Kolonne, Konvoi, Verband oder vielleicht doch ein Aufzug?

16. Januar 2024

Im Zusammenhang mit den Demonstrationen der Landwirte und Handwerker und den Berichten über einen vermeintlichen Unfall gab es immer wieder Unsicherheiten zur Frage, wann Fahrzeuge bei „Rot“ fahren dürfen, wie sich Autofahrer richtig bei einem Korso verhalten und was Fußgänger beachten sollten.
Der Warener Rechtsanwalt Sönke Brandt, unter anderem Fachanwalt für Verkehrsrecht, hat das Thema für „Wir sind Müritzer“ einmal juristisch aufgearbeitet. Denn hier und da ist in den Berichten, Kommentaren und Stellungnahmen doch einiges durcheinander geworfen worden.

Rechtsanwalt Brandt: „Zum einen gilt, dass bei einer angemeldeten Demonstration mit Fahrzeugen im Straßenverkehr das Straßenverkehrsrecht für die Dauer der Demonstration ’suspendiert‘ (klingt viel gebildeter als ‚vorübergehend außer Kraft gesetzt‘) ist. Dies gilt genauso für die Verwendung von Lautsprechern, auch insoweit gilt das Immissionsrecht nicht. Hintergrund ist, dass grundsätzlich das Versammlungsrecht in diesen Fällen Vorrang hat.

Zum anderen stellte der Demonstrationszug der Fahrzeuge schon nach seinem äußeren Bild keinen Verband im Sinne der Straßenverkehrsordnung dar. Voraussetzung für einen ‚geschlossenen Verban’” i.S.d. § 27 StVO ist neben einer einheitlichen Kennzeichnung, dass die Fahrzeuge als eine Zusammenfassung zueinander gehörenden Glieder erkennbar sind. Hierfür müssen die einzelnen Fahrzeuge zueinander einen so geringen Abstand einhalten, dass sie den erforderlichen Sicherheitsabstand gerade erreichen oder nur geringfügig überschreiten. Bei Kraftfahrzeugverbänden ist die Erkennbarkeit nur dann gegeben, wenn jedes einzelne Fahrzeug als zum Verband gehörig gekennzeichnet ist. Die amtliche Begründung zu § 27 Abs, 3 StVO führt aus, die Zugehörigkeit zu einem geschlossenen Verband sei „durch Bewimpelung jedes einzelnen Fahrzeugs oder auf ähnliche Weise” zu unterstreichen. Der Autor dieses Beitrages hatte die Gelegenheit, den Aufzug in Augenschein zu nehmen. Dieser entsprach den obigen Anforderungen nicht.  Neben Traktoren fuhren in dem Aufzug insbesondere mit Transporter und Pkw, ohne dass diese durch irgendeine Kennzeichnung erkennbar zum Aufzug gehörten. Wimpel oder dergleichen waren nicht vorhanden. Das auf eine derartige einheitliche Kennzeichnung verzichtet worden ist, meine ich auch der Berichterstattung von WsM entnehmen zu können.

Eine einheitliche Kennzeichnung hat es nicht gegeben. Allein deshalb wäre § 27 StVO nicht anwendbar. Wie oben ausgeführt, kommt es darauf nicht an, da es sich um eine Versammlung in Form eines Aufzugs handelte.

Als Zwischenergebnis ist somit festzuhalten, dass es einen Vorrang hergeleitet aus § 27 StVO für die Teilnehmer des Demonstrationszuges nicht gegeben hat.

Wie also ist die Situation zu beurteilen, wenn eine verhältnismäßig lange Kolonne eines Demonstrationszuges die öffentlichen Verkehrswege nutzt und andere diesen Demonstrationszug durchqueren wollen?

Das Versammlungsgesetz selbst regelt in den §§ 21 ff, wann Störungen einer Versammlung (Demonstration, Aufzug etc.) straf- oder bußgeldbewehrt sind. Die geringfügige Störung durch das Queren als Fußgänger fällt jedenfalls nicht unter diese Normen.

Für den motorisierten Demonstrationsteilnehmer gilt selbst bei Vorliegen eines Verbandes: Je nach Länge des geschlossenen Verbandes müssen nach § 27 Abs. 2 StVO angemessene Abstände für den Zwischenverkehr, also insbes. für den querenden Verkehr, gelassen werden. So darf insbes. ein Verbandsteilnehmer dem Führungsfahrzeug nicht gleichsam „blind“ folgen (s. OLG Karlsruhe r + s 1991, 193) oder die Einhaltung des grundsätzlichen Unterbrechungsverbotes bei einem Verband erzwingen (s. OLG Naumburg BeckRS 2016, 07607). Dieses gilt umso mehr, wenn, wie im vorliegenden Falle, gar kein Verband vorgelegen hat.

Mit guten Gründen kann man dazu kommen, dass aufgrund fehlender individueller Verkehrsregelung durch die Polizei Lichtzeichenanlagen zu befolgen sind, wenn im Rahmen eines Demonstrationszuges eben kein Verband besteht.

Die zivilrechtliche Haftung richtet sich nach meiner Auffassung nach den Regeln des BGB und des StVG. Die Demonstration findet im öffentlichen Verkehrsraum statt. Demgemäß haftet der Halter des Traktors gemäß § 7 StVG ohne Frage nach dem Verschulden grundsätzlich wegen der Betriebsgefahr des Fahrzeuges. Ein etwaiges Mitverschulden des Fußgängers wirkt sich anspruchsmindernd aus.

Eine abschließende Beurteilung des konkreten Sachverhalts, der in WsM und dem Nordkurier sowie von vermeintlich Anwesenden unterschiedlich dargestellt wird, kann an dieser Stelle nicht erfolgen. Fest steht jedoch, das ein juristisch korrektes Ergebnis nicht beeinflusst werden kann von der vorhandenen oder nicht vorhandenen Sympathie für das Anliegen der Demonstrierenden.

Für die Zukunft sollte von allen Beteiligten der ansonsten im Straßenverkehr geltende Grundsatz der gegenseitigen Rücksichtnahme vermehrt ins Auge gefasst werden.


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