Leben bis zum Schluss: Zu Besuch im Warener Hospiz

9. Oktober 2021

Ist es Angst oder eher Unsicherheit? Ein kleines mulmiges Gefühl kann ich vor meinem ersten Besuch in einem Hospiz nicht leugnen. Was erwartet mich? Wie sehen Menschen aus, die wissen, dass sie bald sterben? Wie ist die Stimmung in einem Haus, in dem Frauen und Männer wohnen, die unheilbar krank sind? Fragen, die mir durch den Kopf gehen, ehe ich am Warener Hospiz „Müritzpark“ auf den Klingelknopf drücke.
Seit nunmehr zwei Jahren betreibt das DRK Mecklenburgische Seenplatte in der Thomas-Mann-Straße ein Hospiz mit zehn Plätzen. Für mich ist es der erste Besuch in dem neu gebauten Haus. Ein Besuch, der mit einer Überraschung beginnt: Um einen großen Esstisch in einer Art Wohnküche sitzen etwa zehn Menschen – Mitarbeiter des Hospizes, aber auch Gäste, die hier betreut werden. Sie frühstücken an einem liebevoll gedeckten Tisch – alle gemeinsam. Sie unterhalten sich, sie lachen. Keine Trauerstimmung, sondern vielmehr eine Atmosphäre wie in einer Großfamilie, die sich freut, beisammen zu sitzen. Das passt zum Motto des heutigen Welthospiztages „Leben! Bis zum Schluss.“

Das DRK Mecklenburgische Seenplatte betreibt in Neustrelitz schon seit vielen Jahren ein Hospiz, das Warener eröffnete im Oktober vor zwei Jahren. Denn der Bedarf war einfach da, viele Müritzer nutzten zuvor die Neustrelitzer Einrichtung, doch gerade in einer Zeit, in der das Leben zu Ende geht, ist es für die Menschen wichtig, dort zu sein, wo sie sich zu Hause fühlen, wo ihre Angehörigen in der Nähe sind, die Umgebung vertraut ist.

Wie dringend gebraucht das Warener Hospiz wurde, zeigen die Zahlen: Seit der Eröffnung kümmerten sich die 19 Mitarbeiter um Leiterin Claudia Bajorat (Foto rechts) um knapp 200 Gäste – die schwer kranken Frauen und Männer sind hier keine Patienten, sondern Gäste. Und genauso werden sie auch behandelt. Es gibt keinen vorgeschriebenen Tagesablauf. Wer um 7 Uhr aufstehen und frühstücken möchte, bekommt, sein Frühstück eben um 7 Uhr, wer lieber erst um 11 Uhr Lust auf Brötchen und ein weich gekochtes Ei hat, isst erst um 11 Uhr. Und selbst wenn die Gäste mitten in der Nacht Heißhunger auf irgendetwas haben, geben die Mitarbeiter alles, auch diese Wünsche zu erfüllen.

Zuhören, nicht belehren

“Wir versuchen, alles zu tun, damit das Leben bis zum Schluss lebenswert ist. Viele Menschen, die zu uns kommen, blühen noch einmal richtig auf, setzen sich mit ihrem bisherigen Leben auseinander, fangen an, über Dinge zu reden, über die sie nie gesprochen haben und finden bei uns auch Zuhörer”, erzählt Claudia Bajorat. Die Mitarbeiter des Hospizes haben Zeit und nehmen sich Zeit für die Bewohner. Auch wenn sie wissen, dass die Zeit mit den Frauen und Männern, um die sie sich kümmern, zumeist begrenzt ist.
Sehr regelmäßig wird das 19-köpfige Team mit der Endlichkeit des Lebens konfrontiert. Der Tod gehört quasi zu ihrer Arbeit. Die Mitarbeiter wissen nie, ob Herr X oder Frau Y noch leben, wenn sie ihre Schicht beginnen, aber sie verfallen deshalb nicht in den „Trauermodus“. Sie gehen damit um. Müssen sie auch, sonst könnten sie diesen Job nicht machen. „Es hilft sehr, wenn man darüber miteinander redet. Und das machen wir regelmäßig“, sagt Katharina Wennmann. Die Mitarbeiter haben ein gemeinsames Abschiedsritual, das ihnen dabei hilft. Denn auch wenn die Gäste zumeist nur kurz zu Besuch sind, im Laufe der Tage bauen sich enge Beziehungen auf, die Gäste erzählen aus ihrem Leben, die Betreuer hören zu. Das alleine hilft vielen Frauen und Männern am Ende ihres Lebens enorm – Menschen, die ihnen zuhören, die nichts in Frage stellen, die nicht belehren.

Durchschnittlich leben die Gäste vier bis sechs Wochen in den recht farbenfroh gestalteten Zimmern des Hospizes. Einige sind nur wenige Tage da, andere einige Monate. Wenn gewünscht, dürfen Angehörige auch über Nacht bleiben. Kein Tag gleicht dem anderen. Die Mitarbeiter haben immer irgendetwas auf dem „Faden“. Mal wird gemeinsam gekocht oder gebacken, an anderen Tagen gespielt, und auch Ausflüge gehören zum Programm – alles natürlich auf freiwilliger Basis. Gerne erfüllen die Betreuer auch besondere Wünsche. So „saßen“ schon mal Alpakas mit am großen Esstisch. Die Tiere mit ihren niedlichen Gesichtern brachten die schwerkranken Gäste nicht nur auf andere Gedanken, sondern ließen sie regelrecht aufleben.

Sogar „Wölfe“ schauten schon im Warener Hospiz vorbei. Naja, keine richtigen, aber das ist gar nicht so wichtig. Eine Bewohnerin war ganz vernarrt in Wölfe, hatte Kuscheltiere und Bilder von diesen Tieren in ihrem Zimmer. Aber hautnah gesehen hatte sie noch keinen. So machte sich das Warener Hospiz-Team Gedanken, wie sie der Frau eine Freude machen können, nahm Kontakt zu einem Wolfspädagogen auf und der schaute doch tatsächlich mit einem Wolfshundrüden vorbei. Sehr zur Freude der kranken Frau, die natürlich ausgiebig mit dem Wolfs-Experten fachsimpelte.

Spenden sammeln für fünf Prozent der Kosten

Die Gäste des Hospizes müssen sich zum Glück keine Sorgen darüber machen, wie sie ihren Aufenthalt dort finanzieren. Die Kosten werden komplett übernommen. Ganz so entspannt ist die Situation für das DRK nicht. Denn die Betreiber erhalten nur 95 Prozent der Kosten, fünf Prozent müssen selbst eingeworben werden. Das ist allerdings keine Sparmaßnahme, sondern soll unter anderem dazu dienen, dass mit der Hospiz-Arbeit keine Profite erwirtschaftet werden. Doch für die Mitarbeiter des Warener Hospizes bedeutet das beispielsweise, jährlich zwischen 50 000 und 60 000 Euro einzuwerben. Gerade in Corona-Zeiten ein schwieriges Unterfangen, denn Benefizveranstaltungen gab es so gut wie gar nicht. Dennoch trudeln bei Claudia Bajorat immer wieder Spenden-Schecks ein. Von Vereinen, die auf Festen gesammelt haben, genauso wie von Privatpersonen, denen es wichtig ist, die Arbeit des Hospizes zu unterstützen. Und da gibt es auch noch Katharina Wennmann, die sich immer wieder neue Aktionen einfallen lässt, wie beispielsweise die Versteigerung eines Rammstein-Buches oder die Verlosung von handsignierten Büchern des Bestseller-Autoren Sebastian Fitzek.

Nichtsdestotrotz, das Hospiz braucht weiterhin Spenden. Das weiß auch der Lions-Club Müritz, der inzwischen schon seine Unterstützung zugesagt hat. Und das wissen auch viele dankbare Müritzer, deren Angehörige im Hospiz ihre letzten Tage verbrachten – schön Tage, ohne Trauerstimmung, sondern ganz so, wie sie es wollten.

Und mein mulmiges Gefühl? Das war schon beim ersten Besuch wie weggeblasen. Inzwischen war ich erneut im Warener Hospiz – ganz ohne Unsicherheit und Vorurteile, sondern gelassen und mit Vorfreude auf die netten Gespräche mit den engagierten Mitarbeitern.


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