Neun Stunden in Warens Notaufnahme: Vom blauen Fleck bis zum Oberschenkelhalsbruch

18. November 2021

Viel Zeit zum Kennenlernen bleibt nicht. Als ich meine „Schicht“ in der Notaufnahme des MediClin Müritz-Klinikums beginne, bereiten die Mitarbeiter gerade die angekündigte Ankunft eines Rettungswagens vor. Eine ältere Frau ist schwer gestürzt, hat starke Schmerzen, es besteht der Verdacht, dass sie sich etwas gebrochen hat. Philipp Stiburek – er ist pflegerischer Leiter der Notaufnahme – schafft es gerade noch, mich mit medizinischer Kleidung zu versorgen. Den Corona-Test habe ich schon hinter mir. Jetzt schnell umziehen. Und dann rollt der Rettungswagen auch schon vor. Die Seniorin ist in ihrer Betreuten Unterkunft gestürzt, liegt aber ganz ruhig auf der Vakuummatratze. Sie hat starke Schmerzmittel bekommen, das Umlagern auf die Liege im Schockraum bekommt sie kaum mit. Philipp Stiburek und seine Kolleginnen Marie und Andrea organisieren die nötigen Untersuchungen. Gleichzeitig kommt ein zweiter Rettungswagen. Ein Mann mit extremen Blutdruckproblemen wird gebracht. Wieder keine Zeit, um ein paar persönliche Worte zu wechseln.

Zeit ist ohnehin das, was in der Notaufnahme sehr rar ist. Und schon gar nicht planbar. Sicher gibt es Tage, an denen nicht pausenlos Menschen Hilfe brauchen, aber niemand der Mitarbeiter weiß vor seiner Schicht, was in den nächsten acht Stunden auf ihn zukommt. „Ich wollte schon mal auf eine andere Station wechseln, habe es dann aber doch nicht gemacht, mir würde etwas fehlen. Jetzt ziehe ich auch bis zur Rente durch“, sagt Andrea Werner. Die 59-Jährige arbeitet seit mehr als 30 Jahren in der Notaufnahme. Schicht- und Wochenenddienste sind ihr Leben – und Statistiken. Denn Andrea ist sozusagen die Herrin der Zahlen. Sie hat das „Goldene Buch“ in der Notaufnahme eingeführt. Dort werden – unabhängig von Computerprogrammen und Co. – sämtliche Notfälle eingeschrieben. Das Buch kann eben auch Auskunft geben, wenn die Technik versagt. Das wissen sogar die Ärzte des Hauses zu schätzen.

Die gestürzte Seniorin soll von der Vakuummatratze herunter gehoben werden. Denn die Matratze müssen die Retter des DRK wieder mitnehmen. Um das möglichst schonend für die Frau über die Bühne zu bringen, sind vier Leute zur Stelle. Dennoch stöhnt die Patientin ein wenig. Warum sie so starke Schmerzen hat, zeigt sich wenig später. Auch der Mann mit den Blutdruckproblemen wird inzwischen behandelt. Sein abgenommenes Blut ist auf dem Weg ins Labor. Lange warten musste er nicht.

Angst vor einem Herzinfarkt

Die Notfallsanitäter erledigen Schreibkram. Und sie stehen an ihrem Lieblingsautomaten. Der „spuckt“ nämlich Kaffee aus, die nötigen Münzen dafür gibt’s von Philipp Stiburek. „Wir haben ein sehr gutes Verhältnis zu den Mitarbeitern der Notaufnahme, kennen sie meistens schon lange, und wenn Zeit ist, wird auch mal ein bisschen geplaudert. So muss das aber auch sein“, meint Sanitäter René, der immer einen lockeren Spruch auf Lager hat. Eine angenehme Art, die auch den Patienten, die sich zumeist in Ausnahmesituationen befinden, sehr gut tut.

Während die gestürzte Seniorin ein wenig vor sich hin dämmert und aufs Röntgen wartet, kommt eine 63 Jahre alte Frau in die Notaufnahme. Sie macht Urlaub in der Region, hat Thorax- und Armschmerzen. Der Hausarzt konnte nicht helfen, aber die Angst vor einem Herzinfarkt ist groß. Schwester Andrea bringt sie gleich in ein Behandlungszimmer und leitet die ersten Untersuchungen ein. Ein Facharzt muss her, auf die Patientin warten umfangreiche Untersuchungen. Es wird ein langer Tag für sie in der Warener Notaufnahme.

Wieder steht ein Rettungswagen vor der Tür. Eine 17-Jährige aus der Beruflichen Schule hat gesundheitliche Probleme. Sehr blaß steigt sie aus dem Rettungswagen, dass ihre Mutter verständigt wird, lehnt sie ab. Schwester Marie kümmert sich und informiert den Kinderarzt. Der lässt auch wirklich nicht lange auf sich warten. Die junge Patientin hat offenbar ein paar Tage kaum gegessen und getrunken. Sie muss in der Klinik bleiben. Marie versucht, den Vater und andere Angehörige zu erreichen.

„Vermummt“ mit einer Patientin im „Anmarsch“

Fast zeitgleich die Meldung aus dem schon fahrenden Rettungswagen: Wir kommen gleich mit einer Corona-Patienten, der Test ist positiv, sie hat Symptome. Jetzt wird es doch ein bisschen hektisch. In der Notaufnahme gibt es einen Raum nur für Corona-Fälle. Philipp zieht zwei kleine Trennwände in den Flur, der Bereich vor dem Corona-Raum ist jetzt für alle anderen tabu. Über einen Nebeneingang bringen die Sanitäter Norman und Falko die Corona-Patientin, den positiven Test in der Hand. Erkennen kann man die beiden DRK-Retter nicht, sie sind komplett in einen Schutzanzug gehüllt und reden der Frau, die aus einem Seniorenheim der Region gebracht wird, gut zu. Denn auch für sie muss der Anblick der beiden „Vermummten“ zusätzlich zu ihrer Krankheit eine belastende Situation sein. Die beiden Sanitäter wissen das und trösten, während sie darauf warten, die Rentnerin in den Corona-Raum bringen zu können.

Inzwischen ist Nancy Neumann im Dienst. Die 40-Jährige gehört zum Flexi-Pool des Müritz-Klinikums und wird dort eingesetzt, wo Not am Mann ist. Ein 30-Stunden-Job mit viel Abwechslung, da sie auf verschiedenen Stationen unterstützt. Nancy muss sich umziehen und sich um die Corona-Patientin kümmern. Schutzkleidung, Visier – dann steht sie für andere Arbeiten erst einmal nicht mehr zur Verfügung.

Der Rettungsdienst ist schon wieder da: Erneut wird eine ältere Frau gebracht. Sie hat starkes Nasenbluten, das nicht aufhören will. Ich frage – wie übrigens alle Patienten an diesem Tag – ob sie etwas gegen eine Veröffentlichung einzuwenden hat. Sie stimmt zu. Doch Notfallsanitäter Torsten Hahn winkt mich heran und erklärt, dass er glaubt, dass die Dame in ihrem jetzigen Zustand nicht unbedingt alleine entscheiden kann. Kein Problem, wir verpixeln das Bild und sind dankbar für diesen Hinweis von Torsten. Der HNO-Arzt ist schnell bei ihr und geht sehr einfühlsam mit ihr um. Als er mit seinen Instrumenten in der Nase „hantiert“, verlasse ich den Raum dann doch lieber…

Diagnose Oberschenkelhalsbruch

Inzwischen – ich gebe es zu – habe ich den Überblick verloren: Wer ist jetzt in welchem Zimmer, welcher Arzt behandelt wen? Alle sechs Behandlungsräume sind belegt, im Wartezimmer sitzen auch Patienten. Für das Team um Philipp Stiburek nichts ungewöhnliches. „Ist doch eher ein ruhiger Tag. Manchmal stehen die Patienten auf ihren Tragen auch auf dem Flur“, berichtet der pflegerische Leiter der Notaufnahme. Mit seinen gerade mal 31 Jahren ist er ein sehr junger Chef, und das schon seit drei Jahren. Philipp ist aber kein Chef, der nur anleitet und Organisatorisches erledigt, Philipp packt mit an, Philipp übernimmt Dienste, wenn es plötzlich krankheitsbedingte Ausfälle gibt und Philipp bleibt auch länger, wenn es sein muss. Das kommt gut an bei seinen zumeist weiblichen Kollegen. Sie akzeptieren ihn als Chef, das Verhältnis untereinander – so empfinde ich es und so berichten es auch die Sanitäter – ist sehr familiär. „Wir sind ein tolles Team, anders könnte man das auch alles gar nicht aushalten“, meint der junge Pfleger, der sich im Klinikum auch noch um den Nachwuchs kümmert. Philipp lebt für seinen Beruf und seine Patienten. Viel Privatleben bleibt da nicht. Wenn Freunde von ihm Party machen, steht er entweder in der Notaufnahme oder schläft, um im nächsten Dienst nicht durchzuhängen.

Die gestürzte Seniorin ist vom Röntgen zurück. Razvan Bragadiveanu als diensthabender Chirurg sieht sofort, dass die  Frau operiert werden muss – Oberschenkelhalsbruch lautet die Diagnose. Der zuständige Anästhesist Akshay Jayaswal wird verständigt, auch die Tochter der Frau, Silvia Meyer, ist eingetroffen. „Meine Mama hat aber auch ein Pech. Sie ist in den letzten Monaten schon ein paar Mal gestürzt, erst vor kurzem hat sie sich schwer am Kopf verletzt. Und jetzt das“, berichtet sie ziemlich deprimiert und gibt dem Anästhesisten nebenher alle nötigen Auskünfte.

Nicht nur nackte Zahlen

Die Corona-Patientin aus dem Pflegeheim muss bleiben. Das Ergebnis ihres PCR-Tests liegt vor – positiv. Sie wird auf die Corona-Station verlegt und ist dort jetzt eine von fünf Patienten. Jeder Patient mehr bedeutet dort einen enormen Aufwand. Denn zur Versorgung jedes einzelnen Corona-Erkrankten müssen sich die Pfleger immer wieder neu umziehen. Mit der Schutzkleidung dürfen sie nicht auf den Flur. Der muss „clean“ bleiben. So ist es auch wenig verwunderlich, dass alle Ärzte, mit denen ich an diesem Tag spreche, auch immer wieder für die Corona-Impfung werben. „Sie schützt nicht zu 100 Prozent, aber sie schützt. Und sie verhindert schwere Verläufe. Außerdem entlastet sie die Kliniken, in denen jetzt schon fast am Anschlag gearbeitet wird“, meinen beispielsweise Urologie-Oberarzt Dr. Armin Töpfer und der Chefarzt der Inneren, Dr. Peter Eberlein, fast unisono.

Sie haben die Auswirkungen der nackten Corona-Zahlen, die in den Medien zu hören, zu lesen und zu sehen sind, täglich vor Augen. Für sie sind es nicht nur Zahlen. Sie sehen die Patienten, denen es zum Teil sehr schlecht geht, jeden Tag. Und sie erleben, wie belastet die Mitarbeiter des Müritz-Klinikums sind. Ob allerdings alle Patienten, die jetzt mit Corona ins Krankenhaus gebracht werden, dort auch wirklich hin müssen, bezweifeln die Mediziner. Bei einigen sind die Verläufe nicht schwer, doch in den Heimen, in denen sie leben, kann man sich um sie kaum kümmern. Der Aufwand ist wegen der enormem Schutzmaßnahmen sehr hoch. Also „retten“ sich einige Heime offenbar, indem sie ihre mit dem Covid-Virus infizierten Bewohner ins Klinikum bringen lassen.

Kaum noch freie Betten

Marie hat endlich mal Zeit, einen „Berliner“ zu essen. Zwischendurch, ohne sich in Ruhe hinzusetzen. Das können die Mitarbeiter der Notaufnahme ohnehin nur ganz selten. Marie ist alleinerziehende Mutter und packt die Schichtarbeit trotzdem ganz gut. Einen anderen Job möchte sie nicht, ihr Team findet sie klasse, ihre Frohnatur steckt alle an. Aber Marie freut sich auch auf den bevorstehenden Feierabend. Die nächste Schicht ist da.
Martina, Angelika und Liane lösen Marie, Philipp und Andrea ab. Philipp bleibt aber noch ein wenig, er muss noch Organisieren. Die Übergabe geht schnell. Dazu gehört auch die Übersicht über noch verfügbare Betten im Klinikum. Die Auswahl ist nicht mehr groß. Sechs Betten sind es an diesem Freitag noch, die auf den verschiedenen Stationen zur Verfügung stehen.

Die 63-Jährige Urlauberin mit Thorax- und Armbeschwerden ist immer noch in der Notaufnahme. Seit Stunden. Doch verärgert ist sie nicht. Kann sie auch nicht sein, denn sie bekommt sozusagen das komplette „Programm“ der Untersuchungen, für die sie ansonsten Tage gebraucht hätte. Sie wartet auf spezielle Untersuchungen und vor allem auf Blutwerte. Und auf die Auswertung, die eine junge Ärztin schließlich sehr ausführlich mit ihr bespricht. Zwar auf dem Flur, weil gerade kein Zimmer verfügbar ist, aber trotzdem herzlich. Die 63-Jährige kann nach rund sechs Stunden die Notaufnahme beruhigt verlassen.

Der Fieberkrampf eines Kindes wirkt nach

„Die Gallenkollik ist da“, schallt es durch das Foyer der Notaufnahme. Ein älterer Herr mit transplantiertem Herz und Verdacht auf Gallenkollik, der vom Rettungsdienst gebracht wird, erfordert jetzt die Aufmerksamkeit der Mitarbeiter. Der Mann wird in den Schockraum gebracht – ein Raum, in dem vor allem die schweren Notfälle behandelt werden. Wie am Tag zuvor, als ein kleines Kind auf der Trage liegt und plötzlich einen schweren Fieberkrampf bekommt. Dieser Notfall beschäftigt die Pfleger auch noch einen Tag später. Zum Glück ist alles gut gegangen. Doch nicht immer können Leben gerettet werden, zum Job in der Notaufnahme gehört auch, mit dem Tod umgehen zu müssen. „Da hilft es, im Team darüber zu reden“, erzählt Philipp, der jetzt doch mit fast einstündiger Verspätung endlich Feierabend macht.

Es ist inzwischen zwar etwas ruhiger geworden in Warens Notaufnahme, doch zu tun gibt’s genug. Da wartet ein neunjähriges Mädchen mit dicker blauer Beule am Kopf. Sie ist auf dem Schulhof gestürzt. Keine schlimme Verletzung und keine Gehirnerschütterung, wie sich nach der Untersuchung herausstellt. Wenig später klingelt ein achtjähriges Mädchen mit ihrer Mama an der Tür. Sie hat auf dem Schulhof Fußball gespielt und ihren Arm beim Abwehren eines Balles blöd verdreht. Nach eingehender Untersuchung steht fest: Nichts gebrochen, nach dem Wochenende kann sie wieder kicken. Ein Warener stellt sich mit einem schmerzenden Finger vor. Den hat er sich vor zwei Wochen kräftig mit der Gartenschere verletzt, wurde damals auch im Klinikum behandelt. Nun hat sich die Wunde entzündet. Schwester Angelika beruhigt und ruft den Arzt.

Die Hose ist voll gepullert

Die DRK-Retter bringen einen älteren Herren, der mit dem Fahrrad gestürzt ist. Er wirkt nicht nur sehr ungepflegt, sondern hat auch eingenässt, seine abgetragene Jogginghose ist quatschnass und stinkt. Ein „Pustetest“ ergibt beim ihm fast 2,3 Promille Alkohol. Die Pfleger sind zu ihm genauso freundlich wie zu allen anderen. Nur er „spielt“ nicht so richtig mit. Ruft ständig, beschwert sich und will einfach nur weg. Schließlich unterschreibt der Mann, dass er auf eigenen Wunsch entlassen wird und zieht mit seiner voll gepullerten Hose davon.

Der Herztransplantierte mit den Gallenbeschwerden muss bleiben und kommt auf die Station. Ein „Arbeitsunfall“ steht am Tresen der Notaufnahme. Dem Mann ist eine schwere Platte auf den Fuß gefallen, der schwillt jetzt immer weiter an. Zugleich trifft ein anderer Mann mit Blasenbeschwerden und Blut im Urin ein. Als ein achtjähriges Mädchen mit der Mama – der Papa muss aufgrund der Corona-Maßnahmen draußen bleiben – in der Notaufnahme steht, wird Schwester Angelika hellhörig. Die Kleine musste Erbrechen und hat Fieber, in den Schulen der Region gibt es derzeit viele Corona-Fälle. Ein Kinderarzt wird informiert, eine Blutprobe von dem Mädchen bringt Angelika direkt ins Labor eine Etage höher. Dort steht ein Gerät, mit dem PCR-Test ausgewertet werden können – eine teure Anschaffung des Klinikums, die sich aber schon bezahlt gemacht hat.

Ein Gebiss wird gesucht

Angelika – seit 40 Jahren im Klinikum – kümmert sich aber nicht nur um die Patienten, sondern auch um die Kollegen, denn die haben inzwischen Hunger. Gemeinsam mit Mitarbeitern und Ärzten soll eine Bestellung bei einem Lieferdienst auf den Weg gebracht werden – auch wieder eine organisatorische Hürde. Ob sie tatsächlich dazu kommen, ihr Abendbrot in Ruhe zu essen, wissen sie bei der Bestellung noch nicht. Auch nicht, ob es klappt, dass Schwester Liane – seit 37 Jahren im Dienst –  ein bisschen früher los kann. Sie hat bis 22 Uhr Dienst, muss aber am nächsten Morgen schon wieder um 6 Uhr auf der Matte stehen. Ein paar Minuten mehr Schlaf wären gut.

Und dann kann Martina noch helfen. Per Telefon wird ein Gebiss gesucht. Das ist einer Patientin schon am 24. Oktober in der Notaufnahme abhanden gekommen. Martina, die jetzt 35 Jahre alt ist und mit ihrer zweiten Ausbildung ihren Traumberuf gefunden hat, kann helfen – das Gebiss der Frau ist da und kann abgeholt werden. Wie die ehemalige Patientin so lange ohne ihre Zähne klar gekommen ist, fragen sich sich die Mitarbeiter der Notaufnahme. Eine Antwort gibt es nicht. Ohnehin erfahren sie nur sehr selten, was auch „ihren“ Patienten geworden ist.

Bevor ich meine Schicht beende, zeigt der Arzt Razvan Bragadiveanu noch einmal ein Röntgenbild von jener Seniorin, die am Morgen als „meine“ erste Patientin mit Oberschenkelhalsbruch eingeliefert wurde. Der Chirurg hat sie inzwischen gemeinsam mit einem Kollegen operiert – erfolgreich. Schon am nächsten Tag kann die betagte Dame mit der Physiotherapie beginnen.

Gerade, als ich das letzte Video drehe, klingelt es wieder an der Notaufnahme: Ein Papa berichtet, dass sein Kind einen blauen Fleck auf dem Handrücken hat, der jetzt weg tut. Alltag in Warens Notaufnahme.

Persönliche Anmerkung: Mein Termin in der Notaufnahme war sehr lange geplant – ganz unabhängig von Corona und allem Drumherum. „Wir sind Müritzer“ wollte einfach einmal zeigen, was es heißt, in einer Notaufnahme zu arbeiten und warum es mitunter auch Wartezeiten gibt. Nach rund neun Stunden habe ich sicherlich einen guten Einblick bekommen, aber längst noch keinen umfassenden. Die Mitarbeiter stehen eigentlich ständig „unter Strom“, sie wissen nie, was auf sie zukommt, sie sind – auch das gehört leider dazu – nicht selten Beschimpfungen ausgesetzt und müssen auch schon mal die Polizei holen, wenn sich ein „Gast“ total daneben benimmt.
Doch trotz dieser permanenten Anspannung sind sie vor allem eins: Menschlich, herzlich, einfühlsam. Und sie sind für die Verantwortung, die sie tragen, wie alle Pfleger, Schwestern und medizinischen Angestellten, schlichtweg unterbezahlt. Aber das ist ein ganz anderes Thema, dem wir uns in Kürze widmen werden.

Ich sage an dieser Stelle noch einmal vielen Dank an die Geschäftsführung des MediClin Müritz-Klinikums für die Möglichkeit, die Arbeit in der Notaufnahme begleiten zu können, vor allem aber Danke an alle Mitarbeiter, die mich so toll aufgenommen und sehr offen mit mir gesprochen haben, an die Rettungs- und Notfallsanitäter, die ich kennenlernen durfte und die mir das Gefühl gegeben haben, dass man bei ihnen im Notfall bestens aufgehoben ist.


9 Antworten zu “Neun Stunden in Warens Notaufnahme: Vom blauen Fleck bis zum Oberschenkelhalsbruch”

  1. Ulrike Ziem sagt:

    Vielen Dank für diesen interessanten Bericht.
    Zu Herzen gehend!
    Dass die Möglichkeit seitens MediClin gegeben wurde, ist toll, aber auch große Achtung vor dir, Antje, dass du durchgehalten hast.
    Dass medizinisches Personal nach der Arbeit einfach nicht mehr kann, keine Lust auf private Veranstaltungen hat, kann man nach dem Lesen des Berichts nachvollziehen.
    Die Pfleger, Schwestern, Ärztinnen und Ärzte sind ausgelaugt. Hochachtung vor deren Arbeit!
    Umso wichtiger der Satz, dass man sich im Notfall gut aufgehoben fühlen kann.
    Danke an alle!

  2. Ingolf sagt:

    Ich möchte mich den vorangegangenen Ausführungen unbedingt anschließen und wünsche den Mitarbeitern des Rettungsdienstes und der Notaufnahme viel Kraft und Umsicht bei der Bewältigung der schwierigen Aufgaben. Danke auch für den Bericht.

  3. BV sagt:

    … und endlich darf ich auch ein Mitglied dieses tollen Teams sein.

  4. ABC sagt:

    Ein sehr guter Bericht!! Das Leben retten uns nicht Fußballer, Popstars und Schauspieler. Das Gehalt dieser hochqualifizierten und hochengagierten Menschen ist gegenüber den erbrachten Leistungen ziemlich mager. Man kann in anderen Berufen sehr viel besser leben und auch alt werden! Der Applaus reißt es dann auch nicht heraus. Die Renitenz mit der sich die zuständigen Entscheidungsträger gegen Lohnerhöhungen im Pflegebereich stemmen ruft bei ausgestiegenen Krankenschwestern und deren Angehörigen regelmäßig Lachsalven hervor. Kommt endlich in die Gänge Ihr lahmen Säcke! Ansonsten verliert Ihr die letzten noch Gutwilligen.

  5. Astrid sagt:

    Ein ganz toller Bericht. Ich habe von 1975-1978 in diesem Krankenhaus meine Ausbildung zur Krankenschwester gemacht und schon damals war es ein tolles Haus.
    Ich arbeite immer noch in dem Job in einer anderen Notaufnahme und überall die gleichen Situationen…zu wenig Personal und immer mehr Arbeitsaufkommen und leider auch viele Patienten, die keine NOTFÄLLE sind. Ich wünsche allen jungen Kollegen, daß sie durchhalten und hoffentlich irgendwann wirklich GERECHT BEZAHLT werden.

  6. Christiane sagt:

    Genauso ist es in einer Notfallaufnahme auch in vielen anderen Kliniken. Ich weiß es aus 30 Jahren ZNA Erfahrung und von vielen Kollegen , die ich in der Fachweiterbildung kennengelernt habe.Leider wird der Name Notfall eben leider von vielen immer wieder falsch verstanden und das raubt uns die Zeit für die „Echten “ …..und sich dann noch über die Wartezeit beschweren. Danke für diesen tollen Bericht und liebe Grüße aus Niedersachsen

  7. Evamaria sagt:

    …ein Bericht den Tatsachen entsprechend…genau so ist es. Von der Hämorrhoiden bis zum ‚ Sprechdurchfall ‚…psychischem Ausnahmezustand…Herzinfarkt…oder nur Hirnfurz…das ist unser Alltag. Merci.
    Doch eine Sache gefällt mir überhaupt nicht…dass ein Pfleger ‚ immer und allzeit ‚ zu jeglichen Unzeiten bereit ist….ja zu sagen und einsatzbereit ist.
    Glaubt mir…entweder er betreibt irgendwann hoffentlich doch Selbsthygiene/Selbstpflege…oder er kehrt diesem wunderschönen doch sehr auslaugenden Beruf den Rücken oder er bekommt wie so viele unserer langjährigen ‚ selbstlosen ‚ Kollegen ein saftiges Burnout…oder er ist ein Arbeitswunder(tier).
    Unser Beruf ist genial…wenn wir mit uns selbst achtsam umgehen nicht nur mit unseren Patienten….die….nehmen nämlich alles was sie kriegen können….
    Herzliche Grüsse an euch!!

  8. Carsten sagt:

    Interessant und wissenswert – das sollten viele lesen. Schön, dass dies möglich war & weiterhin eine lieb gemeinte Bitte an alle Vernünftigen „Lasst Euch bitte impfen, wenn Ihr bisher noch nicht dazu gekommen seid“.

  9. Simone sagt:

    Wie sehr die Pflege und die Ärzte gebraucht werden merkt man häufig erst, wenn man selbst oder Angehörige ein Problem haben und wie hilflos man sich fühlt. Vielen Dank für diese schwierige Arbeit und die wertschätzende Behandlung aller Patienten! Ihr seid Toll!