Kreuze nähen – Aufarbeitung mit großem Trauertuch

8. Mai 2020

Wie kann man ein Trauma aufarbeiten, über das aus politischen Gründen in der DDR-Zeit nicht gesprochen werden durfte? Diese Frage haben sich nach 1990 viele Menschen in Ostdeutschland gestellt. Ein Beispiel ist die Arbeitsgemeinschaft Fünfeichen bei Neubrandenburg, in der sich Überlebende sowjetischer Zwangslager und deren Angehörige zusammengeschlossen haben. Das Sprechen über die grauenvollen Erlebnisse vor und nach 1945 – was in der AG Fünfeichen und in der Region Neubrandenburg gut läuft – gelang in Demmin bisher nicht umfangreich. Nun hat die Kirchengemeinde zwei Projekte angestoßen, bei denen die Menschen auch über Demmin hinaus ins Gespräch kommen können – ein Trauertuch.

Das 2 mal 12 Meter lange Tuch, das aus vielen Quadraten besteht, auf denen unterschiedlichste Kreuze zu sehen sind, haben vor allem Frauen aus Demmin genäht. Hilfe kam von anderen Kirchengemeinden und auch von Schülern der Region. Nun hängt es gut sichtbar im Altarraum der großen Kirche St. Bartholomaei, wo Interessierten auch die unterschiedlichen Stoffe, Farben und Kreuz-Varianten auffallen. Nach Angaben von Pastor Karsten Wolkenhauer kamen die Menschen beim Nähen auch über ihre Erlebnisse von damals ins Gespräch. „So kommt die Trauerarbeit langsam in Gang.“ Aufzuarbeiten gibt es viel.

In den letzten Kriegstagen hatten sich in der Stadt und ihrer Umgebung bis zu 1000 Einheimische das Leben genommen, wobei manchmal Mütter auch mit ihren Kinder ins Wasser von Peene oder Tollense gingen oder ihre Kinder auf andere Weise mit in den Tod nehmen wollten.

Anlass waren Ausschreitungen während der Besatzung durch die Rote Armee, wobei es auch immer wieder zu Vergewaltigungen kam. Das Problem war, dass die Rotarmisten in Demmin festsaßen. Wehrmachtsangehörige und SS hatten einen Teil der Brücken gesprengt. Dazu hatten fanatische Deutsche Sowjetsoldaten angegriffen oder getötet. Dazu kam der mediale Einfluss der NS-Propaganda, was eine Art „Endzeitstimmung“ erzeugte.

Geschichtsforscher schätzen, dass es in Demmin, wo damals wie überall auch Hunderte Flüchtlinge festsaßen, zu einem der größten Massenselbstmorde kam. Da die Sowjetunion in der DDR-Zeit ein „befreundeter Staat“ war, durfte darüber nicht gesprochen werden. Die Aufarbeitung der Ereignisse wird noch länger dauern, sagt Wolkenhauer.

So kann das Trauertuch auch noch erweitert werden, wenn weitere Quadrate zugeschickt werden. Und der Pastor hat Maler eingeladen, die die Orte des Traumas malen sollen. Die Werke sollen dann 2021 vorgestellt werden, wenn es möglichst keine Einschränkungen wegen des Coronavirus gibt. Auch ein Requiem für die Demminer Ereignisse soll dann uraufgeführt werden – in der Kirche vor dem Trauertuch.


5 Antworten zu “Kreuze nähen – Aufarbeitung mit großem Trauertuch”

  1. Petzibaer sagt:

    Meinen großen Respekt vor Pastor Wolkenhauer und der Kirchengemeinde, die sich mit ihrer Aktion vom öffentlich gepredigten Mainstream – Deutsche sind keine Opfer – nur Täter – abheben. Diesen Mut wünschte ich auch unserer Warener Gemeinde. Ja, über die von Rotarmisten verübten Greueltaten zu berichten, war in der DDR unerwünscht Heute ist es leider nicht viel anders. Ich erinnere nur an die unsägliche Reemtsma Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht. Erst der politische Historiker Bogdan Musial wies nach, daß fast alle beschriebenen Greueltaten vom russischen NKWD begangen wurden.
    Damit will ich keinesfalls irgendwelche Untaten der Nazis rechtfertigen, jedoch muss ein objektives Bild gerade für die Jugend entstehen. Nur so kann man begreifen.

  2. Sönke Brandt sagt:

    Musiał wurde in Deutschland durch seine Kritik an der ersten Wehrmachtsausstellung bekannt. Er kritisierte 1999 neun von hunderten dort gezeigten Fotografien als falsch zugeordnet; bei weiteren 24 vermutete er dies ohne Belege ebenfalls.[4] Mit falsch zugeordneten Bildern mache die Ausstellung „Opfer der Sowjets zu Opfern der Wehrmacht“. Er bestätigte jedoch auch:[5]

    „Daß die Wehrmacht an Verbrechen, besonders im Gebiet der damaligen Sowjetunion und auf dem Balkan, zum Teil massiv beteiligt war, ist mittlerweile hinreichend belegt, wenngleich auch noch längst nicht flächendeckend erforscht.“

    Jan Philipp Reemtsma bestritt eine absichtliche Umwidmung von Fotografien und kündigte die Überprüfung der beanstandeten Bilder und Entfernung von nachweislich falsch zugeordneten Bildern an. Eine dazu von ihm eingesetzte Prüfungskommission bestätigte 2000 eine falsche Zuordnung von zwei der 33 Fotografien, die Musiał bemängelt hatte. Sie bekräftigte zugleich die historisch gesicherte Kernthese eines deutschen Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion.[6] Quelle: Wikipedia

    Fast alle????

  3. Petzibaer sagt:

    Vielleicht machen Sie sich die Mühe, lesen das Buch vom polnischen Historiker B. Musial, dort ist alles mit Quellenangabe dokumentiert. Der Buchtitel – Konterrevolutionäre sind zu erschiessen-.
    Es geht ja nicht nur um die falsch zugeordneten Bilder, sondern um die Verrohung von Soldaten – die vorher ganz normale Bürger waren. Feldpostbriefe, die dort ebenfalls dokumentiert sind, geben Aufschluss über Gedanken und Taten von Wehrmachtsangehörigen.
    Da Sie der Aktion weder zustimmend noch ablehnend gegenüberstehen, bleibt Ihre Intention zum Thema leider im Dunkeln.

  4. Simon Simson sagt:

    Ich finde, dass die Aktion nicht verdient hat, dass sie über schräge Beiträge in „sozialen“ Medien nun doch noch in schwieriges Fahrwasser gerät. Die Opfer und ihre Angehörigen wollen weitgehend still trauern oder in Gesprächen die Worte wiederfinden oder erst mal Kreuze nähen, ohne Worte. Das sollten wir doch respektieren! Stattdessen hat die Relativierung durch Getipptes begonnen, durch falsche Vergleiche, durch Aufbauschung unwesentlicher Fehler bei der Aufarbeitung an anderer Stelle, durch wertendes Vokabular. Unser Petzi ist natürlich mit sowas sofort zur Stelle, mit seiner für mich längst langweiligen Tendenz stramm rechts. Peinlich und nochmal traurig für alle Opfer ist das trotzdem.

  5. Petzibaer sagt:

    Schräg und peinlich sind leider die meisten Ihrer Kommentare, lieber Nachbarbeobachter Simson.
    Wollen Sie den Leuten vorschreiben, welche Themen und Ereignisse kommentierbar sind und welche nicht? Ihr Rechts – Links Gefasel hat sich mittlerweile mehr als abgenutzt, bringt auch niemanden nur einen Jota weiter.
    Wenn Sie zu den schlimmen Ereignissen in Demmin seinerzeit oder der Aktion der Gemeinde weiter nichts beizutragen haben, können Sie gerne weiter Ihre lieben Nachbarn bespitzeln, ob diese sich an die Corona Regeln halten und hier berichten. Danke.