LOBBI: Eskalation rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern

27. September 2024

Die Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern, LOBBI, musste in den ersten sechs Monaten des Jahres insgesamt 89 rechte Angriffe registrieren. Von den Attacken waren insgesamt 126 Menschen betroffen. Damit bewegt sich die Angriffszahl bereits zum Halbjahr etwa in der Höhe des jährlichen Durchschnitts der vergangenen 10 Jahre. Hochgerechnet für das Jahr 2024 ist somit aktuell ein trauriger Allzeit-Rekord rechter Angriffe seit der Gründung des Vereins LOBBI im Jahr 2001 zu erwarten.

Rassismus war von Januar bis Juni 2024 bei 52 Angriffen das maßgebliche und somit auch das mit Abstand häufigste Tatmotiv. Für bundesweite Erschütterung sorgte im Juni ein Angriff auf eine Familie in Grevesmühlen, bei dem zunächst zwei Mädchen aus einer Gruppe Jugendlicher heraus rassistisch beleidigt und das jüngere Mädchen getreten wurden. Anschließend attackierten die rechten Jugendlichen die Eltern, als diese versuchten, sie zur Rede zu stellen. Der Vater des kleinen Mädchens erlitt hierbei einen gebrochenen Finger.

24 Attacken richteten sich gegen politisch Aktive oder Verantwortungsträger, 6 Angriffe richteten sich gegen Menschen, die wegen ihrer (angenommenen) Zugehörigkeit zu einer nicht-rechten oder alternativen Subkultur attackiert werden. In zwei Fällen war das Motiv Homo- oder Transfeindlichkeit. Es gab einen Angriff auf Journalisten. Hinzu kommt eine sozialdarwinistische Attacke.
Auffällig ist darüber hinaus eine Zunahme der Angriffe gegen vermeintliche politische Gegner der Rechten. Mit 22 Angriffen waren sie deutlich häufiger Ziel rechter Gewalt als im Jahr 2023 (16).
Regionale Schwerpunkte sind neben den beiden Großstädten Schwerin und Rostock, die insgesamt – bezogen auf die Einwohnerzahl – die größte Inzidenz aufweisen, die Landkreise Vorpommern-Rügen und Vorpommern-Greifswald. Besonders herauszustellen ist hierbei die Hansestadt Stralsund, in der die LOBBI zehn Angriffe registrierte.

Angriff auf Afghanen im Auto

„Wir blicken jetzt schon auf eine Eskalation rechter Gewalt, wie wir sie zuletzt in den Jahren 2015 und 2016 registrieren mussten“ sagt Robert Schiedewitz, Mitarbeiter der LOBBI. Damals rollte eine Welle rassistischer Mobilisierung und in deren Folge auch Gewalt durch Mecklenburg-Vorpommern, die seitdem auf einem hohen Niveau verharrt. „Wir gehen davon aus, dass die aggressive Stimmung der extremen Rechten im Wahlkampf und die Wahlerfolge rechter Parteien und Wählerbündnisse bei den Kommunal- und Europawahlen zu dieser alarmierenden Verschärfung beigetragen haben – gepaart mit der zunehmend auf Kosten von Migranten ausgetragenen politischen Auseinandersetzung auf Bundesebene”, so Schiedewitz weiter.

Und: „Anfang des Jahres gelang es angesichts der Öffentlichmachung der Deportationspläne hochrangiger AfD-Politiker und anderer extrem Rechter Aktivist:innen, mit einer breiten Straßenmobilisierung ein Signal der Solidarität und gegen rechte Gewalt auszusenden. Doch im Laufe des Frühjahrs konnte insbesondere die AfD, mit andauernden Provokationen und weiteren Skandalen im Zusammenhang mit den Kommunal- und Europawahlen, die Aufmerksamkeit umlenken und mit zumeist rassistischen Zuspitzungen und Forderungen erneut eine Diskursverschiebung vorantreiben, die andere dann in Gewalttaten umsetzten. Wie im vorpommerschen Loitz, wo im Juni ein Mann aus Afghanistan zunächst auf einer Kreuzung von einem Fußgänger zum Anhalten seines Autos genötigt und von diesem und einem weiteren Unbekannten rassistisch angepöbelt wurde. Als er es schaffte, zu flüchten, wurde er verfolgt, ausgebremst und verletzt, als drei Personen mit Gegenständen auf sein Auto einschlagen. In Loitz gab es bereits im Vorjahr eine rassistische Hetzkampage im Zusammenhang mit der Unterbringung Geflüchteter und unmittelbar nach deren Bezug auch Anschläge auf die Unterkunft in einer alten Schule. Die Stimmung vor Ort wurde auch durch einen Landtagsabgeordneten und eine Demminer Stadtvertreterin der AfD angeheizt.“

Gewalt gegen politische Gegner

Neben von Rassismus Betroffenen, die als ohnehin marginalisierte Gruppe die rassistischen Konzessionen an die Rechten als erste zu spüren bekommen und Ziel rechter Gewalt werden, nehmen Anfeindungen und Gewalt gegen vermeintliche politische Gegner zu.

Ganz aktuell zeigt sich zudem, dass Veranstaltungen wie Christopher-Street-Day-Paraden nicht (mehr) ohne Polizeischutz stattfinden können, weil Neonazis gegen diese Veranstaltungen mobilisieren, wie zuletzt in Wismar.
Doch es bleibt eben nicht bei Beschimpfungen. Angriffe wegen des Tragens einer Regenbogen-Fahne, Sachbeschädigungen an queerfreundlichen Einrichtungen bis hin zur Brandstiftung wie vergangene Woche in Rostock, weisen auf eine besorgniserregende Entwicklung und eine klare Feindmarkierung in Richtung der LGBTIAQ+-Community und ihrer Allies hin.

Die Arbeit der LOBBI wird finanziell gefördert mit Mitteln aus dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms “Demokratie leben!” und Kofinanziert von der Europäischen Union aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF).

Die LOBBI ist Mitglied im Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) und im Beratungsnetzwerk Demokratie und Toleranz Mecklenburg-Vorpommern.

* Erfassungszeitraum vom 1.1. bis zum 30.6.2024


3 Antworten zu “LOBBI: Eskalation rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern”

  1. PETER sagt:

    Giebt es eigentlich eine Beratungsstelle für linke Gewalt?

  2. Nachdenklicher sagt:

    Sehr schlimm. Jede Form von Gewalt des Menschen gegen den Menschen. Wonach richtet sich eigentlich, ob eine Tat rechts ist oder nicht? Wer teilt das bei diesen schlimmen Vorfällen ein und wo sind eigentlich all die Statistiken über alle anderen Gewaltformen? Ich persönlich verabscheue jede Form der Gewalt von Menschen gegen Menschen, bin aber, seitdem ich mal eine Veröffentlichung der Polizeigewerkschaft sah, schockiert, welch Masse an solchen Taten in unserem Staate passiert und auch darüber, dass wir das Meiste davon gar nicht erfahren.