Wo Straftäter eine zweite Chance erhalten
Was macht man mit jugendlichen Straftätern? In Warens Nachbarstadt Neustrelitz leben hinter hohen Mauern rund 150 meist junge Männer – auch aus der Müritz-Region – im Jugendgefängnis, dem einzigen in Mecklenburg-Vorpommern. Dort wird versucht, die Delinquenten für das Leben zu stärken. „Jeder hat eine zweite Chance verdient“, lautet das Credo, das Anstaltsleiter Bernd Eggert ausgibt.
Natürlich könne man auch in einer Anstalt nicht alles ausgleichen, was bei vielen Straftätern über Jahre bei der Erziehung versäumt wurde – aber man kann etwas anschieben.
Wie das geht, und die Angestellten das auch seelisch verkraften, das hat sich kurz vor Weihnachten der Bischof der evangelisch-lutherischen Nordkirche Gerhard Ulrich (Foto im Text) angesehen. „Wir sind alles, nur keine Wärter mehr, sondern eher Betreuer“, erläuterte Steffen Bischof als Anstalts-Therapieleiter zu Beginn.
Besonders beeindruckt zeigte sich der Kirchenmann dann von der Arbeit der Sucht- und Sozialtherapeuten. Mehrere „schwere Jungs“ trainierten im Beisein von Ulrich und „Wir sind Müritzer“ eine Therapiestunde zum Thema „Von der Kunst, Nein zu sagen“.
Dabei ging es darum, dass Täter mit Alkoholproblemen trainieren, wie sie nach der Entlassung Bier und Schnaps meiden und sich von ehemaligen „Kumpels“ nicht wieder zum Trinken verführen lassen.
Rollenspiel zum Thema Alkohol
Unter Leitung von Suchttherapeutin Katja Lehmann spielen ein Häftling und ein Therapeut an einem Tisch die falschen Kumpels, die einen Mithäftling nach dessen Entlassung treffen. „Mensch, wir haben uns ja ewig nicht gesehen, lass uns einen trinken“, fordern sie den jungen Mann auf – und stellen Bierflaschen auf den Tisch. „Ich habe erkannt, dass ich mit Alkohol Probleme kriege und will meinen Sohn wieder regelmäßig sehen“, erklärt der Entlassene. Das lassen seine „Kumpels“ nicht gelten. Und je länger das Gespräch aber dauerte, desto größer wird sein Druck.
„Wie haben die Dich denn da umgekrempelt?“, wird er gefragt. Und: Kommst Du jetzt auch nicht mehr zur Feuerwehr?, Dort werde doch auch immer ordentlich gelöscht. Bis die Suchttherapeutin Lehmann das Training schließlich abbricht.
„Ich habe mich unwohl gefühlt und habe noch schweißnasse Hände“, gibt der Geprüfte danach zu. Mehrfach zuckten seine Arme, fast hätte er automatisch zugegriffen. Weitere Häftlinge haben ihn und seine Körperhaltung beobachtet und können ihre Eindrücke schildern. «“Solche Rollenspiele bringen deutlich mehr als pure Worte“, erklärt die Therapeutin. Manchmal bräuchte man aber mehr Zeit dafür.
„Das hat mich sehr beeindruckt, man muss erst lernen, nicht nur stark im Zugreifen, sondern auch stark beim Ablehnen zu sein“, sagte der Bischof. Der Kirchenmann unterstützt zudem ein Modell aus der Schweiz, bei dem eine Strafe für Täter zum Beispiel an den erfolgreichen Abschluss einer Ausbildung gekoppelt ist. „Mit solchem Maßnahmevollzug hat man dort gute Erfahrungen gemacht“, sagt Anstaltssprecher Steffen Bischof. So hätte der Verurteilte auch selbst Einfluss darauf, was er während eines Vollzuges lernt und je schneller und besser er dies schafft, desto besser für ihn und die Gesellschaft.
Solche Möglichkeiten gibt es in Neustrelitz. Häftlinge sind einzeln untergebracht und können Schulabschlüsse nachholen oder Ausbildungen machen – im Metallbau, als Tierpfleger, Maler oder Koch. Es gibt Haupt- und Realschulkurse sowie Arbeitsmöglichkeiten in einer Küche, Wäscherei, Werkstatt oder der Tierzucht.
Das überraschende Fazit des Bischofs Ulrich: Die Arbeit von Betreuern im Gefängnis ist der von Pastoren, die auch viel mit Menschen zu tun haben, gar nicht so unähnlich. „Es geht um das Verhältnis von Distanz und Nähe und wie man das richtig hinkriegt.“ Für manche Gefangenen übernehmen die Betreuer die Rollen von Mutter, Vater, Oma oder Opa – und müssen nach der Arbeit immer wieder lernen, davon auch loslassen zu können.
Text und Fotos: WW
Foto unten: Ein Häftling, der selbstredend unerkannt bleiben soll, betreut ein Ferkel im Jugendgefängnis in Neustrelitz. In dem Stall gibt es auch viele Kaninchen. Die Arbeit mit Tieren ist bei jungen Leuten begehrt.
Es ist als äußerst positiv zu bewerten, dass Strafvollzug nicht nur Wegsperren bedeutet, sondern dass danach getrachtet wird, den Inhaftierten Möglichkeiten aufzuzeigen, sich draußen besser zurechtzufinden. Viele die solche Bildungsmaßnahmen abtun, machen es sich meiner Ansicht nach zu einfach.