mittwoch als Zeugin im Saal des Amtsgerichtes in Waren, ihre Anwältin Katja Schade zur Stärkung neben ihr. «Es ist nicht leicht, wenn man zusehen muss, wie Menschen sterben», sagt die Zeugin – damals Autofahrerin – und im Saal herrscht Schweigen. Betroffenheit ist in den Gesichtern der Zuschauer und anderen Prozessbeteiligten zu sehen, selbst die beiden Angeklagten schauen bewegt zu Boden.
Die Kinderkrankenschwester hat einen der schlimmsten Unfälle miterlebt, die in der Müritzregion in den letzten Jahren passierten. Und an dem Raserei schuld war, wie der Prozess unter Leitung von Richterin Alexandra Sprigode-Schwencke ergab. Der Prozess endet mit Bewährungsstrafen, einem 35-jährigen Angeklagten wird zudem der Führerschein entzogen.
Ein Ehepaar, das mit seinem 15 Jahre alten Sohn zu einer Familienhochzeit wollte, starb damals. Der 15-Jährige überlebte schwer verletzt, leidet aber bis heute körperlich und seelisch an den Folgen. «Ich bin seitdem Waise», erklärt er dem Gericht. Verwandte unterstützen ihn, mehrfach fließen Tränen. Zwei weitere und ältere Kinder trauern um ihre Eltern.
Zweite Schwerverletzte war die Zeugin Meyer, die in die Unfallstelle fuhr und immer noch psychologische Hilfe braucht. «Sie macht sich Vorwürfe, dass sie eine Mitschuld trägt», sagt ihre Anwältin. Angeklagt sind ein 46-jähriger ehemaliger Cheffahrer aus Neubrandenburg und ein 35 Jahre alter Maler aus einem Dorf bei Neustrelitz. Ihnen wird fahrlässige Tötung in zwei Fällen und zweifache fahrlässige Körperverletzung vorgeworfen. Dabei wird es nicht bleiben.
Alles begann an der letzten Ampel auf der Bundesstraße 192 in Waren, wie der ältere Angeklagte berichtet. Die Ampel zeigte «Grün», aber der jüngere Fahrer fuhr nicht los. «Da habe ich gehupt», sagt der 46-Jährige. Beide Männer fuhren PS-starke Autos: Der Maler einen mehr als 200 PS-starken Audi Q7, der Andere einen fast gleichstarken Audi A6. Dann werden die Angaben unterschiedlich. Der Maler sagt, er habe Gas gegeben, weil er weg wollte und im Spiegel nichts mehr bemerkt. Den Älteren habe er erst gesehen, als er neben ihm beim Überholen war. «Dann habe ich gebremst und er konnte überholen.» Diese harmlose Variante glauben ihm aber weder die Angehörigen der Opfer, noch das Gericht.
«Ich wollte ihn überholen, aber er beschleunigte auch bis zu 140 Stundenkilometer», erzählt der ältere Angeklagte vor Gericht. Er habe gebremst, aber der Andere auch verlangsamt. Ein Zeuge, der hinter ihnen fuhr, berichtet vor Gericht von einem «Kopf-an-Kopf-Rennen» der Luxuswagen. «Das zog sich über längere Zeit hin, ich habe mit dem Schlimmsten gerechnet», sagt der 37-Jährige. «Der Q7 wollte den A6 nicht vorbeilassen, ihm eine Lektion erteilen», erklärte der Anwalt des 46-Jährigen, der Rostocker Alexander Prechtel.
Als der erfahrene 46-Jährige es kurz vor dem Gegenverkehr doch noch schaffte, einzuscheren, passierte das Unheil. Er touchierte den Wagen des Rivalen auf Radhöhe, der schleuderte gegen Leitplanken und einen Baum, überschlug sich und landete auf der Gegenfahrbahn auf dem Dach. Keine Chance für die Entgegenkommenden: In das Wrack fährt das Auto eines 59-jährigen Mannes, neben dem seine 56-jährige Frau und hinten der 15-jährige Sohn saßen. Sie waren auf dem Weg zu einer Familienhochzeit, das Paar starb sofort, wie eine Gutachterin berichtet.
Es sind zwei sehr unterschiedliche Fahrer, die auf der Anklagebank sitzen. Der 46-Jährige ist sehr betroffen, stockt immer wieder im Reden, entschuldigt sich und bietet seine Hilfe an. Der zweite Angeklagte weist alle Vorwürfe zurück, will den Älteren nicht beim Überholen behindert haben und zeigt keine Reue. Später kommt heraus: «Ich habe ihm das so empfohlen», sagte sein Anwalt Peter Schmidt. Nach seiner Auffassung hat sein Mandant keine Schuld, er plädierte auf Freispruch.
Dem folgte das Gericht aber nicht. «Beide Männer sind der fahrlässigen Tötung und fahrlässigen Körperverletzung schuldig», sagt die Richterin zum Abschluss. Der Ältere bekommt ein Jahr, der Jüngere 14 Monate Freiheitsstrafe.
«Sie haben sich auch der Verkehrsgefährdung schuldig gemacht», sagte die Richterin zu dem Maler. Er muss deshalb für mindestens zwei Jahre den Führerschein abgeben. «Sie haben die Gefahr heraufbeschworen und die Lage eskalieren lassen», urteilt Sprigode-Schwenke. Die Bewährungszeit beträgt drei Jahre.
Ein Indiz zur Verurteilung war die Angabe des Dekra-Gutachters. Er rechnete aus, dass die Geschwindigkeit des «Q7» zwischen 123 und 186 Stundenkilometer gelegen haben müsse. Das spreche nicht für ein Bremsen. Außerdem wurde vor Gericht bekannt, dass der 35-Jährige Ende 2013 auf einer Autobahn mit 187 Stundenkilometer geblitzt wurde, wo 80 erlaubt waren.
Melanie Meyer hat den Prozess bis zum Ende verfolgt. «Vielleicht hat ihr das geholfen», hofft Anwältin Schade. Die gerichtsmedizinische Gutachterin stellte jedenfalls fest, dass ihr auffahrendes Auto keinen Einfluss mehr auf die Getöteten hatte. «Und ich hatte bei Klein Plasten noch überlegt, die Anderen zu überholen», sagt Meyer. Dann wäre Sie vorn gefahren.
Ein Bericht aus dem Gerichtssaal von Winfried Wagner
Auch diese Fall wäre leichter zu beurteilen, wenn jeder eine sogenannte ‚DashCam‘ installiert hätte. Leider sind in Deutschland die Datenschützer eher darauf bedacht, diese sinnvolle Ergänzung zu verbieten, als wenn sie sich um die großen Sachen kümmern würden. Ich fahre auch mit ‚DashCam‘ und nutze diese solange sie nicht wirklich verboten werden. Erste Gerichte erkennen Dash-Aufnahmen ‚zur Unfallauswertung‘ nun auch endlich an.
Überrascht vom für mich milden Urteil
Im ‚Recht‘ mögen die Urteile durchaus angemessen sein, aber ‚Gerechtigkeit‘ und ‚Recht‘ haben noch nie zusammen gepasst. Die Tatsache, dass der Anwalt des Malers ihm dazu geraten hat, vor Gericht so zu agieren wie er es letztendlich getan hat, zeigt das ebenfalls. Und dass er dann Monate später mit über 100km/h zu viel geblitzt wurde, bestätigt ja seine ‚defensive‘ Fahrweise……
Gab es denn auch Schmerzensgeld, oder müssen da die Beteiligten extra klagen? Mir ist natürlich bewusst, dass Geld keine Schmerzen lindert, aber….. Ich wünsche den Beteiligten und Hinterbliebenen viel Kraft, das Geschehene zu verarbeiten!
Entsetzt las auch ich heute das jeweilige Urteil.
Zwei Menschenleben auf dem Gewissen und Eins zerstört,
wo bleibt da Gerechtigkeit zumal einer von beiden nichts aus
dem ersten Unfall gelernt hat.
Keiner von beiden hätte jemals seine Fahrerlaubnis wieder erlangen dürfen
nur das hätte geschmerzt.
Vor Gott und dem Gericht ist nichts unmöglich. Da kann man nur noch ungläubig staunen und steht sprachlos am Rande.