Keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach Entlassung?

31. Januar 2024

Keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach Entlassung – Kann das sein? Darum geht es heute in unserer Serie „Recht im Alltag“:Der Warener Fachanwalt für Arbeitsrecht, Volker Weinreich informiert zu diesem Thema: Grundsätzlich hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Im Juristendeutsch ist das in § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz wie folgt formuliert: „Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von 6 Wochen.“ So weit so gut. In der Regel wird die Arbeitsunfähigkeit durch die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Krankenschein) gegenüber dem Arbeitgeber nachgewiesen und der Arbeitnehmer erhält Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Warum also dieser Artikel?
Aktuell nehmen Arbeitgeber vermehrt zwei Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts aus September 2021 und Dezember 2023 zum Anlass, den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung anzuzweifeln und die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu versagen.

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass Arbeitgeber bei Krankschreibungen nicht automatisch an ein ärztliches Attest gebunden sind. Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann danach unter bestimmten Voraussetzungen erschüttert sein. Welche Tatsachen potenziell geeignet sind, eine Erschütterung des Beweiswertes zu begründen, kann man diesen Entscheidungen entnehmen. Danach erfordert eine Erschütterung des Beweiswertes einer AU-Bescheinigung ernsthafte und objektiv begründete Zweifel an dem tatsächlichen Bestehen der Arbeitsunfähigkeit. Derartiges kann sich aus der Bescheinigung selbst ergeben oder aber auf tatsächlichen Umständen ihres Zustandekommens beruhen.

Das BAG geht in seiner Entscheidung vom 8.9.2021 (5 AZR 149/21) von einer Erschütterung des Beweiswertes der AU-Bescheinigung aus, wenn diese zugleich mit einer Arbeitnehmerkündigung vorgelegt wird und passgenau die nach dieser Kündigung noch verbleibende Dauer des Arbeitsverhältnisses abdeckt. In dem am 13.12.2023 (5 AZR 137/23) entschiedenen Fall hatte der Arbeitnehmer nach seiner Entlassung mehrere Atteste vorgelegt, die passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfassten; zudem hatte der Arbeitnehmer direkt danach eine neue Stelle angetreten.

In derartigen Fällen, auch in Konstellationen, die nicht unter vorgenannte Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts fallen, gehen Arbeitgeber vermehrt von der Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus und verweigern die Entgeltfortzahlung.

Dadurch kommt der Arbeitnehmer kurzfristig in finanzielle Schwierigkeiten, da die Entgeltfortzahlung unterbleibt. Aber die Arbeitgeber, die so handeln, verkennen, dass lediglich der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert ist und eben noch nicht abschließend über den Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall entschieden ist. Der Arbeitnehmer ist dann also gehalten, Klage zu erheben. Im Zweifel wird dann der behandelnde Arzt vernommen. Dass der behandelnde Arzt dann kein Gefälligkeitsattest bestätigen wird, dürfte nicht überraschen.

Im Ergebnis wird der Arbeitnehmer also in den meisten Fällen seinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn auch nach einem arbeitsgerichtlichen Verfahren, durchsetzen.


3 Antworten zu “Keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach Entlassung?”

  1. Rico Hanisch sagt:

    Richtig so, in Deutschland liegt das Problem in der Führung bzw. am Arbeitsklima. Der Stress für die verbleibenden Mitarbeiter wird immer größer, gleichzeitig immer weniger Wertschätzung ! Kein Wunder, von 10 Arbeitnehmern sind 3 effektiv krank und der Rest braucht eine „Auszeit“!
    Die Arbeitgeber begreifen das nicht,defacto wahnsinnig hohe Ausfallzeiten und Kosten. Es müsste generell ein Wandel in der Arbeitswelt erfolgen! siehe Gallup Studie!!!

  2. Jutta Müller sagt:

    Nach Corona kamen die Arbeitnehmer nicht wieder zu der Leistungserbringung als davor. Psyche und Longcovid waren sicher ein Grund dafür. Heute sind die Krisen und die damit verbundenen Ängste sicher ein weiterer Grund. Dazu kommt heute auch ( nicht nur) die Generation „X, Y, Z“, die alle wie mit der Muttermilch aufzusaugen scheinen, dass die Work-Life-Balance, aber auch Konsum besonders bedeutsam und selbstverständlich sind, und jede damit verbundene Verpflichtung der Leistung dafür, als teilweise unzumutbar gesehen wird. Es scheint das Denken, „arbeiten dürfen die anderen, das Recht auf Genuss des Lebens ist den jungen Menschen vorbehalten““. Alles ist zu viel, zu stressig, zu anstrengend, kurzum unzumutbar. Die s.g. Bettkantenverweigerer finden sich aber in allen Altersgruppen aus o.g. Gründen. Leider schätzen zu wenig Menschen noch solche Errungenschaften wie Frieden, Empathie und Solidarität den Mitmenschen gegenüber. Es gibt zu viele Egoisten, die aber bei „Engpässen“ alles von der Gesellschaft und ihren Mitmenschen erwarten. Das die Demut in unserer Gesellschaft schwindet, hängt auch mit der Selbstverständlichkeit des Wohlstands und Luxus zusammen, auch damit, dafür nicht unbedingt etwas leisten zu müssen. Das macht eine Gesellschaft krank.

  3. Simone sagt:

    Ein Arbeitnehmer der immer da ist wird nicht wert geschätzt.
    Wird er dann länger krank, weil er sich immer durchgekwält hat,wird er als faulkrank bezeichnet und rausgemobbt oder fristlos gekündigt.
    Empathie gleich null.
    Nicht alle Krankheiten sieht man jemanden an der Nasenspitze an.