Kommentar: Reden ist „Gold“, Hetzen ist blöd

9. Januar 2024

Keine Frage: Wir leben in einer schwierigen Zeit. Keine Frage, immer mehr Menschen haben zu tun, den Lebensalltag zu bewältigen. Und keine Frage: In Deutschland ist derzeit nichts mehr so, wie noch vor zehn, zwanzig Jahren. So wundert es wenig, dass immer mehr Menschen auf die Straße gehen. Wie die Landwirte gestern und mit ihnen viele andere. Im Vorfeld der gestrigen Proteste gab es viel Panikmache, vor allem von Medien – das müssen wir als Vertreter der Zunft zugeben. Da war von „Unterwanderung“ die Rede, von Nazis, Reichsbürgern und Co. Und es mag tatsächlich solche Trittbrettfahrer gegeben haben, doch waren sie nicht die Masse, sondern marginal.  Das ist gestern sehr deutlich geworden. Die Proteste liefen bis auf ein paar Scharmützel  friedlich – in der Müritz-Region, im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte, in Mecklenburg-Vorpommern und in ganz Deutschland. Es waren übrigens viele Menschen zum allerersten Mal dabei. Einfach, weil sie unsicher sind, nicht wissen, was kommt.

Die Demonstranten in der Müritz-Region haben meiner Meinung nach gestern gezeigt, dass es ihnen um die Sache geht. Ja, wir haben sogar in Waren erlebt, dass bekannte „Rechte“ einfach mal zur Seite gedrängt wurden. Man wollte sie nicht haben.
Und die Redebeiträge? Nun ja, Ansichtssache und teilweise sicher auch etwas überzogen. Aber alle im Rahmen. Und der eine oder andere Redner hat überrascht.

Bei den Landwirten an den Autobahnabfahrten ging’s wohl am gemächlichsten zu, sie wollten zeigen, dass man mit ihnen nicht so umspringen kann, das aber sehr, sehr ruhig und sachlich. Man hat gemerkt, sie wollten reden, ihren Frust los werden.
Beim Autokorso in Waren gab‘ hier und da sicher die eine oder andere Bemerkung, bei der man schlucken musste. Beeindruckend, dass eben nicht nur Handwerker gesprochen haben, sondern beispielsweise auch eine junge Chefin eines Pflegedienstes, die es gar nicht gewöhnt ist, vor so vielen Menschen zu reden, den Zuhörern aber – sehr gut formuliert – verständlich machen konnte, wie schwer es derzeit auch in ihrer Branche ist.

Insofern – ein branchenübergreifender Protest. Der aber einmal mehr deutlich gemacht hat, wie wichtig es ist, miteinander zu reden. Auch, was die Demonstrationen an sich angeht. Denn Polizei, Ordnungsbehörden und Organisatoren haben gestern Hand in Hand gearbeitet. Sie haben nämlich im Vorfeld auf Augenhöhe gesprochen. Und so hat der „normale“ Bürger auf dem Weg zur Arbeit kaum Probleme bekommen. Alles eine Frage der Organisation und vor allem – des miteinander Redens. Und genau das ist doch das augenblickliche Dilemma. Es wird übereinander geredet, es wird beschimpft, gehetzt, es wird bedroht, aber leider viel zu wenig miteinander geredet.

Muss doch alles gar nicht sein. Wenn man miteinander spricht, merkt man häufig, dass die Ansicht des Gegenübers vielleicht gar nicht so verkehrt und von der eigenen weg ist. Wie im privaten Bereich: Man lernt jemanden kennen, denkt nach dem allerersten flüchtigen Eindruck: „Oh man, ist der arrogant“, plaudert irgendwann miteinander und stellt fest – doch gar nicht so arrogant der Typ… Auch unterschiedliche Meinungen sind kein Beinbruch und Grund für Anfeindungen. Man kann andere Meinung akzeptieren, selbst wenn man vielleicht anders denkt. Auch in Ordnung. Aber Reden ist meiner Meinung nach in der augenblicklichen Situation „Gold“ und nicht „Silber“. 

Ich habe gestern mit sehr, sehr vielen Menschen gesprochen – Landwirten, Mitgliedern des Unternehmeraufstandes, aber auch Menschen, die von diesen Demos gar nichts halten. Letztendlich, so mein Eindruck, würden diese Menschen schnell zueinander kommen oder sich zumindest respektieren, wenn sie sich endlich mal die Zeit nehmen würden, zu reden und sich für die Probleme des anderen zu interessieren. Das ist momentan aber leider selten. Stattdessen: „Bist Du nicht meiner Meinung, bist du doof“. Das spüren wir auch in den Kommentaren zu unseren Beiträgen und leider auch in persönlichen Angriffen, die uns regelmäßig erreichen. Dabei ist es manchmal wirklich nur ein ganz klitzekleines „(Getreide)Körnchen“, das zwischen den unterschiedlichen Meinungen liegt und bei sachlicher Diskussion von ganz alleine wegwehen würde.

Also: Miteinander reden, zuhören, andere Meinungen akzeptieren, auch wenn’s schwer fällt, statt gegenseitige Beschimpfungen und Hetze – hier im Kleinen an der Müritz, genauso wie ganz oben im großen Berlin. Dann geht’s auch wieder vorwärts, dann wachsen Zuversicht und Freude auf das, was kommt.

                                                                                                                                           Antje Rußbüldt-Gest


11 Antworten zu “Kommentar: Reden ist „Gold“, Hetzen ist blöd”

  1. Michael Studier sagt:

    Ich stand gestern bei Perleberg 7 Stunden mit dem LKW mein Verständnis hält sich in Grenzen. Ob das den Bauern geholfen hat?

  2. Micha sagt:

    Die rechte Hetze wird doch zum Großteil nur von der Politik missbraucht um abzulenken . Ist ja auch nix neues ! So lange der rechte Steuern zahlt is er doch ein guter rechter . Oder? 🤔 Wenn man gestern die Reaktion von Habeck und Co. gehört hat , dann haben die doch nix kapiert im Gegenteil. Sie werden uns weiter platt machen, denn sie haben einen Plan. Denn soviel Blödsinn kann man gar nicht mehr anders erklären .

  3. Nachdenklicher sagt:

    Frau Rußbüldt – Gest, danke! Absolut gut und intelligent geschrieben.

  4. Suse sagt:

    Der Meinung schließe ich mich an. Sind die Mitarbeiter bei der Deutschen Bahn und Flughafenmitarbeiter auch der Rechten Szene zuzuordnen? Über diese Streiks wird hier doch auch nicht so ein Gewese gemacht. Steht dort nicht auch alles still? Jeder hat das Recht seine Meinug zu äußern, aber leider artet es hier oft aus. Das ist sehr schade, denn es wird irgendwann, auf welche Art auch immer, jede Branche betreffen.

  5. W sagt:

    Micha, soweit ich weiß, haben die Politiker einen Standpunkt hinsichtlich der Dinge, die für die Zukunft richtig sein sollen. Sie wissen aber auch, dass man diese nicht vorhersagen kann. Deshalb sind sie Vertreter, die Ihre Vorstellungen mit denen von anderen verhandeln. Soweit ich das sehe, machen sie genau das. Mit der Warnung vor rechtsextremer Unterwanderung haben sie dieses Potenzial oder die Bereitschaft, bei Kälte rauszugehen, überschätzt. Passiert. Sie unterstellen ihnen aber, dafür einen Plan zu haben. Das kann ich mir schwer vorstellen. Nach Plan läuft ein so komplexes System, wie unsere Gesellschaftform nicht. Das wissen sie, weil Teil ihrer Bildung, z.B. bei Herrn Habeck, eines Philosophiestudiums. Aber Sie, Micha, haben anscheinend etwas Belastbares. Um nicht als Verschwörungsideologen auf den Leim gegangen dazustehen, werden uns den Plan gern zur Verfügung stellen. Ein Link genügt vielleicht.

  6. Micha sagt:

    Lieber Herr, Frau W ich bin mit Sicherheit nicht der ,der in die Glaskugel gucken kann . Aber eines ist klar, es gibt eine Agenda die diktiert wird und das steht fest . Der große Bruder und seine Kriegstreiber aus Amerika wird es schon richten zum Vorteil Deutschlands. Jeder der hier eine andere Meinung hat und sich anderer Quellen informiert ist eben anders . Aber gut ,dann ist das so und ich sperre mich nicht für neue Dinge aus ,denn die Welt entwickelt sich weiter. Und wer noch was macht muss versuchen Schritt zu halten . Aber so wie Scholz, Habeck und Co. mit Sicherheit nicht . Und meine Quellen nur zur Info sind Professoren , Wissenschaftler und studierte Finanzexperten und nicht irgendein Druide .

  7. Marie sagt:

    Frau Rußbüldt – Gest, auch ich möchte mich bei Ihnen über Ihren Beitrag bedanken! Das Thema „Miteinander reden“, ist wirklich enorm wichtig, für uns alle, in allen Bereichen, sich dabei respektieren und zuhören, d.h. den anderen auch ausreden lassen. Danke!

  8. Adernalinismus sagt:

    Habe ich mir gedacht Micha. Sie rücken Ihre Idee eines Plans in das Licht Ungenannter mit Titeln. Als Professoren , Wissenschaftler und studierte Finanzexperten bezeichnen sich viele, zu recht oder unrecht. Denken Sie nur an den österreichischen Begriff Professor. Und es gibt auch unter den Intelektuellen Scharlatane. So ist Ihre Argumentation, ziemlich dünn, wenn jemand etwas Belastbares wünscht. Es müsste schon ein Schriftstück sein, oder, geht heute ja auch, ein Filmchen, ein Tonmitschnitt aber stets mit klarer Quellenangabe. Richtig ist, was reproduzierbar ist. Also heraus damit. Alle sind gespannt. Falls die Urheberschaft Ihrer zentralen These in einem zweifelhaften Milieu zu finden, oder leicht zu wiederlegen ist, sei das nicht weiter schlimm für Sie. Jeder lernt doch gern dazu, oder? Das lasse ich auch für mich selbst gelten. Wenn Sie den Plan teilen, werde ich auch dazulernen. Der Weg, um Format zu gewinnen, ist lang, steinig und hat keine Abkürzungen.

  9. Micha sagt:

    Nur ,um ein kleines Beispiel zu nennen sind die Aussagen von Herrn Thilo Sarrazin in Schrift auf Papier gebracht und das schon lange bevor die Temperatur im Kessel nach oben ging . Viele Dinge sind eingetreten. Alles nur Zufall ? Er war einer der ersten ,die für ihre Aussagen politisch demontiert wurden . Aber er hatte recht . Oder hatte er damals schon andere Infos die ihm zum Verhängnis werden sollten ? Ist er ein bekennender rechtsextremer ,oder schon immer gewesen ? Das ist nur ein kleines Beispiel, soll jeder denken was er will ! Eins ist klar das Volk soll verunsichert, gequetscht und in eine Richtung gelenkt werden was die Ultrareichen und ihre Untertanen voran treiben . Es ist eine riesengroße Umverteilung von unten noch oben im Anmarsch und es betrifft den Mittelstand unser Rückrad der Gesellschaft.

  10. Rolf sagt:

    “ W “ ihr Artikel ist unter aller Sau

  11. Adernalinismus sagt:

    Micha, was wurde von ihm postuliert und ist dann eingetreten? Ich suche im egomanen Geschwafel mit radikaler Sprache von Tilo Sarrazin nicht herum, bis ich gefunden habe, was Ihnen passen könnte. Mit welchen geplanten Regeln soll von unten nach oben umverteilt werden? Wer hat dazu was gesagt und vor allem, wie vorbereitet? Bei den Ampelparteien fand ich bisher immer nur Maßnahmen, die die Leute in schwierigen Zeiten entlasten, selbst wenn es dem Klimaschutz entgegensteht, z.B. Erdgasterminals, Deckelung Energiepreise, Absenkung Mehrwertsteuer in Pandemiezeiten und noch mehrmals verlängert usw. Die Akteure erscheinen mir unverdächtig, haben sogar die FdP ins Boot bekommen. Dann kam die CDU und klagte dagegen, die Tricks, um an einfach gedrucktes, aber nicht durch Leistung gedecktes Geld zu kommen, noch ausweiten wollte. Ich finde, das war das Recht der CDU und die Verfassungsrichter haben nichts anderes getan, als das Grundgesetz genau zu lesen. So geht es eben auch nicht. Also ist das Geld knapp. Selbst Parteiprogramme der CDU, CSU und FdP enthalten nichts Greifbares zur Umverteilung, wenngleich deren Nähe zu Großunternehmern kein Geheimnis ist. Aber unrecht haben Sie, Micha, nicht. Denn in vielfachen Aussagen von Spitzenpolitikern der AfD finden Sie ihren Plan. Beispiel: Ein Abbau der Arbeitslosigkeit könne nur durch niedrigere Entlohnung der ohnehin schon Geringverdienenden erreicht werden, verlängerte Arbeitszeiten, verminderten Urlaubsanspruch oder höhere Leistungsbereitschaft“. Ich denke, wir sind einer Meinung und finden: Hoffentlich geht weder dieser altbekannte AfD-Plan, noch der neue, zu früh an die Öffentlichkeit gekommene mit den Massendeportationen aller Unliebsamen nicht auf. https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/geheimplan-remigration-vertreibung-afd-rechtsextreme-november-treffen/