Virologe Drosten im Gericht Waren: „Flut von Fäkalausdrücken“

20. März 2024

Es sollten ein paar schöne Stunden am See werden, ein Wochenende in Familie, ein bisschen Abenteuer mit dem vierjährigen Sohn beim Zelten. Doch für den bekannten Virologen Christian Drosten dürfte der Aufenthalt auf einem Campingplatz bei Wesenberg am Ellbogensee im Sommer 2022 alles andere als erholsam gewesen sein. Er musste sich beleidigen, beschimpfen und verleumden lassen, und das teilweise in Anwesenheit seines kleinen Jungen. Gestern nun gab’s den zweiten Prozesstag am Warener Amtsgericht, angeklagt sind eine junge Frau sowie ein 49-Jähriger Arbeitsloser und seine 51-jährige Partnerin (WsM berichtete). Christian Drosten selbst war als Zeuge geladen und erschien mit seinem Anwalt Bernd Müssig. Fast drei Stunden lang wurde der Virologe befragt, vor allem von den Anwälten der drei Angeklagten. Ein Urteil gab’s auch gestern noch nicht. Dafür aber zwei Entschuldigungen – allerdings eher halbherzige.
Ein ausführlicher Bericht aus dem Gerichtssaal.

Schon eine gute Stunde vor Prozessbeginn warteten gestern Mittag etliche Journalisten vor dem Amtsgericht, um bloß nicht die Ankunft von Christian Drosten zu verpassen. Denn im Gerichtsgebäude selbst hatte man das Fotografieren dieses Mal komplett verboten. Unüblich, denn bei öffentlichen Prozessen ist das Filmen und Fotografieren normalerweise zu Beginn der Verhandlung gestattet. Aber, am Warener Amtsgericht scheint man – wie ein Reporter aus der Hauptstadt ziemlich angefressen meinte – Journalisten so gar nicht zu mögen. So durften sie ihre Meldungen in einer der Pausen auch nicht im Gebäude in ihre Laptops tippen, sondern mussten nach draußen vor die Tür und den Amtsgerichts-Briefkasten im frischen Müritz-Wind als Schreibtisch nutzen. (Foto rechts).

Nach ein paar Plänkeleien zwischen Anwälten, Oberstaatsanwalt Tim Wischmann und Richter Roland Träger zu Befangenheitsanträgen, vermeintlichen Verfahrensfehlern und Akteneinsichten nahm Christian Drosten mit seinem Anwalt am Zeugentisch Platz. Der 51-Jährige schilderte in ruhigem Ton und mit sachlichen, wohl überlegten Formulierungen die Ereignisse auf dem Campingplatz. Demnach war er nur eine Nacht am Ellbogensee. An jenem späten Samstagabend sei er mit seinem vierjährigen Sohn vom Zähneputzen zum Zelt gegangen, als sich ihm der 49 Jahre alte Angeklagte Maik S. mit einer Bierflasche in der Hand in den Weg stellte und gefragt habe: „Bist Du der Drosten?“ Und weiter: „Du gehörst in den Knast, Du bist ein Verbrecher. Auch das Wort „Massenmörder“ soll gefallen sein. Das Ganze sehr laut in einem grölenden Ton. „Ich war erst mal perplex und habe mich gleich gefragt, was das mit meinem Kind macht“, erzählte der Wissenschaftler. Eine Aussage, die wohl jeder Vater, der sich um sein Kind sorgt, nachvollziehen kann.

„Flut von Fäkalausdrücken“

Am nächsten Tag, sein Zelt war schon abgebaut, habe ihn die junge Angeklagte Franziska K. abgepasst und wollte ihn in ein Gespräch verwickeln. „Bei ihr hatte ich die Hoffnung, dass man mit ihr eventuell vernünftig reden und Argumente austauschen kann. Aber es kamen nur verschwörungstheoretische Inhalte, an meinen Ausführungen hatte sie leider kein Interesse, so dass ich dieses Gespräch abgebrochen habe“, erinnert sich Christian Drosten. 

Etwas später habe er versucht, mit dem 49-Jährigen und weiteren Personen das Gespräch zu suchen. „Ich wollte ihnen klar machen, was es mit meinem Sohn gemacht hat, dass er mich am Vortag so beleidigt hat.“ Dann sei die 51 Jahre alte Angeklagte Katrin W. mehr oder weniger ausgerastet und habe ihn mit einer „Flut von Fäkalausdrücken“ überschüttet. Das auch wiederum sehr laut, um die Aufmerksamkeit anderer Camper auf sich zu ziehen. Maik S. habe eingestimmt und ihn unter anderem als Transhumanisten bezeichnet. „Das musste ich erst mal nachschlagen“, gibt der Professor zu. Letztendlich habe er sich bedroht gefühlt und die Polizei gerufen. Nicht ganz einfach. Erst musste er sich einen Punkt suchen, an dem er Handy-Empfang hatte, dann landete er noch bei der Polizei im falschen Bundesland. Als ihm schließlich gesagt wurde, dass die Beamten unterwegs seien, habe er gesehen, dass die Angeklagten in Richtung Wald verschwinden und ging ihnen in gebührendem Abstand nach. Katrin W. sei dann umgekehrt und habe ihn mit einem Tablet gefilmt. 

Soweit die Schilderungen von Christian Drosten. Jetzt schlug die Stunde der Anwälte, und die Zuhörer der Verhandlung hatten mehrfach den Eindruck, dass sich nicht die drei Angeklagten verantworten müssen, sondern der Zeuge Drosten. Verkehrte Welt im Warener Amtsgericht. Auch, was die Rollen im Saal anging. Denn nicht Richter Roland Träger war dem Empfinden nach „Chef im Ring“ , sondern Anwalt Mirko Röder aus Berlin, der den 49-jährigen „Haupttäter“ Maik S. als Pflichtverteidiger vertritt und schon am ersten Prozesstag mehrfach das Zepter übernahm.

Anti-Drosten-Mails ohne Ende

Bei den Befragungen durch die drei Anwälte ging es aber gar nicht explizit um die angeklagten Beschimpfungen und Beleidigungen, sondern zumeist um die Rolle von Christian Drosten in der Corona-Pandemie und als Berater der Bundesregierung. Verständlich, dass der Zeuge und sein Anwalt mehrfach nachfragten, was das alles mit den Anklagepunkten zu tun hat. Auch das Geständnis des 49-Jährigen Maik S. wirkt eher wie eine Anklage gegen Drosten, seine Bitte um Verzeihung, vorgetragen von seinem Anwalt, deshalb wie ein Hohn. Zitat aus seinem Geständnis: „Ich habe den wichtigsten Pandemieberater der Bundesregierung Herrn Christian Drosten am 25. Juni 2022 gegen 21 Uhr auf der Badewiese des Campingplatzes am Ellbogensee als größten Verbrecher, der frei rumläuft bezeichnet, weil keine echte Promotionsurkunde existiert, die ihn befugt hätte, seit April 2003 einen Doktorgrad zu führen und er sich seine Professuren durch arglistige Täuschung erschlichen hat.“ Im weiteren Verlauf der Verhandlung wollte Maik S. ihn mit irgendwelchen Unterlagen zum angeblich „erschlichenen Doktortitel“ konfrontieren, scheiterte aber an seinen eigenen Argumenten. Er und seine mit angeklagte Partnerin werden offenbar stark beeinflusst von einem gewissen Markus Kühbacher, auch ein Doktor, aber ein Chemiker, dessen Lebensinhalt seit einigen Jahren darin zu bestehen scheint, zu beweisen, dass der Wissenschaftler seinen Doktor-Titel zu Unrecht trägt. Ein Mann, der Medien, Polizei, Richter und Staatsanwaltschaften regelrecht und wie besessen mit Anti-Drosten-Mails  bombardiert. Und so will der Angeklagte Maik S. ausgerechnet auch noch diesen Herren als Zeugen hören. Sehr zum Leidwesen von Oberstaatsanwalt Tim Wischmann, der keinen Hehl daraus macht, dass er das für wenig zielführend hält.

Vorwurf trifft Virologen

Eingestellt werden könnte das Verfahren gegen die jüngste Angeklagte Franziska K. – Richter, Staatsanwalt und Pflichtverteidiger haben ihr den Weg dazu geebnet. Doch auch ihre Entschuldigung, nach Aufforderung persönlich an den dafür sehr aufgeschlossen wirkenden Christian Drosten gerichtet, schien eher gezwungen. Es tue ihr leid, für eine unangenehme Situation für ihn und seine Familie gesorgt zu haben und sie freue sich, dass er auch Verständnis für die anderen Seite aufbringe. Das hat Christian Drosten mehrfach betont: Er kann andere Meinungen akzeptieren, ist offen für Kritik, erwarte aber auch, dass man für wissenschaftliche Argumente zugänglich sei. Ein ganz großes Problem in der heutigen Gesellschaft sei für ihn die Desinformation. Viele Menschen würden sich ihre Informationen aus „Untergrund-Medien“ holen. So seien auch die Anschuldigungen einer Angeklagten zu erklären, die Drosten für den Tod zahlreicher Kinder verantwortlich mache. Ein Vorwurf, gegen den er sich entschieden wehrt, und ein Vorwurf, der ihn augenscheinlich auch sehr trifft. Denn als es um diese Anschuldigungen ging, verlor der sonst sehr ruhig wirkende Virologe kurz seine Fassung.

Letztendlich endete der Prozesstag ohne Ergebnis. Ob die Angeklagte Franziska K. die Einstellung des Verfahrens gegen sie – wie in Aussicht gestellt – annimmt, bleibt offen. Sie möchte wohl eher einen Freispruch, wie sie durchklingen ließ. Die beiden anderen Angeklagten müssen sich auf jeden Fall bei den nächsten Verhandlungstagen stellen. Wie viele es davon noch gibt? Das hängt wohl auch davon ab, ob man in diesem Prozess sämtliche Entscheidungen in Deutschland während der Corona-Pandemie aufarbeiten möchte, wie es bei einigen Anwälten zu vermuten steht, oder ob es jetzt wirklich nur noch um die Beleidigungen und Verleumdungen geht, die angeklagt sind.

Foto oben: Christian Drosten (links) mit seinem Anwalt Bernd Müssig.


5 Antworten zu “Virologe Drosten im Gericht Waren: „Flut von Fäkalausdrücken“”

  1. hausarzt-mangel sagt:

    Prof. Drosten ist einer der renommiertesten Wissenschaftler weltweit (Nobelpreis verdächtig), bei Medizin-Studierenden höchst beliebt. Diese verfolgen sehr genau, was in unserem Landkreis geschieht, augenblicklich bedient das Gericht alle negativen Vorurteile, so lösen wir unseren Hausarztmangel keinesfalls! Das Gericht weiß seit langer Zeit, dass jetzt die medizinische Welt auf Waren schaut, wie kann es passieren, dass über einen „unaufmerksamen“ Richter berichtet wird?

  2. nochmal Hausarztmangel sagt:

    Dies liest der Medizinernachwuchs im Spiegel, der Süddeutschen Zeitung etc. von heute: „Der Vorsitzende Richter Roland Traeger wirkt die meiste Zeit abwesend, er greift nicht ein, lässt jede auch noch so absurde Frage zu, muss von anderen Prozessbeteiligten häufiger daran erinnert werden, dass er eigentlich derjenige sei, der den Prozess leiten solle.“

  3. Christine sagt:

    Was haben denn diese 3 Angeklagten für eine Kinderstube? Ganz davon abgesehen, dass ich mich frage, was an diesem Sachverhalt so kompliziert ist,
    dass es zur Urteilsverkündung mehrere Verhandlungstage braucht. Alle Angeklagten sind, sofern ich das richtig verstanden habe, geständig und dass sie auf Verschwörungstheoretiker hereingefallen sind mag als Erklärung für ihr Verhalten dienen, ändert aber nichts daran, dass sie eine Straftat begangen haben, die entsprechend zu ahnden ist.

  4. SR sagt:

    Dass hier ein Richter abwesend (uninteressiert) wirkt, ist mit ein Grund wieso Schwurbler und deren (studierte!!) Anwälte offensichtlich komplett unsachlich argumentieren, den Prozess in die Länge ziehen und Aufmerksamkeit erregen können.
    Vielleicht ja auch gut, dass es diese gibt. Auf jeden Fall besser als ein Verfahren, das der Richter wegen Geringfügigkeit einstellt und den Schwurblern recht und dem Gast unrecht gibt. Denn unabhängig davon, dass Dr. Drosten einer der angesehensten Virologen weltweit ist und die Angeklagten offenbar nicht „die hellsten Kerzen auf der Torte“ sind (um das mal diplomatisch auszudrücken) geht es hier nicht um eine vergangene Pandemie und welche Maßnahmen damals richtig oder falsch waren, sondern um Nötigung, Beleidigung, Bedrohung eines Menschen auf einem Campingplatz. Das muss sich (hoffentlich) niemand gefallen lassen und die Rechtssprechung sollte entsprechend deutlich ausfallen.
    Hoffentlich begreift das der Richter. Oder im Justizministerium fällt auf, dass man aufmerksame und sensible Richter auch in Waren braucht. Insbesondere wenn es um derartig sensible Themen geht.
    Ist ja schön, dass in diesem Land jeder sagen darf was er will, aber diese Freiheit funktioniert nur, wenn man sich auch an rechtsstaatliche Regeln hält. Und diese wurden hier ganz offensichtlich verletzt.

  5. BCR sagt:

    Es ist immer leicht, den Richter anzugreifen. Gott sei Dank findet die Entscheidung über Recht und Unrecht, Schuld und Strafe nicht an Stammtischen oder in Redaktionen statt, sondern in Gerichtssälen. Wer die Bücher von Ferdinand von Schirach gelesen hat, wird die Ambivalenz der Richterrolle verstehen. Ich selber habe als Strafverteidiger schon verschiedene Strafverfahren bei diesem Vorsitzenden erlebt und habe ihn immer als sachlich und abgewogen empfunden. Ein guter Richter sollte erkennbar den objektiven Abstand zum Verfahren wahren, auch wenn das dem SPIEGEL oder anderen Medien nicht gefällt. Am Ende wird ein objektives Urteil stehen, und die Angeklagten tun sich vermutlich keinen Gefallen damit, ihre Uneinsichtigkeit im Verfahren zu perpetuieren.