Warener gedenken der Opfer des Nationalsozialismus

28. Januar 2023

Gedenken heute in Waren an die Opfer des Nationalsozialismus. Stadtpräsident Rüdiger Prehn (Linke), Bürgermeister Norbert Möller (SPD) und der Bund der Antifaschisten haben sich dazu das Jugendzentrum „JOO!“ ausgesucht. Die Veranstaltung war gut besucht. Während sich draußen eine Menschenkette, initiiert von den Organisatoren der Montagsdemos, bildete, sprach CDU-Ortsvorsitzender Christian Holz mit sehr persönlichen Worten zu den Gästen der Gedenkveranstaltung. Anschließend legten die Teilnehmer am Gedenkstein für die Ermordeten des Konzentrationslagers Retzow am Kietz Kränze nieder. Dabei erinnerte Rüdiger Prehn an Warener, die ermordet wurden, weil sie anders waren, zum Beispiel, weil sie unter einer psychischen Erkrankung litten.
Beide Veranstaltungen verliefen dieses Mal im Gegensatz zu den Gedenkterminen Ende vergangenen Jahres ohne Störungen. Die Polizei hat das Grüppchen der Partei „Neue Stärke“, das immer wieder durch rechte Aktionen auffällt, schon im Vorfeld abgefangen. Auch ansonsten gab’s mit rund 40 Beamten ein großes Polizeiaufgebot. 
Hier die sehr persönlichen Worte des CDU-Ortsvorsitzenden Christian Holz:

„Als mich der Bürgermeister gebeten hat, zum gestrigen Gedenktag einige Worte an Sie zu richten, habe ich gerne zugesagt. Das Erinnern an die Vergangenheit ist mir persönlich sehr wichtig. Nur wer seine Vergangenheit kennt, kann aus ihr lernen und in der Zukunft einmal begangene Fehler vermeiden.

Das Thema dieses Gedenktages begleitet jeden von uns auf seinem Lebensweg. Als Kind der DDR bin ich früh mit dem Thema Faschismus bzw. Antifaschismus konfrontiert worden. Zum ersten Mal im Pionierlager in Malchow. Hier sind wir in der 4. Klasse einen Teil des Weges des Todesmarsches vom KZ Sachsenhausen und Ravensbrück nach Raben-Steinfeld bei Schwerin abgelaufen. Begleitet von einem älteren Herren, der uns von dem Leiden und Sterben der Häftlinge erzählte. In Erinnerung ist mir die grau weiß gestreifte Kleidung auf den mitgebrachten Fotos geblieben.

Noch eindrücklicher war der Ausflug ein paar Jahre später im Rahmen der Jugendweihe in das Konzentrationslager Ravensbrück. Wir haben am Gedenkstein einen Kranz niedergelegt und eine Gedenkminute gehalten. Erschütternd für alle Teilnehmer – die Öfen, in denen die Leichen der verstorbenen Lagerinsassen verbrannt wurden, und die Darstellung des Lageralltages. So ausgelassen wie auf dem Hinweg fuhren wir nicht nach Hause zurück. Es herrschte eine nachdenkliche Stille.

Dann, im März 1994, gingen viele ins Kino, auch ich. Ein neuer Spielberg-Film mit einem Thema der deutschen Geschichte und mit bekannten Schauspielern. Ein opulentes Meisterwerk Namens „Schindlers Liste“. Ein sehr nachdenklich stimmendes Meisterwerk. Eindrücklich die Szene, in der der Lagerleiter zum Frühstückskaffee einen Lagerinsassen erschießt. Ohne jeden Grund, einfach so, weil er es kann. Im Anschluss gab es Diskussionen im Freundes- und Bekanntenkreis zum Thema. Tragen wir, die Jugend der 90-iger, Schuld an den Opfern des Nationalsozialismus? Wir, die Enkel bzw. Urenkel der damaligen Täter, Mittäter und wegschauender Bürger? Wir kamen zu dem Schluss: Nein, das ist Vergangenheit. Das ist so schrecklich, das wird sich nicht wiederholen. So etwas werden wir nicht wieder machen. Das stimmt, wir nicht. Aber es gab im Sommer 1995 den Ort Srebrenica und ein Massaker an 8000 Bosniern durch serbische Milizeinheiten. Wieder herrscht Betroffenheit, und wieder gerät diese in Vergessenheit.

Im Herbst 1997 im Rahmen des Grundwehrdienstes und eines Schießbiwaks bei Bremen besuchten wir die Gedenkstätte Bergen-Belsen. Ein Haufen übermütiger Abiturienten, die auf alles die einzig wahre Antwort haben. Die hatte sich nach dem Besuch der Gedenkstätte schlagartig erledigt. Nachdem wir gesehen hatten, wie wandelnde Skelette ihren Befreiern um den Hals gefallen sind; Berge von Toten mit Ketten-Raupen zusammengeschoben wurden, Krematorien mit halbverbrannten Leichen. Unvorstellbar, wozu das deutsche Volk fähig war. Nachvollziehen konnten wir es nicht. Und es war klar, so etwas würde es mit uns niemals geben.

Die Zeit geht voran. Man gründet Familie, übernimmt Verantwortung im Leben für sich und andere. Und dann kommt das eigene Kind und bittet darum, den Film „Die Welle“ zu schauen. Ich kann ihn nur jedem empfehlen, der ihn noch nicht gesehen hat, oder das Buch zu lesen. So einfach und nachvollziehbar entsteht ein totalitäres Regime, das zu solchen Taten fähig ist. Menschen auszulöschen, weil sie bestimmten rassischen Kriterien nicht entsprechen oder einfach eine andere Sicht auf das Leben haben, und damit auf dieser Welt nicht lebenswert.

Ich habe in Vorbereitung dieser Rede mit unserem städtischen Museum gesprochen und mich nach Opfern des NS Regimes in Waren erkundigt. 26 nachweisbare Opfer sind durch Stolpersteine im Stadtgebiet zur Erinnerung verewigt. Ein Opfer möchte ich ihnen näher bringen Friedrich Schwarz, wohnhaft in der Mozart Str. 13, quasi um die Ecke. Welch Ironie – direkt gegenüber vom ehemaligen „Zutt`s Patriotentreff“. Friedrich Schwarz war Angestellter der MEMEFA, der am Anfang hinter dem Regime stand. Ein Lehrer und Ausbildungsleiter. Nach Stalingrad äußerte er sich kritisch zum Regime. Zitat: „Wir werden von unserer Regierung verdummt, wer zu 100% Nationalsozialist sei, sei nicht normal und ein Gehirnspezialist aus Schweden sei mit Sauerbruch auf dem Obersalzberg, um dem Führer eine Gehirnoperation zu machen“. Er wurde von Kollegen denunziert, zum Tode abgeurteilt und am 16.11.1943 hingerichtet. Weiteres zu den anderen 25 Stolpersteinen können Sie gerne in der Broschüre Stolpersteine in Waren (Müritz) nachlesen und nachlaufen.

Es geht so einfach, so schleichend, und am Ende für die nachfolgenden Generationen so erschreckend. Aus diesem Grunde hat Bundespräsident Roman Herzog den gestrigen Gedenktag 1996 ins Leben gerufen. Damit wir uns der Verantwortung unserer Geschichte erinnern, damit wir uns der Verantwortung unserer Geschichte stellen und diese Verantwortung für unsere Geschichte in die Zukunft tragen. Nicht als Feiertag, sondern jeder für sich.

Zitieren möchte mit einem Auszug aus einer Rede von Richard von Weizäcker zum 40. Jahrestag des Endes des zweiten Weltkrieges: “ Kein fühlender Mensch erwartet von Ihnen, ein Büßerhemd zu tragen, nur weil Sie Deutsche sind. Aber die Vorfahren haben Ihnen eine schwere Erbschaft hinterlassen. Wir alle, ob schuldig oder nicht, ob alt ob jung, müssen die Vergangenheit annehmen. Wir alle sind von ihren Folgen betroffen und für sie in Haftung genommen.
Es geht nicht darum, Vergangenheit zu bewältigen. Das kann man gar nicht. Sie läßt sich ja nicht nachhaltig ändern oder ungeschehen machen. Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird anfällig für neue Ansteckungsgefahren.“

Gehen Sie bitte in sich, in einer Zeit, in der wieder Lügenpresse gerufen wird, von Impfdiktatur und Gleichschaltung geredet wird, wir einen Angriffskrieg vor der Haustür haben und eine Gruppe Namens „Neue Stärke“ unseren Stadtpräsidenten in aller Öffentlichkeit bedrängt. Auschwitz hat auch in Waren seinen Anfang genommen! Die Opfer des Nationalsozialismus, ausgegrenzt und ermordet durch ein totalitäres Regime hier auf deutschem Boden. So etwas darf sich nicht wiederholen, tragen Sie dazu bei, die Demokratie zu stärken und eine klare Stellung zu beziehen.“


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