Jeder zehnte Berufstätige in MV hängt an der Kippe
Sind es Ängste, Sorgen und Nöte? Ist es der Druck im Job, Stress im Privatleben oder schlicht übermäßiger Genuss? Fakt ist: In Mecklenburg-Vorpommern gibt es so viele berufstätige exzessive Raucher wie in keinem anderen Bundesland. 2022 sind dort laut Daten der KKH Kaufmännische Krankenkasse 103 von 1.000 Beschäftigten wegen einer Abhängigkeit, Entzugserscheinungen, eines akuten Tabakrauschs oder psychischer Probleme aufgrund von Tabak ambulant behandelt worden. Das entspricht rund jeder/jedem Zehnten. Im Vergleich zu 2012 (45 von 1.000 Beschäftigten) bedeutet das einen Anstieg von fast 128 Prozent, im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 (94 von 1.000 Beschäftigten) ein Plus von gut zehn Prozent.
Im Bundesländervergleich liegt MV 2022 mit den meisten Tabaksüchtigen an der Spitze. In Hessen verzeichnet die KKH mit 67 pro 1.000 hingegen die wenigsten Fälle von behandlungsbedürftigem Konsum bei Berufstätigen. Den größten Anstieg im Zehnjahresvergleich gibt es mit fast 160 Prozent in Thüringen, den geringsten ebenfalls in Hessen mit rund 28 Prozent. Der Bundesdurchschnitt liegt 2022 bei 81 Fällen pro 1.000 Arbeitnehmern und einem Anstieg von rund 60 Prozent.
Die einen sagen: Raucher arbeiten wegen der vielen Unterbrechungen weniger, die anderen sagen: Raucherpausen wirken inspirierend. Das Thema Tabakkonsum am Arbeitsplatz sorgt immer wieder für Diskussionen. Das Entscheidende aber ist: „Bereits ab einer Zigarette am Tag gefährden Raucher ihre Gesundheit“, betont Michael Falkenstein, Experte für Suchtfragen bei der KKH. Mit jeder weiteren Zigarette steigt die Gefahr einer psychischen Abhängigkeit, von Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Krebs deutlich. „Auch E-Zigaretten sind ein Suchtmittel“, so Falkenstein. Sie enthalten ebenfalls gefährliche Stoffe, die zu schweren Erkrankungen führen können.
Viele Fehltage
Exzessive Raucher stellen darüber hinaus ein Risiko für Unternehmen und Kollegenkreis dar. Denn allein aufgrund ihres übermäßigen Tabakkonsums werden Berufstätige immer wieder krankgeschrieben. Wie bundesweite KKH-Daten zeigen, liegt die durchschnittliche Fehlzeit 2023 bei 21,4 Tagen. Das ist der höchste Wert der vergangenen fünf Jahre und ein starker Anstieg von 55 Prozent im Vergleich zum Vorjahr 2022 (13,8 Tage). Entwickeln Tabaksüchtige in der Folge weitere Krankheiten, fallen sie einmal mehr bei der Arbeit aus. Darüber hinaus leidet auch das Arbeitsklima unter zu starkem Konsum. Misstrauen und Konflikte sind die Folge. Hinzu komme, dass eine Tabakabhängigkeit in der Gesellschaft häufig als Lifestyle-Problem bagatellisiert und nicht als Erkrankung wahrgenommen werde, sagt Falkenstein. „Viele Betroffene verharmlosen das Rauchen auch als schlechte Angewohnheit, die man jederzeit wieder aufgeben kann. Sie werden sich ihrer Sucht viel zu spät bewusst und suchen somit auch erst spät Hilfe.“
Der KKH-Experte empfiehlt Mitarbeitern, die Suchtprobleme bei Kollegen beobachten, sich an die nächsthöhere Führungskraft oder auch den Betriebsarzt des Unternehmens zu wenden: „Keinesfalls sollten problematischer Konsum gedeckt und die Auswirkungen durch andere ausgeglichen werden müssen“, betont der Experte. Und: „Viele glauben es nicht, aber Aufhören lohnt sich in jedem Alter. Selbst wer erst als über 60-Jähriger auf Zigaretten verzichtet, senkt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bereits innerhalb weniger Jahre erheblich.“