Inflation: Familien mit niedrigen Einkommen am stärksten belastet

17. August 2022

Die allgemeine Inflationsrate in Deutschland ist zuletzt zwar leicht auf 7,5 Prozent gesunken. Familien mit niedrigem Einkommen tragen aber mit 8,4 Prozent im Juli weiterhin eine deutlich überdurchschnittliche Belastung, während Singles mit hohem Einkommen im Vergleich verschiedener Haushaltstypen mit 6,4 Prozent die geringste Teuerungsrate aufweisen. Wenn demnächst die Inflation zusätzlichen Schub erhält, weil 9-Euro-Ticket und Tankrabatt auslaufen und die Gasumlage eingeführt wird, dürfte die soziale Schere bei den Belastungen sogar noch weiter aufgehen. Denn zusätzliche Preissteigerungen bei der Haushaltsenergie schlagen bei Haushalten mit niedrigeren Einkommen besonders stark durch. Zu diesen Ergebnissen kommt der neue IMK Inflationsmonitor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.

Die vom Bundesfinanzministerium vorgeschlagenen Steuerentlastungen würden die soziale Schieflage nicht mildern, warnen Prof. Dr. Sebastian Dullien und Dr. Silke Tober vom IMK in der Studie: „Denn damit würde gerade jenen Personen wenig oder gar nicht geholfen, die nach den Ergebnissen unserer Forschung besonders stark belastet sind. Am stärksten entlastet würde hingegen der Personenkreis mit höheren Einkommen, der im Verhältnis weniger unter der Inflation leidet.“ Das würde die soziale Komponente in der Entlastungspolitik der Bundesregierung deutlich schwächen.

Diese ist nach der aktuellen Analyse des IMK bislang gegeben, allerdings mit Einschränkungen: Aktuell fangen die beiden beschlossenen Entlastungspakete beispielsweise bei Alleinlebenden, die Grundsicherung bekommen, 90 Prozent der für dieses Jahr absehbaren extremen Preisschübe bei Energie und Nahrungsmitteln ab, bei Familien mit zwei Erwerbstätigen und niedrigen Einkommen sind es 64 Prozent (allerdings ist die Entlastung bei Familien mit einer erwerbstätigen Person und bei Alleinerziehenden niedriger). Bei Alleinlebenden mit sehr hohen Einkommen werden dagegen 38 Prozent ausgeglichen. Rentner werden jedoch auch bei kleinem Einkommen kaum entlastet. „Die Bundesregierung sollte bei weiteren Entlastungen die soziale Balance nicht schwächen, sondern weiter verstärken und bisherige Lücken schließen“, betont IMK-Direktor Dullien. Dazu geeignet wären etwa eine weitere Energiepauschale für alle Haushalte sowie ein Preisdeckel für einen Grundverbrauch beim Gas.

Energie und Lebensmittel als Preistreiber

Der IMK Inflationsmonitor liefert monatlich die Teuerungsraten für neun repräsentative Haushaltstypen auf Basis der jeweils spezifischen Warenkörbe. Neben den ärmeren Familien sind auch Familien mit zwei Kindern und mittlerem Einkommen sowie Alleinerziehende mit mittlerem Einkommen überdurchschnittlich von der Teuerung belastet: Für diese Haushalte betrug die Inflationsrate im Juli 8,1 bzw. 8,0 Prozent. Bei Familien mit höherem Einkommen verteuerte sich der haushaltsspezifische Warenkorb um 7,6 Prozent. Leicht überdurchschnittlich betroffen sind auch Alleinlebende mit niedrigen Einkommen und 7,7 Prozent Teuerungsrate. Für Alleinlebende mit mittleren und höheren Einkommen betrug die haushaltsspezifische Inflation 7,5 bzw. 7,3 Prozent. Paare ohne Kinder mit mittlerem Einkommen trugen eine überdurchschnittliche Preisbelastung von 7,9 Prozent.

Dass Haushalte mit niedrigen Einkommen besonders stark von der Inflation belastet sind, liegt daran, dass die aktuell größten Preistreiber – Haushaltsenergie und Lebensmittel – in ihren Warenkörben besonders schwer wiegen: Bei Familien mit zwei Kindern und niedrigem Einkommen machen diese Komponenten plus Kraftstoffe 6,8 Prozentpunkte der haushaltsspezifischen Inflationsrate von 8,4 Prozent aus. Bei Alleinstehenden mit hohem Einkommen entfallen darauf hingegen 3,3 Prozentpunkte von insgesamt 6,4 Prozent haushaltsspezifischer Teuerung. Bei den Verbrauchsmustern von Familien und Alleinerziehenden mit mittleren Einkommen fallen zudem Kraftstoffe relativ stark ins Gewicht. Deren Preise sind zuletzt zwar leicht gesunken, im für die Inflationsrate maßgeblichen Jahresvergleich aber weiterhin hoch. Paare ohne Kinder spüren daneben etwa die deutlich gestiegenen Preise bei der Wohnungsinstandhaltung oder für Pauschalreisen.

Die neue IMK-Studie analysiert auf Basis der neuesten vorliegenden Daten auch die Wirkung der laufenden Entlastungspakete der Bundesregierung. Tober und Dullien charakterisieren die bisherigen Maßnahmen als „sozial ausgewogen mit Nachbesserungsbedarf“. Die Inflationsexpertin und der IMK-Direktor veranschlagen beispielsweise für eine durchschnittliche vierköpfige Familie mit zwei Erwerbstätigen und niedrigem Haushaltseinkommen für das Gesamtjahr 2022 eine Entlastung um 1060 Euro, während diese Familie trotz der preislichen Entlastungen bei Strom, Kraftstoffen und im öffentlichen Nahverkehr von Januar bis Juli insgesamt 826 Euro zusätzlich für Haushaltsenergie, Kraftstoffe und Lebensmittel ausgeben musste. Auf das Gesamtjahr gerechnet gehen die Forschenden aktuell davon aus, dass die staatlichen Hilfen die zusätzlichen Preisschübe bei Energie und Lebensmitteln für solche Familien zu 64 Prozent ausgleichen. Bei Familien mit zwei Erwerbstätigen und mittleren Einkommen sind es 54 Prozent, bei Alleinlebenden im Grundsicherungsbezug oder mit sehr niedrigen Erwerbseinkommen sind es 90 bzw. 75 Prozent. Schwächer fällt die Entlastungswirkung bei Alleinerziehenden und Familien mit mittleren Einkommen aus, in denen nur ein Elternteil erwerbstätig ist (48 bzw. 44 Prozent).

Weitere Hilfen im Herbst nötig

Eine große Lücke in den bisherigen Entlastungspaketen sehen die Forschenden darin, dass Haushalte von Nicht-Erwerbstätigen mit geringem Einkommen kaum Entlastung erfahren, sofern sie keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben oder diesen nicht geltend machen. So wird eine alleinlebende Person im Ruhestand mit einem Nettoeinkommen von unter 900 Euro nur für 10 Prozent der zusätzlichen Belastung kompensiert. Lediglich, wenn ein Wohngeldanspruch besteht und daher der Heizkostenzuschuss in Höhe von 270 Euro in Anspruch genommen werden kann, erhöht sich die Entlastung auf 46 Prozent der Belastung. Selbst wenn die Jahresinflationsrate, wie bislang vom IMK prognostiziert, nicht höher als 6,9 Prozent ausfallen sollte, „besteht daher ein dringender Nachbesserungsbedarf im Bereich niedriger Einkommen, die oberhalb der Grenze für Sozialleistungen liegen“.

Das gelte umso mehr, weil ein weiterer Preisschub für September und Oktober „vorprogrammiert“ sei, warnen Tober und Dullien. Denn erstens wurden bisher noch nicht alle Preissteigerungen von Haushaltsenergie im Großhandel an die Privathaushalte weitergegeben. Zweitens stellte das 9-Euro-Ticket insbesondere für Haushalte mit niedrigeren Einkommen durchaus eine spürbare Entlastung dar und auch die verringerte Energiesteuer auf Kraftstoffe mindert derzeit die Inflationsrate. Drittens würde allein die Gasumlage die allgemeine Inflationsrate ab Oktober um zusätzlich 1,0 Prozentpunkt erhöhen, wenn darauf auch Mehrwertsteuer erhoben wird (0,8 Prozentpunkte ohne Mehrwertsteuer), rechnen die Forschenden vor. Haushaltsenergie fällt, ebenso wie Nahrungsmittel, als Ware des Grundbedarfs bei den Ausgaben ärmerer Haushalte sehr stark ins Gewicht und kann kaum ersetzt werden. Hinzu kommt: Grundsätzlich haben Haushalte mit niedrigem Einkommen ein besonderes Problem mit starker Teuerung, weil sie kaum Spielräume besitzen, ihr Konsumniveau durch Rückgriff auf Erspartes aufrecht zu erhalten.

Weitere staatliche Hilfen im Herbst seien daher notwendig. Das vom Bundesfinanzministerium vorgeschlagene „Inflationsentlastungsgesetz“, das auf eine Erhöhung des Grundfreibetrags und des Kindergeldes sowie eine Verschiebung der Tarifeckwerte des Einkommenssteuertarifs setzt, eigne sich aber nicht für eine gezielte Entlastung der besonders betroffenen Haushalte, betonen Dullien und Tober. Die vorgeschlagene Steuerentlastung sei so gestaltet, dass diese die höchste absolute Entlastung in Euro für Menschen bringt, die heute den Spitzensteuersatz zahlen. Die größte prozentuale Entlastung (im Verhältnis zum zu versteuernden Einkommen) würde bei Haushalten anfallen, die an der Grenze zwischen der Progressionszone und dem Spitzensteuersatz verdienen. Dies wären im Jahr 2024 bei einzeln Veranlagten Steuerzahlende mit einem zu versteuernden Einkommen von 63.515 Euro, bei Ehepaaren im Splittingverfahren jene mit zu versteuernden Einkommen von 127.030 Euro. Singles mit einem niedrigen zu versteuernden Einkommen von unter 10.348 Euro pro Jahr und Ehepaare mit einem Einkommen bis 20.696 Euro würden dagegen durch die geplanten Änderungen gar nicht entlastet.


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