Ein erster Advent, wie ihn niemand wollte

28. November 2021

Erster Advent. Wieder ein Advent, wie ihn wohl niemand wollte. Doch Corona und alles, was dazu gehört, bestimmt nach wie vor unser aller Leben. Und dazu gehört leider auch ein Umgang miteinander, der alles andere als akzeptabel ist. Ein Umgang, der traurig stimmt. Und ein Umgang, der regelrecht Angst macht. Beschimpfungen, Beleidigungen, ja sogar Bedrohungen bestimmen das Tagesgeschehen. Einer gegen den anderen, einer lauter und aggressiver als der anderer. Ja – es gibt unterschiedliche Meinungen, aber das war doch eigentlich schon immer so. Der Unterschied: Es wird einfach nicht mehr vernünftig diskutiert, nur noch gegenseitige Schuldzuweisungen und Beleidigungen. Das nervt, das zermürbt, das spaltet.
Unterschiedliche Meinungen sind etwas ganz normales. Doch die kann man austauschen, die kann man diskutieren, auch mal etwas heftiger und am besten bei einer guten Flasche Wein und Kerzenlicht. Aber aus unterschiedlichen Meinung müssen auch danach keine einheitlichen werden. Unterschiedliche Meinung gehören zum Leben. Sie zu akzeptieren würde aber alles viel leichter machen. Auch die augenblickliche Situation.
Für „Wir sind Müritzer“ hat die Warener Pastorin Anja Lünert einige Gedanken, die sie derzeit bewegen, aufgeschrieben.

Ja, die Lage ist besorgniserregend. So kann ich es sagen und muss jedem und jeder zustimmen, die oder der sich Sorgen macht.

Nicht nur, dass wir mitten in einer furchtbaren Corona-Welle stecken, wir erleben ein grässliches Gegeneinander in der Gesellschaft. Beides macht mich betroffen: Der Brief der Ärztinnen und Ärzte aus unserer Klinik, die auch ohne Corona am Limit arbeiten, genauso wie die Streitereien um Anti-Corona-Maßnahmen und um das Impfen.

Corona hat viele Missstände in unserer Gesellschaft aufgedeckt und sie verschärft.

Die Situation in der Pflege und der Patientenversorgung in Heimen und Kliniken ist ein Desaster und für mich an erster Stelle zu nennen.

Wir haben da eine große Not, mit der wir umgehen müssen. Was auf den Intensivstationen geschieht, darf uns nicht egal sein. Corona wird zur Belastungsprobe, die letztlich dort von wenigen ausgetragen wird.

Diese zu entlasten, sollte vorrangige Aufgabe sein. Dieses Leiden dort und die Überforderung der dort Arbeitenden darf niemanden kalt lassen.

Auch bei uns in der Georgenkirche haben sich im Gottesdienst schon Menschen mit Corona angesteckt. Das ist für uns als Team ganz schrecklich. Es hat uns aber auch noch einmal achtsamer werden lassen, bewusster und genauer hinzusehen.

Ich habe Mitarbeiterinnen des Gesundheitsamtes erlebt, die sehr professionell und sachlich hilfreich waren. Betroffene haben sich dankbar geäußert, dass sie geimpft und glimpflich davongekommen sind.

Auch ich bin dankbar für die Impfung. Ich fühle mich nicht vor Corona sicher. Ich weiß, dass ich mich weiter testen und auf andere acht haben muss. Aber ich habe weniger Sorge vor einer Schwersterkrankung mit Corona-Langzeitfolgen. Das ist ein Geschenk.

Ich erlebe in der Politik – trotz politischer Fehlentscheidungen und leider auch verbaler Entgleisungen mancher Politiker – viel verantwortliches Ringen um Lösungen. Die Entscheidungsträger/innen beneide ich nicht.

Sie stecken in einem Dilemma, denn demokratische Kultur braucht Zeit: Zeit für Gespräche, für Gremienarbeit, Zeit für Diskurse, Expertenmeinungen und Diskussionen. Aber eine Pandemie verlangt schnelle Entscheidungen, weil nur so möglichst viele geschützt und Leben gerettet werden können.

Darum ist Corona zu einer Zerreißprobe für die Demokratie geworden.

Es ist für uns alle eine kaum lösbare Herausforderung und führt nur zu oft in die Polarisierung in die eine oder andere Richtung. Das tut uns als Gemeinschaft nicht gut.

Die Debatte ist dabei hochemotional, weil sie bis an die Wurzel unserer grundsätzlichen Einstellung zum Leben, zur Freiheit und zum Menschsein reicht.

Als Pastorin arbeite ich mit sehr vielen und sehr verschiedenen Menschen. Eine Kirchengemeinde ist wie ein Querschnitt durch die Gesamtgesellschaft. Da gibt es Stille und Laute, Starke und Schwache, Kritiker und Befürworter (für fast alles).

Da sehe ich Einsamkeit und Isolation genauso wie funktionierende Strukturen, in denen Gemeindeglieder ein festes Band zueinander aufgebaut haben und sich gerade in dieser problembelasteten Zeit sehr umeinander kümmern.

Dies ist der Punkt, an dem wir als Einzelne am Meisten heilen und zum Guten bringen können.

Ich rufe als Christin zur Vorsicht auf, zur Achtsamkeit, zur Rücksichtnahme, zu gegenseitiger Hilfe und Unterstützung. Nicht aus Angst oder um Hysterie zu schüren, sondern weil ich so meinen Auftrag verstehe.

Viele Menschen haben in dieser Zeit mitunter den Eindruck und äußern dies auch, dass im Zusammenhang der Corona-Pandemie viele Probleme entstanden und durch die Politik bewusst befördert werden.

Mir scheint etwas dabei sehr wesentlich: egal ob es um die Situation im Gesundheitswesen und in der Pflege, um die Digitalisierung, Fragen nach Schule und Bildung, die zunehmenden psychischen Auffälligkeiten und Krankheiten bei Kindern und Jugendlichen, die Einsamkeit der Älteren und Singles oder eben auch unsere demokratische Streitkultur geht:

Die Probleme sind nicht durch Corona entstanden. Sie sind älter. Sie sind jetzt nur offensichtlich für jedermann und – frau wie mit einem Scheinwerfer in grelles Licht getaucht. Jedes Problem für sich lohnt einen ausführlichen Diskurs und mutige Entscheidungen. Die Politik ist da gefragt, aber auch unser eigenes Verhalten – und das sage ich auch im Blick auf mich selbst.

Als Pastorin sehe ich die Welt auch im Licht des Glaubens. Glaube möchte zuerst einmal, dass wir die Köpfe ins Licht heben können.

Ich frage mich in diesen Tagen sehr oft, wie wir jemals aus der Pandemie herausfinden wollen. Wenn ich aber den Kopf hebe, fällt mir ein, dass die Menschheit mit all ihrer Kreativität auch schon andere Menschheitsgeißeln besiegt hat: die Pest und die Pocken, selbst Polio gibt es nur noch in wenigen Regionen dieser Welt.

Wir sind Gottes Geschöpfe und wir haben viel Kraft in uns. Und wenn wir im Blick behalten, was neben uns auch noch leben will, dann ruht auch Segen drauf.

Jetzt gehen wir in den Advent. Wir zünden Lichter an. Erst eins, dann immer mehr.

Heben wir also die Köpfe ins Licht!

Ich wünsche allen eine gesegnete Adventszeit! Bleiben Sie behütet!

Anja Lünert


6 Antworten zu “Ein erster Advent, wie ihn niemand wollte”

  1. Rüdiger sagt:

    Da kann sich der Pastor Wenzel aus der Nachbarkirche mal ein Beispiel nehmen und lesen wie man richtig mit dem Thema Corona umgeht.
    Er „schwurbelt“ sich da die Vermutung zusammen, dass die Zahlen gefälscht werden – Pastorin Lünert bescheidet den Politikern sogar „viel verantwortliches Ringen um Lösungen“.

  2. Netti sagt:

    Sehr schöne Worte, dem kann ich nur beipflichten.

    Zur Einleitung: Selbstverständlich sind unterschiedliche Meinungen zu respektieren u. davon lebt unsere Demokratie. Leider gibt es jetzt das ABER: In dieser äußerst schlimmen leider weiter andauernden Pandemie kostet die Meinung/Ansicht u. das „Nichthandeln“ einiger, viele Menschenleben bzw. Folgekrankheiten (Longcovid). Die Überlastungen im Gesundheitswesen, wirtschaftliche Einbußen, Existenzbedrohungen, mangelhafte Schulbildung unserer Kinder… seien hier nur am Rande erwähnt.
    Wenn wir nicht alle endlich einsehen u. verstehen wollen, dass wir:
    1. ohne Impfen
    2. ohne Kontaktbeschränkungen
    3. ohne AHA- Regeln
    niemals die Pandemie vermutlich beenden werden, dann macht das natürlich was mit einem u. das Unverständnis steigt u. macht mittlerweile auch wütend. Nur mit dieser Reihenfolge u. Nr. 1-3 gebündelt können u. werden wir es meines Erachtens schaffen.

    Die Politiker zu beschuldigen ist natürlich die einfachste Rechtfertigung für UNSER handeln. WIR machen die Pandemie u. nur WIR können sie auch eindämmen. Müssen erst weitere schärfere Verordnungen bzw. die Impfpflicht kommen?

    Ich hoffe, dass noch viele Menschen einsichtig u. solidarisch gegenüber ihren Mitmenschen werden. Das Beispiel In Malchow gestern hat es gezeigt u. das freut mich sehr.

    Einen schönen 1. Advent für alle.

  3. Mark Twain sagt:

    @Rüdiger ..und du hast den Grundtenor schon mal nicht erfasst! Denn vorrangig geht es darum NICHT mit dem Finger auf andere zu zeigen und die Meinung aller anzunehmen! Es gilt zusammen eine Lösung zu finden unter Berücksichtigung jedermanns Entscheidung!

  4. von Herzen sagt:

    Liebe Menschen,
    seid menschlich und sucht nicht nach Schuldigen. Und wenn, dann vergebt ihnen und fragt lieber nach dem Warum, nehmt sie ernst und sucht vielleicht den Dialog. Auch die Pastoren suchen nur nach Antworten auf ihre Fragen. Diese dürfen berechtigt sein. Alles hat einen Hintergrund.
    Und alles was hier passiert, ist nichts anderes als ein großer Hilfeschrei der Gesellschaft, auch der Demokratie, da alles sehr fordernd und überfordernd ist.

    Bitte bleibt menschlich, friedlich und bewahrt euch eure Liebe in euch!

    Die Wirklichkeit ist für jeden anders und die Wahrheit liegt oft in der Mitte.
    Lasst die Herzen offen.

    Es gibt oft viele Wege zu einem Ziel. Und diesen sollten wir mit offener Haltung begegnen.

  5. Rüdiger sagt:

    „Es gilt zusammen eine Lösung zu finden unter Berücksichtigung jedermanns Entscheidung!“

    Bin ich bei ihnen und bei Pastorin Lünert.
    Aber haben sie sich mal den Brief von Marcus Wenzel durchgelesen?:
    https://blog.bastian-barucker.de/pastor-mit-offenen-brief-an-den-bundespraesidenten/

    Er verbreitet da Fake-News (Zitat: „dass in Testzentren Vorgaben gemacht wurden, wie viel Prozent aller Test als positiv zu bewerten sind“), kommt mit Meinungen, die wissenschaftlich einfach schon hundertmal widerlegt wurden und damit auch nicht mehr nur Meinungen sind, sondern Fake-News und kommt mit Stimmungsmache (Zitat: „Wenn mir die Politik das Gefühl geben würde, dass alles mit rechten Dingen zugeht“).
    Er vergleicht Zahlen (Coronatote), die nicht zu vergleichen sind. Anzahl der Coronatoten in einer Pandemie unter krassen Maßnahmen wie Maskenpflicht, Kontaktbeschränkungen usw. vergleicht er mit der Anzahl der Alkoholtoten, die eben fast keine Maßnahmen unterworfen sind (außer Kauf ab 18 Jahre).
    Nebenbei sind das Folgen von Dauerkonsum – allein deshalb ist der Vergleich wissenschaftlich unangebracht.
    Wenn man also bei Corona keine Maßnahmen gemacht hätte, würden wir mit Sicherheit 5 mal so viele Tote beklagen.
    Auch stellt er Fragen in den Raum, die wissenschaftlich schon beantwortet wurden. Nur passen diese Antworten halt nicht zu seiner Argumentationslinie und deshalb verschweigt er einfach die Antworten und lässt die Fragen offen stehen und jedem Leser wird suggeriert sich eigene Antworten zu bilden. Obwohl es die Antworten schon gibt und sie auch wissenschaftlich haltbar sind.

    Wenn jemand die Maßnahmen kritisiert, okay. Da kann man wirklich streiten wann und welche Maßnahme gut oder schlecht ist.
    Aber den Grund dieser Maßnahmen muss man deshalb nicht, besseren Wissens, beschönigen und leichtfertig Falschinformationen herausposaunen.
    Das hat auch nichts mit Tolerierung von Meinungen zu tun.

    Einer seiner Sätze zum Beispiel:
    „Ich bin nicht mehr Schuld als alle Menschen in diesem Land, die in den zurückliegenden Monaten vielleicht ein wenig zu unbesorgt waren und ich wehre mich dagegen, dass mir ständig unterstellt wird, dass ich ein Gesundheitsrisiko für andere wäre!“

    Jetzt kann man das gleiche bei Menschen sagen, die dauerhaft unter Alkoholeinfluss Auto fahren.
    Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass Reaktionszeiten und andere Fähigkeiten unter Alkoholeinfluss stark verringert sind. (im Vergleich zu nichtalkoholisierten – im Durchschnitt natürlich)
    Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass Ungeimpfte eine viel höhere Wahrscheinlichkeit einer Übertragung von Corona haben (im Vergleich zu Geimpften) und deshalb von Ungeimpften eine viel größeres Risiko ausgeht.

  6. von Herzen sagt:

    @Rüdiger
    Ja, ich kenne den Brief. Und genau darum habe ich mein Kommentar geschrieben. Eine Nachricht hat immer verschiedene Seiten. Ich bleibe auch nach dem Lesen des Briefes bei meinen vorherigen Gedanken.
    In diesem Sinne. Einen friedvollen 1.Advent.