Messerattacke: Versuchter Totschlag oder doch Notwehr?
Wer hat zuerst zugestochen? War es versuchter Totschlag oder doch Notwehr? Am Landgericht Neubrandenburg haben jetzt zwei Zwölfjährige als Zeugen ausgesagt, weil sie Szenen beobachtet haben, die so junge Leute eigentlich nicht sehen sollten oder sonst vielleicht aus Computerspielen kennen.
Am 21. Juni , einem warmen sommerlichen Freitagnachmittag , hatte sich eine Gruppe von Bekannten an einem Einkaufszentrum in Neubrandenburg getroffen, um mit Bier, Ouzu und anderen Getränken das Wochenende einzuleiten. „Zum chillen?“, fragte der vorsitzende Richter Patrick Schwantes am ersten Verhandlungstag mehrfach die Zeugen. Denn am Ende des Trink-Treffens lag ein 33 Jahre alter Neubrandenburger mit einer stark blutenden Halsverletzung „im Kehlbereich“ am Boden.
Schuld daran soll ein viel kräftigerer 24 Jahre alter Bekannter sein. Ihm werden versuchter Totschlag und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Doch die Sachlage ist komplizierter, als es in der Anklage klingt.
So erzählt ein ebenfalls fitnessstudio-gestählter 48-jähriger Zeuge, wie man zusammen dort stand und trank. Plötzlich soll der spätere Geschädigte den größeren Typen, den alle „Marshall“ riefen, provoziert und geschlagen haben. Dieser wehrte sich, der andere ging zu Boden. „Ich habe ihn dann nach Hause geschickt“, sagte der Zeuge.
Etwa eine Stunde später, als niemand damit rechnete, kam der 33-Jährige wieder, um sich wohl zu rächen. „Er kam mit dem großen Messer und rief: Den mach‘ ich jetzt komplett alle“, sagte der Zeuge. Auch ein Zwölfjähriger und seine Begleiterin, die beide dort wohnen, sahen das. Der „Rächer“ sei wieder auf den 24-Jährigen zugegangen. Dann hat der „Marshall“ ihm eine „reingehauen“, sagten beide Kinder vor Gericht. Da muss wohl ein Messer im Spiel gewesen sein, denn das ganze Treiben war noch nicht zu Ende.
Plötzlich habe der 33-Jährige blutend am Boden gelegen, erzählten alle übereinstimmend. Unklar blieb, ob schon gleich das Messer im Spiel war, oder ob der 24-Jährige nach einem Abwehrschlag später nochmal zugestochen hat.
Der Geschädigte konnte sich vor Gericht jedenfalls an nichts mehr erinnern. Er sagte nur, dass er größere Mengen „Bier und Ouzu“ getrunken hatte, vormittags wohl noch Drogen konsumiert und später auch noch ein Schmerzmittel gegen Zahnschmerzen genommen hatte. Ob dieser „Cocktail“ glaubhaft ist, wird ein Gutachter belegen müssen.
Der angeklagte „Marshall“ wollte zunächst nichts vor Gericht sagen. Er gab sich aber betont lässig, trommelte mit Fingern auf dem Tisch, wippte mit den Beinen, wenn er stand und suchte immer wieder auffallend Sichtkontakt mit seinen Angehörigen im Zuschauerraum und Bestätigung. Er soll noch etwas im Prozess sagen, aber später, meinte sein Anwalt.
Der Geschädigte konnte damals trotz Blutverlust, durch eine Notoperation gerettet werden, leidet noch vor allem an den seelischen Folgen. Mit einem Urteil wird erst im Januar gerechnet.
Foto: Felix Gadewolz