Fünf Jahre und drei Monate Haft wegen versuchten Mordes
Können Gerüchte töten? Die Neubrandenburger Richterin Daniela Lieschke hält das nach dem letzten verhandelten Fall für durchaus denkbar. Denn das Opfer einer Messerattacke in Neubrandenburg (WsM berichtete) hatte im November bei dem Vorfall gleich zwei lebensgefährliche Wunden – ohne schnelle Notoperation wäre der 16-Jährige gestorben. Das Landgericht Neubrandenburg hat den 20-jährigen Haupttäter jetzt zu fünf Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Er sei des versuchten Mordes – weil er aus Heimtücke zugestochen hatte – und der gefährlichen Körperverletzung schuldig, hieß es. Sein Bruder, der den Begleiter des Opfer geschlagen hatte, bekam eine Arbeitsauflage von 60 Stunden gemeinnütziger Arbeit. Er soll nicht an der Messerattacke teilgenommen haben, soll den Bruder später sogar zurückgezogen haben. Der dritte Angeklagte, ein 22-jähriger Bekannter der Brüder, wurde freigesprochen.
Allerdings haben viele junge Mädchen und Jungen aus dem Umfeld der Männer eine Mitschuld, gab das Gericht zu erkennen. „Man muss nicht das Messer führen, um eine Mitschuld zu haben“, sagte Lieschke. Damit spielte sie auf das Motiv des 20-Jährigen an, der in der Region Anklam und in einem Jugendheim aufgewachsen war und zuletzt in Neubrandenburg lebte.
Der Verurteilte hatte umfassend gestanden. Ihm und anderen aus der Gruppe war erzählt worden, dass der 16-Jährige, den man eigentlich gar nicht näher kannte, freizügige Bilder einer Bekannten im Internet weiterverbreitet habe. Der 16-Jährige soll sich zudem darüber lustig gemacht haben, dass der 18-jährige Angeklagte über den Tod der Oma trauerte und der 16-Jährige soll die damalige Freundin des Haupttäters vergewaltigt haben.
Aus dieser Gerüchte-Gemengelage erwuchs der Wunsch, dem Anderen mal einen Denkzettel zu verpassen. Doch dazu hätte man reden müssen, das geschah nicht. Per Smartphone lotste eine Bekannte die Männer zu einem Treffpunkt, wo das Unheil seinen Lauf nahm.
Alles nur erfunden
Später stellte sich heraus, dass alle Anschuldigungen gelogen waren. „Wir beobachten schon lange eine zunehmende Verrohung der Sitten“, sagte Lieschke an die Adressen der Zeugen. Diese frönten zu viel den Handy-Chats, wo nach dem Vorbild „Stille Post“ viel aufgebauscht wird. Da einige vor Gericht die Unwahrheit gesagt hätten, werden noch Ermittlungen gegen die jungen Frauen und Männer folgen. Der 20-Jährige hatte noch im Gefängnis erfahren, dass die Vergewaltigung nur erfunden war. Er hatte sich von der 13-Jährigen dann getrennt.
Der geschädigte 16-Jährige verfolgte die Urteilsverkündung an der Seite seines Anwaltes im Gericht. Er leidet immer noch an den psychischen Folgen. „Der junge Mann war arglos, als die Gruppe auf ihn zukam und hatte nicht erwartet, attackiert zu werden“, sagte Lieschke. Insofern seien die Messerattacke und der Schlag des 18-jährigen Bruders gegen den Begleiter sehr heimtückisch erfolgt. Das Trio ließ das Opfer schwer verletzt liegen, flüchtete – und fuhr erstmals zu einem Fastfood-Imbiss, um etwas zu essen.
Nach einer Nacht war ihnen aber die Polizei schon auf der Spur.
Die Staatsanwaltschaft hatte für den Haupttäter sechs Jahre Haft, sein Verteidiger nur drei Jahre Haft verlangt. In Haft verblieb nur der 20-Jährige, der nach Jugendstrafrecht verurteilt wurde. Ohne ihr Geständnis hätte es zwei Jahre mehr gegeben, sagte die Richterin rundheraus. Der 20-Jährige solle die Chance in der JVA für eine Ausbildung nutzen, dann könne er seinen eigenen Weg noch finden – ohne stille Post per Chats.
Foto: Felix Gadewolz