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Chefarzt des Müritz-Klinikums zu „Als Familie durch die Krise“

10. Oktober 2021

Corona hat das Leben von Kindern und Erwachsenen häufig auf den Kopf gestellt. Was Familien stärkt, erklärt Dr. med. Thomas Broese, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des MediClin Müritz-Klinikums Waren, anlässlich des heutigen Welttags für seelische Gesundheit.

Homeoffice und Homeschooling, Angst vor Ansteckung und Quarantäne, fehlende Freunde und Hobbies, dazu oft „Lagerkoller“ und viel Streit: Die Pandemie setzt Familien gewaltigem Stress aus. Die Folgen sind in vielen Fällen schwerwiegend. Studien zeigen, dass psychische Probleme bei Kindern und Erwachsenen in Folge der Lockdowns zugenommen haben. Forschende des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) sehen Hinweise für eine psychische Belastung bei jedem dritten Kind. Manche leiden unter Schlafstörungen und Albträumen, können sich schlecht konzentrieren und verhalten sich depressiv, manche reagieren mit Essstörungen, Aggressionen, Ängsten und Zwängen, etwa übertriebenem Händewaschen.

Auch bei Erwachsenen haben psychische Störungen wie Depressionen, Erschöpfungszustände und Angsterkrankungen zugenommen. Die Erwartung, Job und Kinderbetreuung unter einen Hut zu bekommen und dabei oft auf sich alleine gestellt zu sein, hat viele Väter und Mütter überfordert, erklärt Dr. med. Thomas Broese, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des MediClin Müritz-Klinikums Waren. „Gerade in Familien, in denen es schon in ’normalen‘ Zeiten viele Konflikte oder sogar psychische Erkrankungen gab, hat Corona die Situation mitunter dramatisch verschärft.“ Zum einen, weil viele Hilfsangebote nicht mehr erreichbar und der Zugang zu Psychotherapien erschwert waren, andererseits waren auch Treffen mit Bekannten und Freunden enorm eingeschränkt − es fehlten das hilfreiche Gespräch, der soziale Austausch, der über kleinere Schwierigkeiten im Beruf und Privatleben oft schon hinweghilft.

Füreinander da sein

„Die Familie ist grundsätzlich sehr wichtig für die seelische Entwicklung eines Menschen; sowohl im Guten wie im Schlechten, haben frühe Erfahrungen, die wir in unserer Ursprungsfamilie machen, erheblichen Einfluss auf unsere psychische Gesundheit bis ins Erwachsenenalter hinein“, sagt Dr. Broese. Erfahren Kinder Geborgenheit, Liebe und feste Bindungen, können sie eine psychische Stabilität entwickeln, die sie im weiteren Leben widerstandsfähig gegenüber Krisen macht.

Gleichzeitig betreffen psychische Probleme eines Kindes, einer Mutter oder eines Vaters alle Familienmitglieder. Hierbei geben intakte innerfamiliäre Beziehungen und ein verständnisvoller Umgang miteinander Halt.  Manchmal ist die Sache aber auch verfahren und verschlimmert sich, wenn zusätzliche Belastungen von außen kommen oder die Inanspruchnahme des sozialen Netzes aus Freunden und Bekannten nicht mehr zur Verfügung steht.

„Ein großer Vorteil ist es, wenn es bei Problemen Unterstützung auch von außerhalb der Kernfamilie gibt“, hebt Dr. Broese hervor, „beispielsweise durch Verwandte und Freunde. Die Pflege sozialer Kontakte spielt eine wichtige, wenn nicht sogar entscheidende Rolle beim Erhalt unserer psychischen Gesundheit.“

Ein offener und vertrauensvoller Umgang in der Familie ist in Krisen wie der Corona-Pandemie zentral. „Man sollte miteinander über Ängste und Schwierigkeit sprechen“, so Dr. Broese. Wenn Erwachsene bestimmte Themen verschweigen und tabuisieren, kann das beim Kind erst Recht schlimme Befürchtungen wecken. „Kinder spüren, wenn etwas nicht stimmt. Es ist wichtig, dass man mit ihnen altersgerecht darüber spricht und ihnen hilft, eine Situation einzuordnen und damit umzugehen.“  Dabei sollte unbedingt vermieden werden, eigene Ängste und Ungewissheiten ungefiltert dem Kind gegenüber zu äußern. „Kinder sind nicht dazu da – und auch nicht in der Lage – die Probleme der Eltern zu lösen, Bedrohungen zu entschärfen oder beruhigend auf ihre Eltern einzuwirken.“

Wenn Eltern merken, dass der Punkt erreicht ist, an dem sie Schwierigkeiten haben, ihre Probleme (nicht nur innerhalb der Familie) zu lösen, sollten sie umgehend professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Das kann Psychotherapie oder Familienhilfe sein, das kann aber auch der Sozialverband VdK oder die Schuldnerberatung sein, um nur einige Möglichkeiten zu nennen.

„Wie wir Erwachsenen in einer Krise reagieren, ist Vorbild für die Kinder. Wenn wir ängstlich, unsicher und ständig gereizt sind, ist das für das Kind bedrohlich“, so der Chefarzt. Für Familien kann es eine Erleichterung sein, sich ein Stück weit damit abzufinden, dass „es ist wie es ist“. Das erleichtert auf jeden Fall die Suche nach alternativen Wegen, um etwas Gutes für sich zu tun.

Einfache Routinen und Rituale wie gemeinsame Abendessen, der gemeinsame Spaziergang oder das Vorlesen geben Sicherheit und bieten Gelegenheiten, um miteinander zu reden oder einfach nur um zusammen zu sein. „Und jeder sollte Freiräume für sich und für Aktivitäten haben, die ihm gut tun. Nicht nur während einer Pandemie.“

Professionelle Hilfe annehmen

Neben diesen grundsätzlichen Empfehlungen für ein gesundes Familienleben hebt Dr. Broese hervor, dass bei längeren und schwerwiegenden Problemen und insbesondere bei psychischen Erkrankungen Hilfe von außen notwendig ist. Wer nicht mehr weiter weiß, kann sich etwa an psychosoziale Beratungsstellen wenden.  Auch die Hausärztin oder der Hausarzt sind eine erste Anlaufstelle. Diese können auch an Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie oder an approbierte psychologische Psychotherapeut*innen überweisen. Auch die Krankenkassen vermitteln teilweise Erstgespräche bei den genannten Fachärzte. In akuten Krisen kann man auch bei einer Telefonberatung anrufen, wie die ‚Nummer gegen Kummer‘ für Kinder und Jugendliche (116111) oder das ‚Elterntelefon‘ (0800 1110550).

Info: Welttag für seelische Gesundheit / Woche der Seelischen Gesundheit

Seit 1992 findet jedes Jahr am 10. Oktober der Welttag für seelische Gesundheit (World Mental Health Day) statt. Initiiert wurde dieser von der World Federation for Mental Health (WFMH). Rund um dieses Datum informieren zahlreiche Institutionen, Initiativen und Einrichtungen über psychische Gesundheit, Prävention und Hilfsangebote. In Deutschland koordiniert das Aktionsbündnis Seelische Gesundheit alle Veranstaltungen und Aktionen rund um den Welttag und führt sie auf einer zentralen Kommunikationsplattform zur „Woche der Seelischen Gesundheit“ zusammen.

Weitere Informationen auf der Internetseite des Aktionsbündnis Seelische Gesundheit: www.seelischegesundheit.net


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