Eine Kinderklinik am Rande der Stadt

28. September 2014

Schwenzi2100 Jahre Warener Krankenhaus. Die Entwicklungsgeschichte der Warener Kinderklinik ist in dem Sinne besonders, da sie die längste Zeit unter abenteuerlichsten Umständen in externen Räumlichkeiten untergebracht war. Von 1955 bis 1963 eröffnete die erste Kinderstation mit 20 Betten im Krankenhaus Müritzhöhe an der Fontanestraße in Waren. Von 1963 bis 1996 war sie dann in dem notdürftig umgebauten Schwenziner Schloss untergebracht. Was ursprünglich als Interimslösung gedacht war, zog sich über 30 Jahre hin, so dass die Kinderklinik erst im Jahre 1996 an das Haupthaus nach Waren zog.

Am 1. September 1955 wurde auf Anregung der poliklinisch tätigen Kinderärztin Dr. Siebert (später Dr. Spitzbart) im Krankenhaus Müritzhöhe die erste Kinderstation mit 20 Betten eingerichtet. Bis 1966 wurden die jungen Patienten sowohl von ihr als auch von angeleiteten Assistenten betreut. Für die Stationen standen zwei Krankenschwestern und eine Kinderkrankenschwester zur Verfügung. Die Schwestern unter der Leitung von Schwester Evi arbeiteten unter heute unvorstellbaren primitiven Bedingungen: Ein einziger Raum diente als Dienstzimmer, Untersuchungszimmer, Milchküche, Umkleide- und Aufenthaltsraum. In einem weiteren Zimmer wurden Säuglinge gepflegt, in den anderen die großen Kinder. Selbst die Wäsche wurde von den Schwestern im Waschkessel gekocht und gewaschen.

Auf den Boden gelegt

Nach dem Weggang Schwenzin4von Dr. Spitzbart 1957 übernahm Dr. Christen die Betreuung der stationären Betten in der Müritzhöhe. Als er 1960 Waren verließ und sich kein Nachfolger fand, musste die Station für ein Jahr geschlossen werden, bis die ebenfalls poliklinisch tätige Dr. Manz nach Waren kam und die stationäre Versorgung wieder aufnahm. 1961 gilt somit als offizielles Gründungsjahr der Kinderklinik.

Unter der Leitung von Dr. Manz stiegen die Patientenzahlen stark an, so dass die 22 vorhandenen Betten meist überbelegt waren. Auf der Suche nach einer größeren Kinderstation bot sich das Schloss Schwenzin am Kölpinsee an. Im November 1963 erfolgte in einer Hals-über-Kopf-Aktion der Umzug in das sogenannte „Urwaldkrankenhaus“. Nichts war vorbereitet: Mobiliar und Kinder erreichten gleichzeitig Schwenzin. Da die Betten erst aufgebaut und bezogen werden mussten, wurden die Kinder zunächst auf Decken auf den Boden gelegt.

In Schwenzin verfügte die Kinderklinik über 51 Betten, die auf zwei Stationen verteilt waren. Das Amt der leitenden Schwester übernahm Schwester Hilde Dudeck. Die Versorgungsstruktur war abenteuerlich: Eine MTA kam dreimal pro Woche von Waren nach Schwenzin, um Blutbilder abzunehmen. Venenblut und Urinproben wurden kurzerhand mit dem Personalbus zur Analyse nach Waren mitgegeben. Zum Röntgen wurden die Kinder mit dem Krankenwagen zum Haupthaus gefahren. Damals gab es noch viele Langlieger unter den jungen Patienten, die in der 1964 gegründeten Klinikschule von Frau Hahn als Lehrerin und in dem 1967 entstandenen Kindergarten für 3 bis 6-Jährige von Erna Schmidt betreut wurden.

Bundesverdienstkreuz für den Chefarzt

Schwenzin3Mit dem Versprechen eines Neubaus der Kinderabteilung am Haupthaus in Waren trat 1966 Dr. Hofmann als erster hauptamtlich tätiger Arzt die Leitung der Kinderklinik an. Er etablierte unter anderem die praktische Ausbildung von Kinderkrankenschwestern. Im Oktober 1973 verließ er jedoch die Klinik wieder, nachdem der mehrmalig versprochene Neubau des Klinikums erneut verschoben wurde. Die Oberärztinnen Dr. Jäckel und Dr. Cramer übernahmen die kommissarische Leitung.

Dr. Eberhard Lamster übernahm im August 1974 als neuer Chefarzt die Leitung. Auch ihm wurde eine verbindliche Zusage gemacht, dass im Folgejahr ein Neubau am Haupthaus in Waren entstehen sollte. „Schwenzin war als Krankenhaus einerseits eine Unmöglichkeit, andererseits aber auch eine Herausforderung und die hat viele von uns geprägt. Es gehörte eine Portion Gelassenheit und die Fähigkeit zur Selbstverleugnung und Selbstironie dazu, um nicht das Handtuch zu werfen. Man musste organisatorische Abwehrstrategien entwickeln und die stete Sorge verdrängen, dass unter den gegebenen Bedingungen Situationen hätten eintreten können, die nicht mehr zu beherrschen gewesen wären“, erinnerte sich Dr. Lamster. Trotz der widrigen Umstände blieb Lamster, der für seinen Einsatz mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt wurde, bis zu seinem Ruhestand der Kinderklinik treu.

Die Gebäudestruktur war äußerst marode und die apparative Ausstattung sehr spartanisch. Im Hinblick auf den geplanten Neubau der Kinderklinik in Waren wurden jedoch keine Gelder für dringend benötigte Instandhaltungen oder Modernisierungen investiert.

Nach 30 Jahren wird das Versprechen endlich eingelöst: Die Kinderklinik bezog im Mai 1995 die neuen Räumlichkeiten am Haupthaus in Waren. Mit intensiven Planungen wurden alle Vorstellungen verwirklicht und erstmalig in der Geschichte der Kinderklinik stand eine gute apparative Ausstattung mit z.B. EEG-Labor und einer Lungenfunktionsdiagnostik zur Verfügung. Es entstand die erste interdisziplinäre Kinderstation in ganz Mecklenburg-Vorpommern.

Durch die langen Jahre Schwenzin4der besonderen Situation in Schwenzin entwickelte sich ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl im Team: Die Achtung der Persönlichkeit ohne Ansehen der Stellung ist ein gültiges Prinzip der Zusammenarbeit in der Kinderklinik. Dieser Teamgeist ist bis heute geblieben.

Nach Dr. Lamsters Ruhestand 2002 übernahm der langjährige Oberarzt, Dr. Hans- Jürgen Flägel, die Geschicke der Kinderklinik. Mitte 2012 kam mit Dr. Kathrin Kintzel als neue Chefärztin eine ausgewiesene Kinderdiabetologin an das Klinikum. Mit viel Engagement verfolgte sie den Aufbau eines Kinderdiabeteszentrums und veranstaltet seit 2013 das Warener Kinderdiabetescamp.

Das blaue Wunder

Das „Urwaldkrankenhaus“ war sieben Kilometer vom Haupthaus entfernt. Das Personal wurde mit einem Betriebsbus, das „Blaue Wunder“ genannt, zur Arbeit gefahren, denn ein eigenes Auto war ein Luxusgegenstand. Darüber hinaus verfügte die Kinderklinik über kein eigenes Fahrzeug.

Eltern, die ihre Kinder besuchen wollten, hatten immer mittwochs und sonntags zu den offiziellen Besuchszeiten die Möglichkeit dazu. In Waren wurden sie mit einem Bus der Verkehrsbetriebe eingesammelt und in das entlegene Schwenzin gefahren. Vor Ort standen sie dann meistens vor der Zimmerabsperrung. Übertrieben, aber die damals gültigen hygienischen Vorschriften ließen keinen engeren Kontakt zu.

Auskünfte über den Gesundheitszustand der Kinder erhielten Eltern ansonsten nur vormittags per Telefon. Für heutige Verhältnisse unvorstellbar, aber bis Ende der 1970er Jahre existierte nur eine einzige Telefonfreileitung und somit gehörte die Jagd auf das Freizeichen zum täglichen Sport aller Anrufer. Es geschah nicht selten, dass durch Sturm und Schneefall die Oberleitungen zum Ausfall des Telefons führten. Falls genau zu diesem Zeitpunkt eine Verlegung anstand, ging einer der sportlichen Kollegen auf die Piste und versuchte im forcierten Dauerlauf das FDGB-Heim zu erreichen, um dort Signale in die Zivilisation abzusetzen. Oft genug mussten kranke Neugeborene und Frühgeborene verlegt werden, da die benötigten Möglichkeiten der pränatalen Zustandsdiagnostik, wie Ultraschall, SBH, CTG usw. nicht vorhanden waren.

Anfang der 1980er Jahre erhielt die Klinik einen „Intensivraum“, der mit einem Hustenmikrofon ausgerüstet war. Nach der Wende wurde ein Herz-Kreislauf-Monitoring möglich und die Kinde klinik erhielt durch Spendenaktionen und Schenkungen verschiedene medizinische Apparaturen sowie Einrichtungsgegenstände. Durch den Einzug der Ultraschalldiagnostik erhöhte sich die Transportfrequenz in das Haupthaus nach Waren erheblich und Schwenzin erhielt dreimal pro Woche die Lizenz, in der Röntgenabteilung zu diagnostizieren.

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des MediClin Müritz-Klinikums

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2 Antworten zu “Eine Kinderklinik am Rande der Stadt”

  1. Viola Schröder geb. Achterberg sagt:

    Sehr geehrte Damen und Herren, ich befand mich zwischen 1971-79 selbst in Schwenzin und würde gern erfahren, ob es Aufzeichnungen darüber gibt, danke für die Mühen, mit freundlichen Grüßen Viola Schröder

    • Hesse sagt:

      Hallo Frau Schröder,

      ich war diesen Mittwoch bei Herrn Dr. Hofmann zu Besuch und wir haben über seine Arbeit im Kinderkrankenhaus Schwenzin Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre gesprochen. Falls Sie noch Interesse haben, melden Sie sich gerne.